Elisabeth Werder

Freie Journalistin & Texterin, Diespeck

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Karrierekiller Gebärmutter

Frauen im gebärfähigen Alter werden auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Das belegen Studien und Erfahrungsberichte. Nur langsam wird dem Karriererisiko „weiblich, 30+" zu Leibe gerückt und manchmal hilft nur der Gang vor Gericht.


Text: Elisabeth Werder

In Deutschland gibt es das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Demnach dürfen Arbeitgeber im Bewerbungsprozess niemanden aufgrund von Alter oder Geschlecht diskriminieren - rein theoretisch. In der Praxis sieht das anders aus: Dorothea Kübler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ( WZB) hat 2017 die Studie „Be a Man or Become a Nurse: Comparing Gender Discrimination by Employers across a Wide Variety of Professions" zur Geschlechterdiskriminierung veröffentlicht.

Seit vielen Jahren forscht sie zu diesem Thema. Ihre These lautet eindeutig: Frauen werden bei der Jobsuche diskriminiert. „Die Bewerbungen von Frauen werden schlechter als die männlicher Bewerber eingestuft, auch wenn sie die gleichen Voraussetzungen zum Beispiel in Bezug auf Notendurchschnitt oder Berufserfahrung mitbringen", so die Expertin.

Auch Dr. Corinna Frodermann, Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ( IAB), untersucht seit Jahren die Entwicklung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Ihre Einschätzung: „Die Studienlage zu den Arbeitsmarktchancen von potenziellen ­Müttern ist eher dünn gesät, trotzdem besteht Evidenz für ihre Benachteiligung: Die Einstellungschancen nehmen zu, wenn Frauen nicht mehr im gebärfähigen Alter sind". Ergänzend dazu lohnt ein Blick in eine französische Studie, die mittels eines Experiments untersucht hat, wer zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird. Das Ergebnis: Zwischen älteren Männern und Frauen wurden dabei keine Unterschiede gemacht, während jüngere Frauen signifikant seltener eingeladen wurden als gleichaltrige Männer.

„Arglistig getäuscht"

Diese Probleme kennt auch Sebastian Bickerich, Pressesprecher der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes ( ADS) in Berlin. Insgesamt erreichten die ADS seit ihrer Gründung im Jahr 2016 3.256 Anfragen zur Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, davon bezogen sich 358 Anfragen zur Benachteiligung aufgrund einer Schwangerschaft. „Konkret schildern uns Frauen im gebärfähigen Alter in unserer Beratung, dass sie schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und nicht eingestellt werden, da der Arbeitgeber eine Schwangerschaft befürchtet - selbst, wenn die betroffenen Frauen gar keinen Kinderwunsch haben."

Benachteiligt vom Männerregime

In bestehenden Arbeitsverhältnissen berichten Frauen, dass ihnen betriebliche Weiterbildungen verwehrt werden mit der Begründung, dass sich das jetzt nicht mehr lohnen würde", sagt Bickerich. Immer wieder melden sich bei der ADS Bewerberinnen oder weibliche Beschäftigte, denen nach Bekanntgabe einer Schwangerschaft die bereits (schriftlich) erfolgte Stellenzusage wieder entzogen oder bei denen das Arbeitsverhältnis wegen „arglistiger Täuschung" nachträglich aufgelöst werden sollte.

In derart eindeutigen Konstellationen, die praktisch leicht nachweisbar und durch die einschlägige Rechtsprechung ausgeurteilt sind, lohnt sich der Gang vor Gericht. Nach dem AGG gilt im Allgemeinen, dass es keine Benachteiligung wegen des Geschlechts im Arbeitsleben geben darf. Arbeitgebende müssen in einem Unternehmen für ein diskriminierungsfreies Umfeld sorgen. Bewerbungsverfahren, Vergütungen, Kündigungen und andere Belange müssen benachteiligungsfrei erfolgen.

„Eine junge Wissenschaftlerin konnte einen Vergleich über 25.000 Euro erwirken, weil ihr eine Stelle bei einer Forschungseinrichtung nach dem Vorstellungsgespräch zunächst verbindlich per E-Mail zugesagt wurde und dann, nachdem sie eine Schwangerschaft mitgeteilt hatte, behauptet wurde, das Bewerbungsverfahren sei noch gar nicht abgeschlossen gewesen", erinnert sich Bickerich. Auch eine Entfristung oder entgegen vorheriger Zusage abgelehnte Verlängerung befristeter Arbeitsverträge nach Bekanntgabe einer Schwangerschaft ist rechtswidrig - die Beweislast für andere Gründe liegt beim Arbeitgeber.

Von wegen „familienfreundlich"

Für die Benachteiligung von Müttern auf dem Arbeitsmarkt gibt es mehr Evidenz. Forschungsbefunde aus dem nationalen und internationalen Kontext, mit einzelnen Ausnahmen, zeichnen ein eindeutiges Bild: „Grundsätzlich werden Mütter seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, seltener als geeignet für Führungspositionen angesehen und bekommen niedrigere Einstiegsgehälter als Männer/Väter/kinderlose Frauen angeboten", sagt Frodermann. Auch die Kinderzahl ist dabei nicht irrelevant, wie eine belgische Studie herausgefunden hat: „Mütter mit nur einem Kind wurden häufiger abgestraft als Mütter mit zwei Kindern, vermutlich, da bei Ihnen das Risiko einer erneuten Schwangerschaft höher war."

Karrierebooster Vaterschaft

Als Gründe für diese Benachteiligung hat Corinna Frodermann ermittelt, dass Mütter als emotionaler, weniger belastbar, flexibel, motiviert und karriereorientiert eingeschätzt werden. Außerdem gingen Arbeitgeber davon aus, dass sie häufigere Fehlzeiten aufgrund der Kinderbetreuung haben werden. Männer hingegen werden weiterhin als kompetent und zusätzlich als warmherzig und freundlich wahrgenommen, sobald sie Väter werden. „Während Mütter also für die Karriere eher negative Attribute zugeschrieben bekommen, profitieren Väter und werden teilweise sogar häufiger zu Bewerbungsgesprächen eingeladen als kinderlose Männer. Dabei gibt es keine großen Unterschiede nach Branchen oder Bildungshintergrund", fasst Frodermann zusammen.

Der Wandel beginnt

Doch es tut sich etwas: Bei der Weleda AG liegt der Frauenanteil heute beispielsweise bei 70 Prozent, an mehreren Stellen im Unternehmen gibt es bereits Führungstandems. „Mitarbeitende werden in unserem Unternehmen nicht als Funktionsträger*innen, sondern als Menschen gesehen, die in den Lebensfeldern Beruf und Privatleben Verantwortung tragen. Wir schaffen mit geeigneten Angeboten Rahmenbedingungen, damit der individuelle Balance-Akt gelingen kann. Wir unterstützen sehr bewusst unsere (werdenden) Eltern, zum Beispiel mit einer Betriebskindertagesstätte, einem Ruheraum für (werdende) Mütter, der Möglichkeit, Vergütung in Freizeit umzuwandeln und einer sehr offenen Regelung für mobiles Arbeiten", sagt Stefanie Schwegler, Leitung HR Management bei Weleda.

Ein anderes positives Beispiel ist das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main. „Ich wurde letztes Jahr im August eingestellt, trotz Befristung der Stelle bis Ende 2021, obwohl ich da bereits schwanger war. Ich habe direkt gesagt, dass mein Mann Elternzeit nimmt und ich das Projekt zu Ende führen kann", erzählt Melanie Verhovnik-Heinze.

Sie ist in einem Drittmittelprojekt im Bereich Evaluation und Extremismusprävention tätig und arbeitet seit dem Ende des Mutterschutzes wieder zu 100 Prozent. „Aktuell arbeite ich aufgrund der Corona-Pandemie vollständig im Home-Office und kann meine Arbeitszeiten flexibel zwischen 6 und 22 Uhr legen. Aber auch ohne Corona-Pandemie hätte ich die Möglichkeit gehabt, maximal die Hälfte meiner Arbeitszeit zu Hause zu verbringen. Zudem gibt es im Institut ein Eltern-Kind-Zimmer, um beispielsweise zu stillen. Das erleichtert immens die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das DIPF ist wirklich ein sehr familienfreundlicher Arbeitgeber", resümiert sie.

Noch gehöhren solche Beispiele eher zu den Ausnahmen, aber es geht wenigstens langsam voran. Die ADS beschäftigt sich derzeit in einer Studie mit der Frage nach Diskriminierungsrisiken fürsorgender Erwerbstätiger im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen. Bis zum Sommer 2022 muss eine zugehörige EU-Vereinbarkeitsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden.

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