Summen, laufen, grummeln: RZ-Reporterin Agatha Mazur hat sich mit dem Sinn "Hören" beschäftigt und mit Sprachtrainerin Sylvia Cordie einige Übungen durchgemacht. Darüber hinaus hat sie mit Ruth Duchstein von der Buchhandlung Reuffel gesprochen, warum sich Menschen so gern Geschichten vorlesen lassen. Teil fünf und somit letzter Teil der Serie "Fünf Sinne in Koblenz".
"Oooooooooooo". so langsam geht mir die Puste aus. Der Ton hatte zu Anfang noch kraftvoll geklungen, jetzt wird er immer schwächer. Zwischendurch wackelt meine Stimme und droht zu versacken. Irgendwann bekomme ich keine Luft mehr - es ist vorbei mit dem "O".Stimmtrainerin Sylvia Cordie übt heute mit mir Sprechen. Die 50-jährige Koblenzerin, in Trier geboren, hat bereits Angestellte der Kirche, Lehrer und Mitarbeiter aus Callcentern gecoacht. Denn wie man spricht, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie man von anderen gehört und somit auch wahrgenommen wird. Gerade für Frauen ist das Thema brisant: Haben sie doch meist von Natur aus eine höhere Stimme. Doch es sind die tiefen Stimmen, die die Menschen mit Vertrauen assoziieren. Das ist anthropologisch bedingt, erklärt mir Cordie. Redet jemand in einer sehr hohen Tonlage, wirkt das rasch wenig kompetent und überzeugend.
Gerade unter Stress neigen Menschen dazu, höher und schneller zu sprechen. "Häufig reden die Leute auch zu druckvoll", sagt Cordie. Sie wird mir einige Übungen zeigen, wie man entspannt und zugleich kraftvoll spricht.
Die Übung mit dem "O" muss ich noch einmal wiederholen. Diesmal drückt mir Cordie ein knallblaues Haushaltsgummi in die Hand. Nun soll ich das Gummi langziehen - wie bei einer Schleuder - und gleichzeitig den Ton herausbringen. Und tatsächlich: Das Gummi wird länger und länger, aber mein Ton verliert nicht an Kraft. Er scheint sogar an Festigkeit zu gewinnen.
Körperhaltung ist wichtig für die StimmeDie Körperhaltung, die "Aufrichtung", so nennt es Cordie, trägt entscheidend zur Stimme bei. Habe ich eine gute Haltung, wird meine Stimme voller. Sowieso können Menschen am Klang der Stimme ihres Gegenübers sehr viel heraushören - beispielsweise wie es der Person gerade geht. "Stimme und Stimmung hängen zusammen", sagt die Sprachtrainerin. Die Stimme ist ein Spiegel der Emotionen.
Sylvia Cordie muss es wissen, sie hat sich auf Trauerreden spezialisiert und spricht auf Beerdigungen. Ein besonders sensibler Bereich. "Die Stimme darf nicht unangenehm sein", sagt sie. Man muss laut genug sprechen, damit einen die Menschen verstehen, aber die Stimme darf nicht zu laut sein. Mitgefühl soll mitschwingen, niemand möchte, dass irgendjemand einen Text herunterrattert, das empfinden die Leute als gefühllos. Das Ohr bekommt vieles mit.
Nächste Aufgabe: Ich soll so tief wie möglich sprechen. Automatisch ziehe ich mein Kinn zurück und brumme in mich hinein. Tief zu sprechen ist ganz schön anstrengend. Je unnatürlicher der Ton, umso anstrengender für die Stimme, erklärt Cordie. Auf Dauer sei es nicht gesund, zu tief zu sprechen. Das wirkt künstlich, Menschen haben ein feines Gespür für so etwas. Jetzt soll ich zwei Stufen raufgehen. Schon klingt es entspannter. "Das ist Ihre natürliche Stimmlage", stellt Cordie fest.
Wer viel spricht, muss aufpassen, nicht heiser zu werden. Und lernen, wie man in Stresssituationen seine Stimme im Griff behält. Denn schließlich hört man ruckzuck, wenn jemand gestresst ist. Beruhigend und vermittelnd soll doch jemand klingen, bei dem man im Callcenter anruft, um eine dringende Frage loszuwerden. Da muss der Mitarbeiter über seine Stimme vermitteln können, dass er alles im Griff hat und sachlich bleibt.
Ein entspanntes Zwerchfell sorgt für eine angenehme Stimme"Füh füh füh....füh füh füh..." Cordie und ich joggen auf der Stelle. Stoßweise atme ich aus. "Füh füh füh...." Was soll mir diese Übung nun zeigen? Stimme hat viel mit Atmung zu tun, betont die Sprachtrainerin. Wer aufgeregt ist, dem schnürt sich der Hals zu, die Stimme bekommt nicht genügend Raum. Wer sich bewegt, entspannt das Zwerchfell. Bei dem strömt die Luft ganz natürlich. Man atmet automatisch ganz anders und klingt auch so.
Unser Training ist zu Ende. Was nehme ich mit? Die Stimme ist eine komplexe Angelegenheit - auch eine sehr intime, da sie viel über mich und meinen Gefühlszustand verrät. Ich habe sie selten so bewusst wahrgenommen wie heute beim Training. Aber da sie mich ständig begleitet, werde ich in Zukunft mehr auf sie achten.
Wie hat die Sprachtrainerin es formuliert? "Jeder hat sein eigenes Stimmmaterial und ist erst einmal ein bisschen festgelegt - auch wenn man gewisse Variationsmöglichkeiten hat", sagt Sylvia Cordie. Wichtig ist beim Training aber auch, "die Stimme als seine eigene Stimme wahrzunehmen". Das tue ich - und höre ab jetzt nicht nur bei meinem Gegenüber, sondern auch bei mir genauer hin.
Koblenz. Lieber selbst mit den Augen lesen oder sich vorlesen lassen? Jeder Geschichten- und Bücherfan hat hier seine persönliche Präferenz. Doch der große Erfolg von Hörbüchern der vergangenen Jahre zeigt klar auf: Geschichten hören ist im Trend.
Dabei ist das Konzept des Vorlesenlassens nicht neu. „Geschichten hören ist etwas ganz Archaisches, das hat es immer schon gegeben", findet Ruth Duchstein von der Buchhandlung Reuffel. Das Erzählen hat für die Koblenzerin kulturgeschichtlich eine lange Tradition. Sie vergleicht gute Literatur mit Musik, der Zuhörer findet wie bei Melodien einen direkten Zugang: „Es berührt einen jenseits des Verstehens."
Hörbücher haben in letzter Zeit immer mehr Fans gewonnen. Mittlerweile kommen viele Neuerscheinungen dreifach auf den Markt: als gedrucktes Buch, als E-Book und als Hörbuch oder Hörspiel. Was macht gelungenes Vorlesen aus? Ob die Story nun mit einer Tonlage vorgelesen wird oder der Sprecher für die verschiedenen Rollen in verschiedene Stimmlagen schlüpft, steht für den Hörgenuss nicht im Vordergrund, findet Duchstein, die bei der Buchhandlung Reuffel für die Autorenlesungen und Belletristik zuständig ist. Auch in welcher Stimmlage und in welcher Lautstärke gelesen wird, ist für die Literaturliebhaberin erst einmal zweitrangig.
Emotionen sind wichtig
„Wichtig ist, dass die Emotionen spürbar werden und die Geschichte zu mir vordringt." Ruth Duchstein hört selbst gern Hörbücher, wenn sie im Auto unterwegs ist. Sie hat beobachtet: „Beim Lesen blättere ich schon mal zurück, bei einem Hörbuch folgt man einfach der Stimme." Der Stimme folgte auch das Publikum bei der Autorenlesereihe „Ganz Ohr", die die Koblenzerin organisiert. Neu in diesem Jahr war das Konzept der „Dunkellesung". Ein abgedunkelter Raum, die Besucher lauschen dem Autor. Bei den Koblenzer Literaturtagen im Frühjahr hat das Konzept mit der Lesung des Autors Einzlkind Premiere gefeiert. Nur hören, nichts sehen: ein Experiment, das gelungen ist, findet Duchstein, die die künstlerische Leitung des Festivals innehat. Die Dunkellesung sei „ein außerordentliches Erlebnis" gewesen und habe das Hörerlebnis intensiviert. Wenn man alles andere um sich herum ausblendet, fokussiert man sich, und der Hörsinn kommt besonders gut zur Geltung. Bei den vielen Eindrücken, die tagtäglich auf die Leute eingehen, „ist das eine besondere Erfahrung", findet Duchstein. Sie hält es mit dem verstorbenen Roger Willemsen, der von einer „Verdichtung der Zeit" gesprochen hat. Duchstein bevorzugt Lesungen, bei denen der Autor des Buches selbst liest, „auch wenn die Lesung nicht perfekt ist", betont Duchstein. Warum, erklärt sie folgendermaßen: Es ist immer auch eine gewisse Interpretation beim Vorlesen dabei. Und schließlich wisse der Autor am besten, wie er was gemeint hat, welche Melodie der Text haben soll. „Der Autor kennt die Geschichte hinter der Geschichte", so formuliert sie es.
Sinne spielen zusammen
Prinzipiell sieht Duchstein bei einer Lesung aber keinen Widerspruch zwischen sehen und hören: „Andere Sinne spielen auch mit hinein und unterstützen die Atmosphäre, das ist kein Entweder-oder." Wenn das Publikum bei einer Lesung dem Schöpfer der Geschichte gegenübersitzt, kann das spannend sein. Sieht derjenige genauso aus, wie man ihn sich vorgestellt hat? Oder der Autor bleibt anonym und zieht sich eine Papiertüte übers Gesicht: Für diese Variante hat sich Einzlkind entschieden. So wurde er nur gehört, und nicht gesehen.