Eigentlich ist Serdar Somuncu als „Hassprediger" bekannt - so heißt das Bühnenprogramm des deutsch-türkischen Kabarettisten. Zur Bundestagswahl hat er aber seine Aktivitäten um eine Kandidatur als „Kançler" für die Satirepartei „Die Partei" erweitert. Was treibt ihn an?
DIE WELT: Sie haben in den vergangenen Jahren konstruktive Kritik an Politikern geübt und wurden in Talkshows zu den Themen Integration und Türkei befragt. Jetzt sind Sie Spitzenkandidat einer Partei, die eine „Bierpreisbremse" verspricht. Warum bewegen Sie sich plötzlich auf erkennbar niedrigerem Niveau?
Serdar Somuncu: Ich glaube nicht, dass meine Arbeit für „Die Partei" ein niedrigeres Niveau hat. Ich denke, es ist höher als je zuvor. Meine Arbeit entlarvt Menschen, die keine Ironie verstehen und meine Arbeit für „Die Partei" sinnlos nennen. Die sind nicht weiter als Erdogan oder sonstige Freaks, denn sie nehmen das, was Satiriker sagen, zum Anlass, ihre eigene ideologische Verblendung auszudrücken. Es ist bekannt, dass „Die Partei" eine Satire-Partei ist, ich Kabarettist bin und mich der Satire als Stilmittel schon lange bediene.
DIE WELT: Warum machen Sie es nicht wie der Satiriker Beppe Grillo, der mit konstruktiver Kritik an der italienischen Regierung bei der letzten Parlamentswahl 2013 aus dem Stand 25 Prozent holte?
Somuncu: Wir verstehen uns als Regulativ zu den etablierten Parteien, indem wir auf deren unsägliches Politikverständnis aufmerksam machen. Wir stellen ja keine irrsinnigen Forderungen, sondern persiflieren konstruktiv die irrsinnigen Forderungen der anderen Politiker. Wenn ich jetzt, in der letzten Woche vor der Bundestagswahl, durch die Städte fahre, sehe ich auf jedem Plakat eine andere Parole. Die Politiker wissen, dass sie komplett unglaubwürdig sind und versuchen krampfhaft die Wähler innerhalb von wenigen Wochen zu motivieren.
DIE WELT: Persiflage und konstruktive Politik - da gibt es schon einen Unterschied.
Somuncu: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich kenne niemanden, der sich jemals so deutlich im EU-Parlament geäußert hat wie der „Die Partei"-Vorsitzende Martin Sonneborn. Der hat im Plenum gesagt, dass er Erdogan für einen Irren hält. Das sollen sich die Mitglieder anderer etablierter Parteien erst einmal trauen. Die Kanzlerin kuscht in dieser Frage seit einem Jahr, weil sie einen Flüchtlingsdeal unterschrieben hat. Sie verhandelt auf der einen Seite mit Erdogan über einen EU-Beitritt der Türkei, auf der anderen Seite steht sie im Fernsehduell und sagt, dass aus dem EU-Beitritt für die Türkei nichts wird. Von der SPD brauchen wir gar nicht zu sprechen. So einen Schwachsinn kolportieren wir auf eine intelligente Art.
DIE WELT: Das heißt, Sie bedienen vor allem Protestwähler?
Somuncu: Nein. Ich merke, dass sehr viele Menschen unser Politikverständnis begrüßen. Das sind Wähler, die wir neu gewinnen, darunter viele Erstwähler ...
DIE WELT: ... worüber sich andere Parteien beklagen, weil Sie ihnen angeblich wichtige Stimmen klauen.
Somuncu: Das ist Schwachsinn. Wenn die anderen Parteien stark genug wären, müssten sie sich darüber nicht beklagen. Dann hätten sie auch die nötigen Stimmen im angeblichen Kampf gegen Antidemokraten.
DIE WELT: Sie haben sich mehrfach darüber beklagt, dass Ihre Sketche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zensiert würden. Wie ist es um die Pressefreiheit in Deutschland bestellt?
Somuncu: In Deutschland herrscht keine absolute Pressefreiheit. Die Zeitungen und Sender sind an Verlage und Konsortien gebunden, die die Parteien unterstützen. Man weiß, dass da Verbindlichkeiten existieren. Niemand kann in Deutschland frei seine Meinung sagen, ohne dass er dafür Konsequenzen in Kauf nehmen müsste. Ich glaube, dass wir in diesem Punkt zwar weiter sind als andere Länder, denn wir ertragen auch andere Meinungen. Aber manchmal ist es schon schwierig.
DIE WELT: Können Sie daraus eine politische Forderung ableiten?
Somuncu: Ich würde mir wünschen, dass die Sender, Zeitungen und Magazine unabhängiger agieren. Dass die auch mal unterschiedliche Meinungen veröffentlichen, ohne dass irgendein Korrektiv eingreift. Ich habe das ja erlebt. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sitzen Redakteure und Rundfunkräte, die entscheiden, was ich als Künstler in meiner angeblichen Freiheit sagen darf und was nicht. Es ist uns ein großes Anliegen, künstlerische Freiheit zu dulden und sie nicht wegzusperren, wenn sie unangenehm wird. Man muss den kompletten Diskurs, den die Kunst in die Politik einbringt, durchstehen.
DIE WELT: Journalisten in der Türkei wären froh, wenn sie so frei arbeiten könnten wie ihre deutschen Kollegen.
Somuncu: Ich glaube trotzdem, dass die Vielfalt in der Debatte innerhalb der letzten Jahre massiv zurückgegangen ist. Es gab mal eine Kultur der Offenheit. Wer diskutieren wollte, war nicht automatisch verdächtig, irgendeiner kruden Ideologie zu folgen. Heute ist das anders, zum Beispiel bei der Flüchtlingsdiskussion. Die war so sehr von Vorurteilen behaftet, dass es mehr um Zuweisungen ging als um eine lösungsorientierte Auseinandersetzung. Die Deutschen haben sich damit beschäftigt, die Gesellschaft in Ausländerfeinde und Ausländerfreunde, in Gutmenschen und Wutbürger zu teilen.
DIE WELT: „Die Partei" ist nicht frei von Zuweisungen. Zuletzt provozierten Sie mit einem Plakat, auf dem der tote Flüchtlingsjunge Aylan Kurdi zu sehen war und der Spruch stand: „Für einen Strand, an dem wir gut und gerne leben". Das suggeriert, die CDU unter Angela Merkel sei für den Exodus auf dem Mittelmeer verantwortlich.
Somuncu: Ich muss nicht mit jeder Aktion meiner Partei einverstanden sein. Dem Plakat stand ich sehr kritisch gegenüber, weil ich mich frage, ob man so Aufmerksamkeit erregen muss. Aber die Erklärung, die Martin Sonneborn gebracht hat, finde ich glaubwürdig. Es ist nicht „Die Partei", die mit dem Schicksal anderer Menschen Politik macht, sondern die CDU. Das haben wir deutlich gemacht.
DIE WELT: Der Spruch hätte so auch auf einem AfD-Wahlplakat stehen können.
Somuncu: Frau Merkel hat die AfD groß gemacht, und ich wundere mich, dass das in diesem Wahlkampf überhaupt nicht thematisiert wird. Sie hat im vorvergangenen Jahr per Dekret darüber gerichtet, dass Flüchtlinge ungeordnet nach Deutschland kommen. Zuerst hieß es „refugees welcome", kurz darauf begab sie sich rhetorisch auf eine Linie mit Horst Seehofer. Und einige Monate später hieß es dann wieder: „Wir schaffen das." Das war unentschlossen und feige.
DIE WELT: Sie hätten die Grenzen dichtgemacht?
Somuncu: Nein, ich hätte genauer kontrolliert, wer zu uns kommt. Wer die Grenzen einfach öffnet, lädt Menschen ein, die nicht politisch verfolgt sind. Wir dürfen uns als Staat nicht die Entscheidung darüber abnehmen lassen, wer in unser Land kommt. Die Kanzlerin hat Leute ins Land gelassen, die nicht nur gute Absichten hatten.
DIE WELT: Der türkische Staatspräsident Erdogan wird für den Umbau der Türkei in eine Diktatur hierzulande stark kritisiert. Verstehen Sie das?
Somuncu: Erdogan, so wie er in den deutschen Medien beschrieben wird, scheint ja die Verkörperung des Bösen zu sein. Aber das ist falsch. Erdogan hat in der Türkei einen notwendigen Wandel herbeigeführt. Er hat die Macht des Militärs abgeschafft, er hat verkrustete Strukturen verändert, und er hat die Türkei wirtschaftlich stärker aufgestellt als jeder seiner Vorgänger. Aber er ist natürlich auch ein Despot, ein Tyrann, ein Autokrat, der die Demokratie in der Türkei mit einem System der Diktatur unterwandert und Menschenrechte mit den Füßen tritt. Die Türkei ist unter ihm zu einem Land geworden, in dem Menschen im Gefängnis sitzen, weil sie anderer Meinung sind als die Regierung.
DIE WELT: Mit dem Satz „Nicht alles war schlecht" rechtfertigten manche Menschen auch ihr Fehlverhalten unter Hitler oder in der DDR.
Somuncu: Das ist eine typisch deutsche Argumentation. Ich wüsste nicht, dass Erdogan einen Genozid zu verantworten hat oder einen Weltkrieg anzettelt. Hitler schon. Aber klar: Nur weil er seine Erfolge hat, kann man seine Missetaten nicht vergessen. Erdogan ist eine ambivalente Figur. Er ist für die Türkei gut und schlecht zugleich.
DIE WELT: Wenn Sie Kançler werden - wer wird dann Kançler-Gattin?
Somuncu: Keine Ahnung, da sind mehrere in der engen Auswahl.