Politiker sind alt, viel zu alt - zumindest, wenn sie ernsthaft die Interessen junger Menschen vertreten wollen. Das muss sich ändern. Auch wenn Quoten nervig sind: Anders geht's in diesem Fall nicht.
Was Christian Lindner sein Aussehen ist, ist Kevin Kühnert sein Alter. Leider. Anders als der FDP-Chef sein Konterfei hat der Juso-Rebell sein Geburtsdatum nie auf ein Wahlplakat drucken lassen. Er trägt sein Alter nicht vor sich her, er hat nie um Welpenschutz gebeten. Nein, seit Wochen zieht er mit seiner #NoGroKo-Kampagne durch die Lande, einem Anliegen, das so ernsthaft ist, dass es im März die Bildung einer großen Koalition verhindern könnte.
Während Kühnert die Koalitionäre vor sich hertreibt, stellen ihn manche Medien als minderbemittelten Trottel dar. So wurde Kühnert in der Sendung „Guten Morgen Deutschland" gefragt, ob er noch in einer Wohngemeinschaft lebe. Maybrit Illner nannte Kühnert in ihrer Sendung gleich zweimal „Kleinert", was nicht nur eine Frechheit ist, sondern vor allem für ein großes Desinteresse an dem Berliner Ausnahmetalent spricht.
Und die Kolumnistin Sibylle Krause-Burger durfte in der „Stuttgarter Zeitung" sogar folgende Worte schreiben, die man unbedingt in Gänze lesen muss: „Der Babyspeck ist nicht ganz aus seinem Gesicht gewichen. Man sieht ihm den kleinen Jungen noch an, obwohl er schon 28 Jahre alt ist. Manche Männer haben in diesem Alter schon drei Kinder in die Welt gesetzt. Aber Kevin Kühnert, der Pausbäckige, spielt gern: nicht mit der elektrischen Eisenbahn, nicht mit Pappflugzeugen, sondern mit der Politik."
Nun sollte man nicht jede Kolumnistin allzu ernst nehmen, schon gar nicht, wenn die 82-jährige Krause-Burger über den 28-jährigen Kühnert schreibt. Der Umgang mit Kühnert steht aber für die Unart, lieber über „die jungen Menschen" zu reden als mit ihnen. Das strahlt auf die Gesellschaft aus. Im Kabinett, wo entschieden wird, sind junge Menschen nicht vertreten. Das muss sich ändern. Mit einer Jugendquote für Bundesminister. Die ist wichtiger als die Frauenquote.
Jung zu sein ist keine Qualifikation an sich, übrigens genauso wenig wie Erfahrung. Der Unterschied zwischen beiden ist aber, dass ein fortgeschrittenes Lebensalter positiv konnotiert ist, vielfach also eine über die Jahre erworbene Klugheit unterstellt wird, und Jugendhaftigkeit als Makel gilt, der sich „schon irgendwann auswächst". Den Satz „Das haben wir schon immer so gemacht" kennen junge Menschen. Sie bekommen ihn dann entgegengeschmettert, wenn sie frische, unangepasste Vorschläge machen. In diesen Tagen zeigt sich, dass die Politik neue Ideen dringend braucht. Leider zerlegen sich die guten Argumente junger Menschen viel zu oft an einer Front von Altersweisen, die es sich sozusagen qua Alter dort gemütlich gemacht haben, wo entschieden wird.
Wie frech, mindestens aber falsch diese Innovationsfeindlichkeit doch ist. Sebastian Kurz, dieses Wunder von Wien, regiert seit Dezember in Österreich. Der 31-Jährige hat sich innerhalb eines Jahrzehnts aus seinem belächelten Geilomobil ins Kanzleramt katapultiert. Kurz hatte nicht nur seine Gönner, sondern vor allem Talent und einen unfassbaren Willen, der so manchem Altersweisen abgeht. Als Integrationsstaatssekretär verbuchte Kurz einen Achtungserfolg nach dem nächsten, weil er die Lebenswirklichkeit junger Migranten in der Wiener Vorstadt kannte. Er hatte schließlich wenige Jahre zuvor mit ihnen zusammengelebt.
Es sind die Jungen, die die Jungen verstehen, die am besten wissen, was frischgebackene Eltern umtreibt, die Verständnis für Menschen in Ausbildung und für Studenten auf dem Weg ins Berufsleben haben, die anders auf Zukunft und Heimat blicken. Zeit und Umgebung formen jeden Menschen, und junge Menschen eben anders als ältere. Es macht einen Unterschied, ob man mit Digitalisierung und offenen Grenzen aufgewachsen ist oder hinterm Schlagbaum in der DDR. Die Mischung macht's.
Kein geschäftsführender Minister ist jünger als 40Das letzte Bundeskabinett ist keine Mischung, sondern steht im krassen Missverhältnis zu der Gesellschaft, die es repräsentieren soll. Von den geschäftsführenden Ministern ist keiner jünger als 40 Jahre, aber sieben über 60. Für das neue Bundeskabinett wird die CDU-Politikerin Julia Klöckner, 45, jetzt bereits als Jungspund gefeiert. Klöckner ist eine respektable Persönlichkeit - die den größten Teil ihres Lebens in D-Mark bezahlt hat. Jung ist sie nur für die Maßstäbe der Politik. In der Wirtschaft wäre sie das nicht.
Immerhin, zwischen ihr und dem designierten Innen- und Heimatminister Horst Seehofer liegen 23 Jahre. Muss denn wirklich ein 68-Jähriger Heimatminister werden, noch dazu ein Nichtjurist? Gibt es denn wirklich keine jüngeren Alternativen, noch dazu höher qualifiziert? Gleiches gilt für das Bildungsministerium. Sollte der 66-jährigen Johanna Wanka der 56-jährige Hermann Gröhe nachfolgen, oder wäre ein jüngerer Kandidat näher an der Lebensrealität seiner Zielgruppe? „Ja, Frau Merkel", sollten die Jens Spahns, Carsten Linnemanns und Ole Schröders ihrer Kanzlerin entgegenrufen.
Man darf nicht naiv sein, mit Politik ist es wie im Motorsport. Es kommt nicht auf den Kilometerstand an, sondern auf die Motorleistung. Doch wer den neuen Koalitionsvertrag liest, entdeckt vor allem Vorschläge, die zugunsten der älteren Generation getroffen wurden. Ein Digitalminister, wie er zu einer modernen Gesellschaft gehört, ist nach den Jamaika-Sondierungen in die Rundablage aller guten, aber nicht umgesetzten Vorschläge gerutscht. Und die Rentengeschenke für Generationen, die in 20 Jahren nicht mehr Teil dieser Gesellschaft sein werden, bezahlen Menschen, die heute nicht einmal geboren sind. Das ist Klientelpolitik unter Ausschluss derjenigen, die sie finanzieren.
Doch wenn der Eindruck entsteht, dass Politik in Hinterzimmern gemacht wird und nicht diejenigen beteiligt, die von Entscheidungen betroffen sind, erodiert die Demokratie. Natürlich können ältere Politiker im Sinne junger Menschen entscheiden, wie ein Arzt, der seinen Patienten behandelt, ohne seinen Schmerz zu fühlen. Doch Politiker sind keine Wunderheiler. Es reicht der Eindruck, ja, die Furcht, nicht angehört zu werden, Tröglitz, Bautzen und Pegida lassen grüßen. Menschen, die sich nicht repräsentiert fühlen, reagieren zuerst mit Gleichgültigkeit. Dann mit Ablehnung. Es waren ja nicht gewalttätige Flüchtlinge, die scheinbar abgehängten Sachsen einen Schrecken eingejagt haben. Es war die (Schein-)Angst vor den Ausländern.
Die Politik ist jugendverdrossen, die Jugend politikverdrossenZwar liegt die Frustrationstoleranz junger Menschen deutlich höher. Aber überstrapazieren sollte man sie nicht. Weil die Politik jugendverdrossen ist, wird die Jugend langsam politikverdrossen. 87 Prozent der 18- bis 29-Jährigen finden, dass ihre Generation in der Politik nicht repräsentiert wird. Entsprechende Werte älterer Generationen liegen deutlich höher.
Das ist frustrierend, vor allem, weil sich daran auf absehbare Zeit nichts ändert. Auch im neuen Bundeskabinett werden die altbekannten Nasen sitzen, wird der Altersschnitt deutlich über 50 Jahren liegen. Der Juso und Demokratieforscher Wolfgang Gründinger, der jünger ist, als er heißt, hat der SPD eine Jugendquote empfohlen - aber nur für Parteiämter, nicht für Ministerposten. Das ist ein müder, wenig mutiger und viel zu kurz greifender Vorschlag. In den neuen Bundestag sind viele junge Politiker eingezogen, sogar ein 24-jähriger Direktkandidat.
Aber Entscheidungen mit Tragweite treffen sie nicht, die fallen in den Ministerien. Die müssen auch von jungen Menschen geführt werden, die Ressorts Bildung und Familie wären ein guter Anfang. Zwar sind Quoten immer nervig, in der Wirtschaft hieven sie viel zu oft Menschen auf Positionen, für die sie ungeeignet sind. Aber in der Frage nach dem Alter von Spitzenpolitikern ist eine Quote leider nötig. Schließlich ist der Staat kein Unternehmen, in dem man kündigen kann, wenn man sich nicht vertreten fühlt. Hoffentlich kommt die große Koalition noch im März. Dann hat die designierte CSU-Ministerin Dorothee Bär Geburtstag - und wäre wenigstens für ein paar Tage Ministerin unter 40.