Bereits seit 1927 wird in Deutschland die „Miss Germany" gewählt. In Zeiten von Body Positivity und Diversity scheint es verwunderlich, dass Formate dieser Art noch immer gesellschaftliche Anerkennung genießen. Dennoch bleibt es der Traum vieler junger Mädchen, irgendwann einmal selbst die Krone der Beautyqueen zu tragen. Unsere Autorin hat das Phänomen Schönheitswettbewerb genauer unter die Lupe genommen.
Europa-Park Rust, 15. Februar 2020: 16 Frauen und über 2000 Live-Zuschauer fiebern dem Finale um den Titel der Miss Germany entgegen. Vor der endgültigen Entscheidung wird jede der Kandidatinnen in einem kleinen Einspieler vorgestellt. Die Kielerin Leonie von Hase erklärt, was Schönheit für sie bedeutet: Lebenserfahrung, Lebensweisheit und sich in seiner eigenen Haut wohlzufühlen. Diese Werte verkörpert die 35-Jährige - und kommt damit bei der Jury offensichtlich gut an. Nur knapp 2 Stunden später wird sie die Wahl zur nächsten Schönheitskönigin gewinnen.
Im Jahr 2020 stand der Wettbewerb unter dem Motto „Empowering authentic women". Über 15000 Frauen hatten sich im Vorfeld beworben und bewiesen damit einmal mehr, dass das Interesse für Schönheitswettbewerbe in Deutschland nicht nachlässt. Ginge es allerdings nach den Organisatoren der Show, wäre das Wort „Schönheitswettbewerb" für das Projekt Miss Germany sowieso schon längst nicht mehr angebracht. Geschäftsführer Max Klemmer, dessen Familie seit knapp 60 Jahren die begehrten Krönchen vergibt, betont, dass die Siegerin nicht nur durch Schönheit überzeugen soll, sondern vor allem durch Persönlichkeit, Charakter und Lebensgeschichte. Wie aber misst man die Lebensgeschichte einer Kandidatin? Eine Miss-Wahl basiert schließlich auf subjektiven Vergleichen und dem besseren beziehungsweise schlechteren Abschneiden gegenüber anderen. Ist heutzutage nur diejenige „schön", die im Ausland studiert und schon vor ihrem 30. Geburtstag eine Firma gegründet hat?
Tatsächlich fällt auf, dass viele der Kandidatinnen diese oder ähnliche Erfahrungen mitbringen. Eine der Teilnehmerinnen für die kommenden Wahl im Jahr 2021 berichtet davon, dass sie die letzten sechs Jahre in Australien und Neuseeland verbracht hat und ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt wurde, als ihr am Flughafen die Wiedereinreise verwehrt wurde. Eine andere schreibt, dass Avocados, Squats, Ibiza und Gin Tonics zu ihren liebsten Dingen zählen. Außenstehende bekommen dadurch das – leider ziemlich realistische – Bild vermittelt, dass die Tore zur glitzernden Miss-Welt nur privilegierten Frauen offenstehen. Was daran genau „empowering“ ist, muss dringend hinterfragt werden.
Die diesjährige Gewinnerin Leonie von Hase ist immerhin ein kleiner Lichtblick in der Welt der naiven Weltverbesserungs-Blondchen: Mit 35 Jahren ist sie die bislang älteste Kandidatin und zudem die erste Mutter, die den Titel holt. Auch das Entscheidungsgremium bestand 2020 zum ersten Mal nur aus weiblichen Jurorinnen. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, zu mehr Diversität und einem neuen Frauenbild. Dennoch wird nach dem Finale von vielen Seiten offen kritisiert, dass Leonie nicht dem klassischen Schönheitsideal entspricht.
Wettbewerbe wie „Miss Germany“ stehen vor einem komplexen Dilemma: Einerseits werden sie traditionell mit der Bewertung von Aussehen verbunden, andererseits scheint dieses Konzept heutzutage nicht mehr aktuell. Die alternative, diversity-orientierte Variante wirkt allerdings auch gezwungen und aufgesetzt. In den knapp 100 Jahren der Miss-Wahl hat es noch keine schwarze Siegerin gegeben, Plus Size-Models und Mitglieder der LGBTQ+ Community tauchen unter den Kandidatinnen zwar auf, allerdings nur vereinzelt. Das Ganze erinnert stark an das Prinzip von „Germany’s Next Topmodel“: Frauen, die zu sehr vom Standard abweichen, fungieren als Quoten-Aufbesserer und schaffen es allenfalls ins Halbfinale. Letztendlich wird immer noch aufgrund von Äußerlichkeiten oder Image entschieden – andere Dinge lassen sich eben auch denkbar schlecht vergleichen.
Offen gesagt sind Schönheitswettbewerbe heutzutage nur ein weiteres Sprungbrett ins allseits beliebte Influencerdasein. Wie sehr diese Ausrichtung auch von den Organisator*innen unterstützt wird, merkt man schon allein daran, dass eine Expertin für Social-Media-Marketing in der Jury sitzt. Vielen Teilnehmerinnen geht es vor allem darum, ihre Follower*innenzahlen zu erhöhen und nicht darum, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Entgegen der vorab verbreiteten Intentionen der Miss-Wahl steht das Eigeninteresse hier also sehr wohl vor dem Gemeinwohl.
Ein radikaler, aber sicherlich effektiver Vorschlag wäre es, Schönheitskonkurrenzen einfach gänzlich aus unserer Gesellschaft zu verbannen. Influencerin werden kann man auch auf eine andere Art und Weise. Und für Frauen, die es mit Feminismus und Female Empowerment wirklich ernst meinen, ist Miss Germany schlicht und einfach nicht die richtige Plattform.