Sido als Verschwörungstheoretiker Kinderblut, "alte Clans" und Medienskepsis
Ein Sänger, ein Star-Koch, ein Tanz-Coach: Immer mehr Prominente verbreiten Verschwörungstheorien. Nun sorgt Pop-Rapper Sido für Kopfschütteln. Worüber er spricht und was dahinter steckt.
Elisa von Hof
Er wolle jetzt nicht zu tief in diese Themen vordringen, sonst setze man ihm noch den Aluhut auf, sagt Sido. Aber er rede ja bloß von Fakten. Und von Kinderblut, Medienverschwörungen und einer globalen, reichen Elite, die über Gesetzen und über der Bevölkerung stehe.
Immer mehr Prominente fallen zurzeit durch die Verbreitung kruder Verschwörungstheorien auf. Der vegane Kochbuch-Autor Attila Hildmann etwa glaubt, dass hinter dem Coronavirus die gezielte Dezimierung der Weltbevölkerung stehe, der Tanz-Coach Detlef D. Soost will sich gegen eine vermeintliche Zwangsimpfung wehren - und der prominente Sänger und ehemalige TV-Juror Xavier Naidoo wettert in Videoclips gegen politische Korrektheit, Geflüchtete und eine angebliche jüdische Weltverschwörung. In einem Interview auf YouTube hat nun auch der populäre Rapper Sido ("Pyramiden") fragwürdige Thesen geäußert.
Das Gespräch zwischen dem Musiker aus Berlin und dem Rapper Ali Bumaye, der ihn auf seinem Kanal befragt, mäandert zunächst zwischen Kumpeleien, Sidos Autokino-Konzerten und einer Erklärung zu seinem satirisch gemeinten Hitler-Witz in Kitzbühel. Nach einigen Minuten kommen die beiden dann auf Idole zu sprechen.
Seines sei Harald Juhnke, sagt Sido, der mit bürgerlichem Namen Paul Würdig heißt. Als Bumaye wissen will, ob dieser an Alkoholismus gestorben sei, antwortet Sido, er wisse es nicht, Juhnke habe ja 50 Jahre "gesoffen", eine lange Zeit also. Man könne ja auch nicht behaupten, Helmut Schmidt sei wegen seines Rauchens gestorben. "Vielleicht hat er ja Kinderblut getrunken", sagt Sido dann - und eröffnet aus dieser beiläufig hingeworfenen Pointe heraus das Gespräch über Verschwörungstheorien.
Xavier Naidoo sprach neulich in einem seiner Videos von einer Sekte, die Kinder entführe und deren Blut als Verjüngungsdroge verkaufe. Ob er das glaube, fragt Bumaye Sido. Kinder verschwänden immer wieder auf unerklärliche Weise, versucht sich der Rapper an einer Antwort: "Da sind so Dinge, sehr reiche, sehr mächtige Leute, die sich daran irgendwie, keine Ahnung, was die damit machen, aber ich glaube schon daran, dass so etwas sein kann."
Damit greift Sido einen Strang der "QAnon"-Verschwörungstheorie auf: Politiker und Prominente, eine diffuse "Elite", sei an einem Kinderhändlerring beteiligt. Aber Sido wird nicht konkret. Er deutet bloß an, bleibt in der Ungenauigkeit der Modalverben. Aber ist erst einmal vermutet, "dass so etwas sein kann", wird vermeintlich Unsagbares salonfähig macht. Rechtspopulisten kennen diese Strategie, sie hat der AfD zu Erfolg verholfen und den Diskurs nachhaltig verschoben.
Er kenne Rapper aus "Frankfurt und der Ecke", sagt Sido des Weiteren im Video, die angeblich schon "Kontakt mit so Leuten hatten und komische Fragen gestellt bekommen haben, die denen klargemacht haben: Es gibt so was. Besonders in Frankfurt." Eine Kinderblut trinkende Elite in Frankfurt? Sido wird auch in diesem Punkt nicht genauer. Er suggeriert allerdings, dass er den Rappern vertraue, die ihm all das berichtet hätten. Dieses Vertrauen bekräftigt seine Vermutung, rückt sie in die Nähe von Wahrheit. Der Rest ist dem Publikum überlassen, das Sidos Pauschalisierungen selbst mit Deutung füllen muss. "So was" kann schon sein, insinuiert er, vor allem aber ist es: geheim. Damit inszeniert sich der Rapper nicht bloß als Insider, er sät Misstrauen.
Sido spannt zudem einen Bogen von jenen, die "komische Fragen" stellten, zu denen, die angeblich Frankfurt kontrollierten. Der "alte Rothschild" etwa habe seine Kinder nach Frankfurt und Wien geschickt, sagt Sido. "Die haben angefangen, da ihr Geschäft zu machen." Deshalb sei Frankfurt heute auch eine Bankenstadt. Damit befeuert Sido das Stereotyp des Finanzjudentums, wonach "mächtige, gierige" Jüdinnen und Juden angeblich das Finanzsystem und so manche Regierung unterwanderten, um sich zu bereichern. ( Naidoo hat sich darüber bereits 2009 ausgelassen.)
Durch die Verknüpfung des Ortes wird dieses antisemitische Narrativ mit der angeblichen Kinderhändlersekte in Verbindung gebracht. Damit scheint im Sinnzusammenhang klar, wer die "reichen, sehr mächtigen Leute" sein müssen, die vermeintlich Kinder verschwinden lassen. Schon seit dem Mittelalter geistert die Ritualmordlegende, nach der Juden angeblich das Blut von Kindern tränken, als gefährliches Stereotyp des christlichen Antisemitismus durch wirre Köpfe.
"Egal, wie viel Geld wir einmal haben werden in unserem Leben, wir sind nix. Wir bleiben nix. Da kommen wir gar nicht hin", erzählt Sido weiter und meint damit eine reiche Politik- und Gesellschaftselite. "In diese Ligen", sagt er, gelange man nur durch "Vetternwirtschaft" oder "gewisse Bruderschaften". Als Bumaye wissen will, wen er meine, Rockefeller etwa, antwortet Sido: "Alteingesessene Familien, die alten Clans".
Damit bedient Sido ein Freund-Feind-Schema, das in "wir hier unten" und "die da oben" unterteilt. Die anderen dort oben entzögen sich demokratischen Strukturen und würden von klandestinen Netzwerken profitieren, die "uns" vorenthalten blieben, um die Welt zu beherrschen: Geheimdienste, Freimaurer, Regierungen, Juden, sogar Außerirdische. Sido ermutigt damit zum Eliten-Hass, einem häufigen rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Narrativ.
"Die großen Medien sind alle unterwandert. Die gehörten alle "einem reichen Typen", der immer dafür sorgen werde, "dass er und seinesgleichen geschützt werden", sagt Sido außerdem. Man bräuchte daher "alternative Medien", "wahrhaftige Medien" und "Leute, die gut recherchieren". Und dass etwa die USA stark unter der Ausbreitung des Coronavirus leiden, das wisse man ja nicht, sagt Sido. Man habe es nur "gehört".
Der implizite Vorwurf lautet also: Die Presse lügt - ein alter Pegida- und Propaganda-Klassiker. Auch hier wird suggeriert, dass eine Elite das Volk manipuliere. Erneut stützt dieses Narrativ die Stilisierung des Sprechers als Opfer, das sich gegen finstere Mächte wehrt, und als Verfechter einer Wahrheit, die im demokratischen Diskurs angeblich unterdrückt wird. Belege dafür liefert auch Sido nicht, versichert aber dem überforderten Interviewer, alles, was er sage, seien Fakten.
Und Xavier Naidoo? Der sei einfach zu tief drin, sagt Sido. Was eine schwache Distanzierung ist, denn sie schließt nicht aus, dass der Mannheimer mit seinen kruden Thesen durchaus richtig liegen könnte. Sido erklärt seine Aussage nicht weiter, grenzt sich aber auch nicht zu Naidoos Antisemitismus und Rechtspopulismus ab. Stattdessen weitet er mit seinem "Das wird man ja mal fragen dürfen"-Gestus das Sagbare aus. So hat Sido quasi nichts gesagt - und doch sehr viel.