Wie prägt rechte Rhetorik unseren Diskurs? Die Soziologin Franziska Schutzbach über "politische Korrektheit", die Grenzen des Journalismus - und warum ein AfD-Politiker auch dann noch gewinnt, wenn er ein Interview abbricht.
Von Elisa von Hof
Franziska Schutzbach, geboren 1978, ist Geschlechterforscherin und Soziologin. Sie lehrt und forscht an den Universitäten Basel und München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Antifeminismus, Anti-Gender-Mobilisierung und Rechtspopulistische Kommunikationsstrategien.
SPIEGEL: Frau Schutzbach, Björn Höcke hat kürzlich ein Interview mit dem ZDF abgebrochen. Die Kollegen hatten seinen AfD-Parteigenossen Zitate aus seinem Buch sowie aus Hitlers "Mein Kampf" vorgelegt, die Unterscheidung fiel den Befragten schwer. Mit den Antworten konfrontiert, brach Höcke das Gespräch ab. Was halten Sie von der Strategie der Journalisten: Haben sie einen rechten Ideologen entlarvt?
Schutzbach: Ich halte es für klug, jemandem wie Höcke zu verweigern, seine üblichen Spielwiesen zu betreten. Statt ihn über Islam oder Schweinefleischverbote referieren zu lassen, wurde hier darauf beharrt, die ideologischen Dimensionen seines Handelns zu dekonstruieren. Denn Höcke geht es ja nicht um Tagespolitik, sondern um gesamtgesellschaftliche Veränderung. Ein Plan, der dem der Nazis eben nicht fern ist. Dass diese Tradition offengelegt wurde, hat ihn überrumpelt. Die Politologin Natascha Strobl hat das präzise analysiert: Weil die Journalisten und Höcke auf verschiedenen Diskursebenen rangen, hat Höcke das Interview abgebrochen.
SPIEGEL: Ist das Medienstrategie oder spontane Reaktion?
Schutzbach: Das ist sicher ein Stück weit Kalkül: Wenn Rechtspopulisten ihre übliche Selbstinszenierung nicht abspulen können, wird abgebrochen und gedroht. Wer kritische Fragen stellt, ist ein Feind. Höcke hat seinen autoritären Kern gezeigt, leider wurde er deshalb trotzdem nicht entzaubert.
SPIEGEL: Warum nicht?
Schutzbach: Journalisten kommen bei rechtspopulistischen Strategen an ihre Grenzen: Sie können jede Form von Aufmerksamkeit für sich nutzen, auch negative. Dass wir diese Debatte führen, wird der AfD wieder nutzen. Denn mit dem Interview konnte Höcke sich als Opfer der Medien und mutiger Tabubrecher inszenieren. Außerdem wissen wir ja über ihn, dass er zum faschistischen Flügel der AfD gehört. Wir müssen ihn nicht mehr reden lassen oder interviewen, um das zu zeigen.
SPIEGEL: In Ihrem Buch beschreiben Sie 20 wichtige Diskursstrategien von Rechtspopulisten, etwa Kritik an der "Elite" oder die Etablierung eines Freund-Feind-Schemas. Was aber macht ihre Rhetorik aus?
Schutzbach: Sie stellt Querverbindungen zu den Konservativen her, auch zu Liberalen, sogar zu Linken. Sie hat eine Scharnierfunktion, um rechte Ideologie massentauglich und kompatibel zur bürgerlichen Mitte wirken zu lassen. Zentral ist da, mittels einer verzerrten Darstellung der Wirklichkeit Angst und Hass zu schüren - etwa mit den mittlerweile bekannten Begriffen "Flüchtlingsstrom" oder "Islamisierung des Abendlandes".
SPIEGEL: Als eine weitere wichtige Strategie nennen Sie zum Beispiel die "Entdiabolisierung", ein Begriff, der auf Marine Le Pen zurückgeht. Was meinen Sie damit?
Schutzbach: Der Front National, aber auch etwa die Schwedendemokraten oder die AfD wollten sich damit einen bürgerlichen Anstrich verpassen. Entdiabolisierung bedeutet, statt rechtsextremer Werte bürgerliche wie Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung und Freiheit für sich zu beanspruchen. Das Ziel ist, die extremistischen Elemente der Parteien uneindeutig zu machen. Damit erfüllen Rechtspopulisten eine paradoxe Doppelrolle von Bürgerlichkeit und Extremismus, die bisher aufgeht. Genauso ist es mit der Äquidistanz.
SPIEGEL: Was ist das?
Schutzbach: Das bezeichnet die Strategie, scheinbar über allen Kategorien zu schweben. Frauke Petry meinte zum Beispiel einmal, es gehe ihr nicht um rechts oder links. Auf diese Weise erscheinen Rechtspopulisten als mittig und unideologisch. Damit kann man rechtes Potenzial verschleiern und sich als seriöse, vernünftige Alternative geben.
SPIEGEL: Wie sind diese Strategien entstanden?
Schutzbach: Die heute populäre rhetorische Figur der "politischen Korrektheit", mit der Menschenrechte und Gleichstellung als politische Tyrannei diskreditiert werden, geht zum Beispiel zurück auf die Reagan-Ära, das war eine Strategie des US-amerikanischen Wahlkampfes. In den Neunzigern wurde sie von antisemitischen, rechtsradikalen Verschwörungstheoretikern in den deutschen Sprachraum überführt. Heute ist dieser Begriff auch salonfähig, weil das politische Feuilleton ihn so lange bejubelt hat, bis demokratische Prämissen wie Menschenrechte oder Gleichstellung unter Verdacht gerieten. Deswegen können Rechtspopulisten heute behaupten, dass deren Proklamation totalitär sei.
SPIEGEL: Das wurde auch dem Sänger Herbert Grönemeyer vorgeworfen, als er sich auf einem Konzert lautstark gegen Faschismus positionierte.
Schutzbach: Es ist heute ein Ausdruck angeblicher liberaler Freiheit, gar von Punk, sexistisch oder rassistisch zu sein und von "linker Meinungsdiktatur" zu reden. Und es ermöglicht Rechtspopulisten, sich als Freiheitskämpfer für Demokratie zu inszenieren. Tatsächlich meinen sie aber mit "Freiheit" die Infragestellung von Egalität, angestrebt wird eine Gesellschaft, die wieder hierarchisch organisiert ist, in der nicht alle Menschen gleich viel wert sind.
SPIEGEL: Argumentativ kann man Rechtspopulisten nicht entkräften, weil sie mit Emotionen hantieren. Macht man sich über sie lustig, stilisieren sie sich als Opfer. Hilft nur noch Ignoranz?
Schutzbach: Es kommt auf die Art der Nichtbeachtung an: Wir sollten ihnen keine Bühne mehr bieten, aber über sie reden - also etwa Höckes Sprache, sein Denken, sein Buch analysieren. Wir dürfen die Neuen Rechten nicht unterschätzen oder als unwichtig abtun. Es besteht kein Zweifel daran, dass es rechte Kräfte gibt, die Macht übernehmen wollen. Aber: Wir sollten ihre Umsturz-Phantasmen auch nicht überhöhen und damit dazu beitragen, dass sie noch bedeutsamer werden.
SPIEGEL: Viele Menschen fühlen sich demgegenüber ohnmächtig, auch im Privatleben. Wie können wir diesen Diskursen im Alltag begegnen?
Schutzbach: Ich bin zwar nicht dafür, mit rechten Ideologen zu sprechen, aber doch mit Menschen, die nach rechts driften. Wir sollten mit ihnen streiten und klar machen, dass wir ihnen nicht zustimmen. Dass wir uns nicht als "das Volk" sehen, von dem die AfD immer spricht.
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