Elisabeth Werder

Freie Journalistin & Texterin, Diespeck

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Artikel

Wohntrend Berufstätigen-WG

Es ist ein Irrglaube, dass nur Studentin*innen in Wohngemeinschaften leben. Immer mehr berufstätige Erwachsene entscheiden sich bewusst für eine WG, vor allem in teuren Großstädten.

Das Problem der Isolation im Home-Office durch die Corona-Pandemie gibt es für Natalie Kastelan (27) nicht: Zum Frühstück machen trifft sie sich mit ihren beiden Mitbewohner*innen in der Küche, anschließend arbeitet jeder in seinem Zimmer. „Wenn es stressig ist, mache ich die Tür einfach zu – ansonsten freue ich mich, wenn mal jemand kurz den Kopf zur Tür reinstreckt und ich nicht den ganzen Tag vor dem Rechner vereinsame“, erklärt sie.

Als sie vor zwei Jahren für das Volontariat bei Burda Media nach München gezogen ist, hat sie sich bewusst für eine WG entschieden: „Es gibt zwar immer mal Ein-Zimmer-Wohnungen, die erschwinglich sind, aber ich kannte ja niemanden in der neuen Stadt und dachte, so lerne ich schnell neue Leute kennen, die keine Arbeitskolleg*innen sind“. Mittlerweile hat sie bereits in drei Berufstätigen-WGs gelebt, weil der Wohnungsmarkt in München schwierig ist. Ein Vorteil, wenn man nur ein Zimmer statt einer ganzen Wohnung bewohnt: Der Umzug geht einfacher.

Aus der Not eine Tugend machen

München führt die Statistik der Städte mit den höchsten Mietpreisen für Wohnungen in Deutschland an: Mit durchschnittlich 18,48 Euro pro Quadratmeter käme ein WG-Zimmer mit 20 Quadratmetern bereits auf 370 Euro[1] - theoretisch. Praktisch lag der Durchschnitt an Mietkosten für ein Münchner WG-Zimmer im Jahr 2020 bei 697 Euro warm. Das bestätigt auch Natalie, ihrer Erfahrung nach liegen die Preise je nach Lage zwischen 480 und 780 Euro für ein Zimmer. Viele junge Leute können oder wollen sich deshalb keine eigene Wohnung leisten.

Natalie bereut die Entscheidung nicht, trotz Home-Office funktioniert das Zusammenleben gut: „Wir alle wissen, dass wir Zuhause arbeiten und nehmen aufeinander Rücksicht. Tagsüber macht eigentlich jeder sein Ding, wir kochen oder essen eher selten gemeinsam. Dafür sitzen wir oft abends zusammen und helfen uns natürlich immer gegenseitig.“ In ihrem Umfeld gibt es viele WG-Fans: „Ich finde daran nichts Schlimmes, in einer WG zu leben. Ich kenne einige Leute, die über 30 sind und sich bewusst für eine WG entschieden haben, einfach weil sie das gerne machen und mit Freunden zusammenleben wollen.“

Konfliktpotenzial durch unterschiedliche Charaktere

Probleme beim Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft treten vor allem dann auf, wenn man unterschiedliche Ansichten hat. Das betrifft zum Beispiel die Vorstellungen von Sauberkeit, dem Teilen von Eigentum oder dem Lautstärkepegel nach 22 Uhr. Natalies ehemalige Mitbewohnerin war Gerichtsmedizinerin, durch den Schichtdienst hat sie oft tagsüber geschlafen. „Ich glaube, es kommt immer auf die richtigen Leute an und dass man Rücksicht aufeinander nimmt. Ich könnte mir zum Beispiel auch als alleinerziehende Mutter, die sich keine Wohnung leisten kann, vorstellen in einer WG zu leben“, sagt sie.

Zu Anfangszeiten gab es in der jetzigen WG öfter mal Konflikte: „Mein Mitbewohner hat vorher nicht mit anderen zusammengelebt und wollte zum Beispiel, dass wir ihm Geld bezahlen, wenn wir seine Sachen benutzen. Umgekehrt hat er angefangen Dinge von uns zu nehmen, ohne zu fragen – da gabs schon öfter mal Stress. Mittlerweile passt aber alles und es gibt bei uns eine feste Regel: Man kann alles haben, muss aber vorher Bescheid geben oder fragen.“

Zwei Seiten der Medaille

Von Vorteil ist zum einen die Mietersparnis, zum anderen ist da der soziale Aspekt: „Man ist nie allein, es ist immer jemand zum Reden oder Ausflüge machen da oder wenn man Hilfe braucht. Ich weiß gar nicht, ob ich so ganz allein leben wollen würde, aber das ist natürlich Typsache.“ Für introvertierte Menschen kann es von Nachteil sein, dass man in einer WG schwerer Zeit für sich allein findet. „Klar kann man sich mal zurückziehen, aber die Wohnung ist relativ hellhörig, da hört man die anderen trotzdem“, sagt Natalie. Auch das Teilen des Eigentums ist nicht jedermanns Sache, zumal natürlich auch mal Dinge kaputt gehen: „Wenn es die eigene Familie ist, kann man darüber oft leichter hinwegsehen als bei Mitbewohner*innen.“

Eine Hürde bei der Suche nach einer WG ist die Bürokratie: Erst einmal muss eine Wohnung gefunden werden. Zumindest in München ist das, nach Natalies Erfahrung, gar nicht so leicht, weil WGs trotz der Berufstätigkeit nicht hoch angesehen sind.  Zum anderen muss geklärt werden, wie der Mietvertrag ausgefüllt wird: Wenn es einen Hauptmieter gibt, der auszieht, müssen die Mitbewohner*innen in der Regel ebenfalls raus. „So war das bei meiner letzten Wohnung, aber jetzt sind wir alle Hauptmieter und es betrifft niemanden, wenn ein anderer auszieht“, sagt Natalie.