Elisabeth Werder

Freie Journalistin & Texterin, Diespeck

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Vom Aussterben bedroht

Artenkenner*innen stehen sozusagen selbst auf der Roten Liste. Doch immer mehr Initiativen und Förderprogramme steuern dagegen. Wer die Angebote nutzt, kann sich mittel- und langfristig neue berufliche Perspektiven eröffnen.

Text: Elisabeth Werder

Unsere Biodiversität ist ein Schatz, den es zu schützen und zu pflegen gilt. Um die biologische Vielfalt zu erhalten, Lebensräume zu schaffen und gefährdete Tier- und Pflanzenarten zu retten, muss man jedoch erst einmal wissen, wer oder was unseren Schutz bedarf. Verschiedene Arten zu bestimmen und zu benennen ist Aufgabe von Taxonominnen und Taxonomen. Diese Expert*innen schlagen Alarm, wenn Arten verschwinden oder deren Nachwuchs nicht mehr gedeiht: Sie fungieren als „Frühwarnsystem“, das Veränderungen in der Natur viel schneller erkennt als Wissenschaftler*innen im Labor. Dabei ist bereits seit Jahren erkennbar: die Artenvielfalt nimmt weltweit ab. Doch nicht nur das, auch die entsprechenden Fachleute werden immer weniger.


Die Mehrheit der heute ausgebildeten Biolog*innen hat keine tiefergehenden Artenkenntnisse mehr. Die Zahl der Expert*innen, die Kurse und Weiterbildungen geben können, wird immer kleiner. Dadurch fehlen Ansprechpartner oder Mentorinnen für Einsteiger*innen, die Artenkenntnisse erlangen möchten. An Hochschulen und Universitäten werden zu wenige Kurse angeboten, in denen Artenkenner*innen ausgebildet werden. Das liegt an zu wenig Zeit, zu wenig Budget für Exkursionen oder Gelände-Kurse und der marktwirtschaftlichen Ausrichtung: Weil Hochschulen Drittmittel aus der Industrie erhalten, geht es bei Lehre und Forschung häufig vor allem um Gentechnik.


Nationale Ausbildungsinitiative


Aus diesen Gründen hat der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) schon 2007 gemeinsam mit Fachgesellschaften und weiteren Verbänden die „Nationale Ausbildungsinitiative Taxonomie“ für Deutschland als gemeinsame Bundes- und Ländersache ins Leben gerufen. Neben einer Verdeutlichung des dringenden Handlungsbedarfs ging es in dem zugehörigen Papier vor allem um die Einrichtung von Stiftungsprofessuren. Weil die Hochschulausbildung aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Ländersache ist, wurde zunächst keine Verbesserung der Situation erwirkt. Aber: „Steter Tropfen höhlt den Stein – wir haben immer wieder nachgehakt und tun es noch“, resümiert Kerstin Elbing vom VBIO.

Im März 2017 beschloss die große Koalition einen Antrag „Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen“. Demnach ist es Aufgabe der Bundesregierung, sich im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel „zusammen mit den Ländern dafür einzusetzen, dass an geeigneten Universitätsstandorten Schwerpunktprogramme der integrativen Taxonomie und angewandten Ökologie zur Förderung von Forschung und Lehre in enger Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen entstehen. Dabei gilt es auch Wege zu finden, wie der Sachverstand der Zivilgesellschaft besser eingebunden werden kann“ – Stichwort Citizen Science.


Um die (Nachwuchs-)Förderung von Taxonom*innen voranzutreiben, gibt es heute daher im gesamten Bundesgebiet verschiedene Initiativen und außerschulische Projekte, die konkrete Angebote zur Aus- und Weiterbildung schaffen. „Wir dürfen da kein Loch einreißen lassen, denn wenn es irgendwann keine fachkundigen Taxonomen mehr gibt, haben wir ein Problem – das können Neueinsteiger oder Nachwuchskräfte nicht innerhalb von einem halben Jahr neu lernen“, bekräftigt Elbing. „Eine gute Artenkenntnis entsteht nicht von heute auf morgen. Experten für eine oder mehrere Arten müssen jahrelang lernen, üben und möglichst auch Erfahrungen draußen in der Natur sammeln.“


Neben Schulungen und Exkursionen für Menschen aus dem haupt- und nebenamtlichen Naturschutz gibt es auch digitale Angebote, mit denen man von Zuhause aus seine Artenkenntnis vertiefen und erweitern kann. Dazu gehört zum Beispiel das Projekt BISA – Biodiversität im Schulalltag des Lehrstuhls Didaktik der Biologie (LMU München). Auf einer Online-Plattform können sich Interessierte mit Hilfe von Videos und Beiträgen über Pflanzen, Wirbeltiere, Insekten und Ökosysteme informieren und ihr neu gelerntes Wissen bei einem interaktiven Quiz überprüfen.


Förderprojekt KennArt


Einige der realen und virtuellen Projekte werden im Bundesprogramm Biologische Vielfalt des Bundesamtes für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert, wie beispielsweise das Projekt KennArt von der NABU-Naturschutzstation Münsterland e.V. und dem Zentrum für Biodiversitätsmonitoring am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig. KennArt ist eine bundesweite Initiative zur Förderung von Artenkenner*innen. „Mit unserem Angebot wollen wir gezielt haupt- und ehrenamtlich tätige Menschen aus dem Bereich Naturschutz ansprechen – zum Beispiel freiberufliche oder angestellte Gutachterinnen, Mitarbeiter in Planungsbüros, ehrenamtliche Kartiererinnen und Studierende, die sich spezialisieren möchten“, erklärt Claudia Knauft-Pieper von der NABU-Naturschutzstation Münsterland. Derzeit werden Schulungen geplant, in denen Artenkenner*innen vertiefende Kenntnisse zu verschiedenen Organismengruppen erlangen sollen.


Zur Bedarfsanalyse hat das Projekt im Dezember 2020 eine Online-Umfrage gestartet. „Wir wollten dabei erfahren, bei welchen Organismengruppen die Menschen den größten Bedarf zur Förderung der Artenkenntnis sehen, wofür sie sich beruflich und privat interessieren und welche Schulungsformen für sie attraktiv erscheinen“, sagt sie. Die Ergebnisse der Umfrage sollen in die Entwicklung der Schulungen einfließen: „Im Rahmen unseres Projekts werden wir ein mehrstufiges Schulungssystem für ausgewählte Organismengruppen sowie entsprechende Lehrpläne und Schulungsmaterialien entwickeln. Die Schulungen werden mehrtägig sein und durch Geländeexkursionen und digitale Lernformate ergänzt“, sagt Knauft-Pieper weiter. Die Teilnehmenden lernen dabei nicht nur, wie Arten richtig bestimmt werden, sondern auch in welchen Lebensräumen sie vorkommen, welche entscheidende Rolle sie in unserem Ökosystem spielen und wie sie geschützt werden können.

 

Expertise als Wettbewerbsvorteil


Biodiversität zu schützen ist keine brotlose Kunst: Arbeitgeber brauchen Mitarbeiter*innen, die Artenlisten verstehen und beurteilen können. In der Berufspraxis werden Artenkenner*innen in vielen Bereichen des Natur- und Umweltschutzes benötigt. Einerseits erforschen sie die Vielfalt der Arten, andererseits sollen sie Maßnahmen gegen einen Artenverlust entwickeln und ausführen. Artenkenner*innen kartieren Lebensräume, erstellen Umweltgutachten und halten „Rote Listen“ aktuell. Eine konkrete Aufgabe finden sie zum Beispiel als Gutachter*innen, in Planungsbüros, Naturschutzbehörden und -verbänden oder Naturkundemuseen.


„Es kann ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein, wenn man sich vertieft mit verschiedenen Organismengruppen und deren ökologischer Relevanz auskennt – am besten nachgewiesen durch die Teilnahme an einem Kurs oder einem Zertifikat“, weiß Dr. Hannah Reininghaus vom Zentrum für Biodiversitätsmonitoring am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn. Fundierte Artenkenntnis ist im Bereich des Biodiversitätmonitorings essenziell. „Um den Rückgang oder die Veränderung der Biodiversität einordnen zu können, benötigt man vertiefte Artenkenntnis. Dazu gehört neben der Bestimmung der Arten auch die Einordnung der Arten in ihren Lebensraum“, sagt Reininghaus.


Vielfältige Initiativen


Auch, wenn sich der Biologenverband VBIO und andere Naturfreunde heute einen ganz anderen Stand wünschen würden, so hat sich im Bereich Biodiversität und Taxonomie in den letzten Jahren einiges getan. Ein bundesweites Beispiel ist die Initiative „Biodiversity in Good Company“: Unternehmen unterschiedlicher Branchen haben sich zusammengeschlossen, um sich für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der weltweiten Biodiversität zu engagieren. „Dahinter steckt oft mehr als bloß Greenwashing“, weiß Elbing.


Aber auch in einzelnen Bundesländern und Kommunen rückt das Bewusstsein um die Relevanz von Artenkenntnis in den Vordergrund. Der BUND Naturschutz in Bayern e.V. zum Beispiel bietet zahlreiche Veranstaltungen im ganzen Freistaat an, darunter die Ornithologischen Tage im Naturschutz- und Jugendzentrum Wartaweil und Angebote in den landesweiten Kreisgruppen und Ökostationen.  Eines davon ist die Kursreihe zum Erhalt der Artenkenntnis vom BUND Naturschutz Bamberg, welche im November 2020 gestartet ist. Die Angebote richten sich an Privatpersonen, Landwirtinnen und Landwirte sowie die Universität Bamberg und ortsansässige Schulen.


Ähnlich handelt die Initiative Artenkenntnis, ein Projekt des Landesnaturschutzverbandes Baden-Württemberg e.V.: Eine Kombination von Netzwerken, Lobbyarbeit und eigenen Projekten soll dem Artensterben entgegenwirken. Deren Angebot „Youth in Nature“ zum Beispiel lädt Jugendliche dazu ein, über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren regelmäßig in festen Kleingruppen gemeinsam in die Natur zu gehen und sich Artenkenntnisse anzueignen.


Eigeninitiative ist gefragt


Die Bemühungen von Bund und Ländern sowie die vielen Angebote zur Weiterbildung bleiben jedoch wertlos, wenn sie nicht von der Bevölkerung angenommen werden. Artenkenner*innen müssen nicht unbedingt studierte Biologinnen und Biologen sein, sondern ebenso Menschen mit einem starken Interesse und Freude an der Natur. Vor allem Kinder haben eine intrinsische Motivation, Tiere und Pflanzen kennenzulernen. In Kombination mit ihrer schnellen Auffassungsgabe und Freude an der Natur ist der Grundstein für das Erlernen einer konkreten Artenkenntnis bereits gelegt. Das heißt auch: Ob mit oder ohne Biologiestudium – jede*r kann sich spezifische Artenkenntnisse aneignen und damit ein Hobby finden oder vertiefen, oder aber sich beruflich neue Perspektiven eröffnen. Die Möglichkeiten im Netz und vor Ort sind vielfältig; sie müssen nur genutzt werden.


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Weitere Informationen:

Nach Auswertung der Umfrage zum Schulungsbedarf im Bereiech Artenkenntnisse, werden die Ergebnisse vom Projekt KennArt online veröffentlicht: www.artenkenntnis.de.