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München: Werbekampagne zeigt Stärken von Menschen mit Behinderungen

Kim Dauer (links), 14, und Matti Buchner, 18, gehen beide auf die inklusive Schule. (Foto: Sebastian Dürst)

Mit einer Werbekampagne zeigt die Stiftung Pfennigparade die Talente von Menschen mit Behinderungen. Ziel ist, Berührungsängste abzubauen.


Auf das Talent soll es ankommen. Menschen mit Behinderung in ihrer Vielfältigkeit porträtieren, Hürden abbauen, einander wahrnehmen. Darum geht es in der Kampagne der Pfennigparade, die bis kommenden Dienstag auf Plakaten an Münchner Bus- und Trambahn-Haltestellen zu sehen ist. "Uns war wichtig, dass die Protagonisten der Kampagne nicht anhand ihrer Behinderung vorgestellt werden", sagt Katharina Neudorfer über das Konzept, das sie gemeinsam mit ihren fünf Kollegen aus der Abteilung Marketing und Kommunikation erarbeitete. Sie ist erst seit wenigen Monaten bei der Stiftung tätig. "Menschen sehen. Talente sehen. Chancen sehen", lautet der Claim.

"Gerade bei Menschen ohne Behinderung, die aus ihrem eigenen Umfeld kaum behinderte Menschen kennen, bestehen immer noch Berührungsängste", erklärt Katharina Neudorfer ihre Gründe, zur Pfennigparade zu wechseln. Diese Hürde auf dem Arbeitsmarkt, in der Öffentlichkeit und im Alltag zu überwinden, berge viel ungenutztes Potenzial. Bei der Platzierung der Kampagne gehe es also darum, an der Haltestelle vom Handy aufzuschauen und die Menschen um sich herum wahrzunehmen - und zwar auch unabhängig von Behinderungen oder Nicht-Behinderungen.

So auch die sechs Personen, die auf den Plakaten in die Kamera lachen. Auf den Fotos steht neben ihrem Namen ihr Talent oder Beruf. Da posieren beispielsweise Kim Dauer und Matti Buchner nebeneinander, die gemeinsam eine inklusive Schule besuchen. Das sieht unter anderem so aus, dass im Sportunterricht alle gemeinsam im Rollstuhl Basketball spielen und so die nichtbehinderten Schüler eine neue Perspektive kennenlernen.

Oder die Schauspielerin und Sängerin Leonie Streuber, die Arm in Arm mit ihrer Kollegin Regina Kögler auf den Plakaten zu sehen ist. "Meine Krankheit hatte damals dazu geführt, dass ich Defizite habe, die gesunde Menschen nicht haben, nicht verstehen oder nachvollziehen können", sagt Streuber. Ihre Einschränkungen sehe man ihr auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Das führe häufiger zu Situationen, in denen sie sich missverstanden fühlt oder Erwartungen an sie gestellt werden, die sie nicht erfüllen kann. "Oft werde ich daher nicht ernst genommen, was mich traurig macht. Ich fühle mich dann auch ausgenutzt, ausgegrenzt und minderwertig behandelt." Sie hofft, dass sich durch die Kampagne ein respektvollerer Umgang etabliert und dass Menschen ohne Behinderung ihre Scheu im Umgang mit Menschen mit Behinderung ablegen. Daher habe sie sich entschieden, mitzumachen. Im ersten Moment sei es eigenartig gewesen, sich selbst auf den Plakaten zu sehen, es habe sie aber auch stolz gemacht.

"Momentan werden viele auf uns aufmerksam und das ist einfach schön", sagt auch Regina Kögler. Davon erhofft sie sich mehr Aufgeschlossenheit, gerade auf dem Arbeitsmarkt. "Ich würde mir wünschen, dass diese Leute offener mit einem umgehen. Denn oft können wir Behinderten erstaunlich viel selbst und wissen, wo unsere Risiken sind. Des Weiteren können wir die Frage, ob und wenn ja wie man uns helfen kann, am besten selbst beantworten und tun dies auch oft gerne."

Arne Wettig, Controller bei der Pfennigparade, beschreibt die Stiftung als Chancengeber. "Ich habe mich bereit erklärt, mitzumachen, weil die Kampagne sich nicht auf das Geldeinsammeln beschränkt, sondern auch für ein nach vorne gerichtetes, positives Denken wirbt", erklärt der begeisterte Rollstuhl-Basketballer und Monoskifahrer.

Die Kampagne brauche München im öffentlichen Raum, um Inklusion mehr als integralen Bestandteil einer lebendigen, voneinander lernenden Stadtgesellschaft zu etablieren, sagt auch Thomas Heymel, Leiter des Corporate Development bei der Pfennigparade. Die Stiftung Pfennigparade wurde Anfang der Fünfzigerjahre gegründet und setzt sich inzwischen für Inklusion von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen ein. Dabei geht es einerseits darum, in beruflicher Hinsicht mehr Chancen zu bieten, aber auch darum, den Austausch von Menschen mit und ohne Behinderung zu fördern. Zu aktuellen Projekten gehören neben inklusiven Schulen und Kindertagesstätten auch Teams mit behinderten Mitarbeitern, die darauf spezialisiert sind, Lösungen zur Vermeidung von Barrieren im digitalen Bereich zu entwickeln. In den Isarauen im Englischen Garten betreibt die Stiftung außerdem ein inklusives Freizeitgelände.

Da finanzielle Mittel in der Pfennigparade an so vielen Stellen eingesetzt werden können, liegt auf dem Marketing normalerweise wenig Augenmerk - das war erst durch die Förderung der Kampagne möglich. "Viele der Mitwirkenden haben sich außerdem von sich aus bereit erklärt, mitzumachen und uns dabei zu unterstützen, weil sie das Thema wichtig finden", erklärt Katharina Neudorfer. Und es musste schnell gehen, die Kampagne wurde in wenigen Wochen umgesetzt. Als das Marketing-Team sich die Frage stellte, wie sie ihre Botschaft auch bildlich umsetzen können, war direkt klar: Es soll nicht nur eine Person vorgestellt werden, dafür gibt es zu viel Talent und Vielfalt bei der Pfennigparade. "Uns war die Position der Stärke wichtig."

Die Kampagne soll auch auf den Social-Media-Kanälen der Stiftung begleitet werden. "Es gab so eine tolle Resonanz, dass wir noch mit viel mehr Menschen bei der Pfennigparade darüber gesprochen haben, worauf sie stolz sind und was Inklusion für sie bedeutet", sagt Katharina Neudorfer. So sind viele Fotos und Videos entstanden. Auch über die Kampagne hinaus verfolge die Pfennigparade zukünftig das Ziel, ihr Publikum auf den sozialen Medien mehr auf inklusive Projekte aufmerksam zu machen. Beispielsweise durch die Dokumentation von Besuchen in Wohngruppen: "Wir wollen die Geschichten, die hier überall gelebt werden, erzählen. So arbeitet man ja auch daran, dass Barrieren und Hemmschwellen gesenkt werden."


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