Es war die vierte Razzia im Königreich. Mitarbeiter der Steuerfahndung, der Polizei und der Finanzaufsichtsbehörde Bafin trugen Computer, Festplatten, Tische, Stühle und Akten aus dem „Staatsgebiet", einem ehemaligen DDR-Krankenhaus. Nicht mal einen USB-Stick ließen die Beamten zurück.
Über Jahre hatten die Mitarbeiter von König Peter Fitzek daran gearbeitet, ihren selbstgegründeten Staat Wirklichkeit werden zu lassen: Martin Schulz, Marco Ginzel und Benjamin Michaelis hatten Fassaden gestrichen, Seminare vorbereitet, Pressemitteilungen verschickt. Mit jedem Ordner, den die Polizisten hinaus trugen, rückte die Erfüllung ihres Traumes ein Stück weiter weg.
Die Razzia liegt jetzt vier Monate zurück. Es ist Ende März und die Sonne scheint warm auf die sanierten Fassaden der Lutherstadt Wittenberg. Ginzel, Schulz und Michaelis sitzen in einem dunklen Nebenraum des „Taj Mahal" und trinken Mango-Lassi aus Messingbechern. Aus einer Ecke schaut Ganesha, der Elefantengott.
Schulz stellt sich als Rechtsberater des Königs vor, er ist der älteste der drei, 28, groß, hager und hat die lockigen dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Früher war er mal bei der Bundeswehr. Ginzel, der Pressesprecher des Königs, ist jung und pausbäckig. Bevor er zum Königreich kam, machte er einen Zwischenstopp bei der PDS und den Piraten. Michaelis, ehemals Airbrush-Künstler, ist jetzt Schatzmeister. Er hat feine Gesichtszüge. Seine Mutter hat ihm vom Königreich erzählt, seitdem ist er hier. Alle drei tragen schwarze Stoffhosen und gewienerte Anzugschuhe. Seit mehreren Jahren leben sie beim König in Wittenberg.
„Eine esoterisch-ökologisch ausgerichtete Staatsform"Das Königreich ist nicht der einzige Scheinstaat in Deutschland. Seit den 1980er Jahren gibt es die sogenannten Reichsbürger. Meist sind das Einzelpersonen, manchmal Gruppen, die behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort und die BRD sei kein legitimer Staat. Die Begründungen dafür sind vielfältig: Nicht das Deutsche Reich habe 1945 kapituliert, sondern nur die Wehrmacht, einen Friedensvertrag mit den Siegermächten habe es nie gegeben, das Land sei also noch immer besetzt, die BRD nur eine Firma der Alliierten.
Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt zählt auch Fitzeks Königreich zu diesen reichsideologischen Gruppen. „Das Königreich", sagt der Sprecher des Verfassungsschutzes Thomas Krings, „verfolgt die Bildung einer neuen esoterisch-ökologisch ausgerichteten Staatsform mit abwegigen, utopischen Vorstellungen".
Martin Schulz möchte zwar kein Reichsbürger im klassischen Sinne sein, aber ein Königreich zu errichten findet er „völlig völkerrechtskonform". Andere Reichsbürger meckern ihm zu viel und verändern zu wenig: „Wir sind nie gegen etwas", sagt Schulz mehrmals, „sondern immer nur für etwas."
Seit 2009 hat er, zusammen mit König Fitzek und den anderen, mehrere Kranken- und Rentenversicherungen gegründet. Und eine „Königliche Reichsbank" mit eigenem Geld. Die Institute finanzieren das Reich zum größten Teil. 558 Anleger sollen laut der Finanzbehörde Bafin bis zu 1,2 Millionen Euro bei der Bank angelegt haben. Weitere 360.000 Euro sollen der König und seine Getreuen mit der Krankenkasse eingenommen haben. Bis die Bafin ihnen den Betrieb untersagte und immer höhere Bußgelder verlangte. Aktueller Stand: 3,15 Millionen Euro. Weil der König keiner Zahlungsaufforderung nachkam, holte sich die Bafin ihr Geld schließlich selbst.
Noch gibt es sieben UntertanenIm Königreich sieht man die Razzien als reine Schikane. „Wenn ich an etwas glaube, dann höre ich doch nicht bei der ersten Windböe auf", sagt Michaelis. Doch die letzte Durchsuchung kann man nicht wirklich als Windböe bezeichnen. Eher als Sturm. Und der hat nicht nur das ganze Hab und Gut des Königreichs hinwegfegt, sondern er hat auch einen Großteil der verbliebenen Mitglieder vertrieben: Nur sieben Untertanen leben noch in dem verlassenen Krankenhaus.
Wer als Besucher hinein will, muss am Grenzschutz vorbei, einem gelb verputzten Pförtnerhäuschen. Dort kauft man ein Visum für sieben Euro. Auf dem Dach weht eine Fahne mit einer aufgehenden Sonnensichel. Auf dem Nummernschild des blaugrauen 3er BMW, der in der Einfahrt geparkt ist, steht: WB:KD 777 - für Königreich Deutschland. Die Sieben hält man im Reich für eine Glückszahl. Zahlensymbolik gehört zur Ideologie, genauso wie eine Mischung aus Esoterik und Verschwörungstheorien. Die Hartnäckigkeit, mit der Schulz, Ginzel und Michaelis nach jeder Razzia von vorne anfangen, erinnert an Sisyphos.
Sie schwanken zwischen Vergangenheit und Zukunft. Einerseits wollen sie etwas ganz Neues schaffen, andererseits rückt sich das Königreich immer wieder in die Nähe des Dritten Reichs: „Deutschland, Deutschland über alles und das Reich wird neu erstehen", heißt es in der Königreich-Hymne. Schatzmeister Michaelis findet das nicht so schlimm: Solche Begriffe müssten „ausgeheilt", ihr negativer Beigeschmack vergessen werden.
Sie glauben, im Königreich ein Modell für die Zukunft gefunden zu haben. Ihre selbstgeschriebene Verfassung sieht eine „basisdemokratische Räterepublik mit konstitutioneller Wahlmonarchie" vor. Für die jungen Männer ein Beweis dafür, wie innovativ ihr System ist. „Wir nehmen von allen Systemen das Beste", sagt Schulz. Es soll Wahlen geben, wenn der Staat genügend Personal hat. Im Moment gibt es aber nur einen Herrscher: Fitzek. Bis dahin führt er die Regierungsgeschäfte und lässt sich als „Oberster Souverän" ansprechen. Alle anderen sind „Souveräne".
Im Grunde wollen sie mehr Mitspracherecht. Aber braucht es dafür gleich einen neuen Staat? „Ja", sagt Schulz, „in der Bundesrepublik kann man nichts verändern." Gerade 23 Jahre alt war er, als er zum Königreich kam. Er will anders leben: „in einem System, in dem alle gewinnen und keiner verliert". Keine Schulden, dafür ein Leben im Einklang mit Natur und Mitmenschen - das schwebt ihnen vor. Eigentlich klingen sie wie Aussteiger, nur dass die sich lieber selbst regieren. Doch wer ist der Mensch, der die drei jungen Männer über Jahre hinweg von seinen Ideen überzeugt?
Skype-Schalte zu König PeterIm Skype-Fenster erscheint er, Peter Fitzek, ein 49-jähriger Mann. Die dunklen Haare hat er zum Zopf gebunden. Fitzek war nicht immer König. Er ist gelernter Koch, hat ein Tattoo-Studio und eine Kampfsportschule betrieben. Er lächelt. Es ist gewinnend gemeint. Sein erster Staatsakt: Er bietet das Du an, „Peter" ist ihm lieber als „Herr Fitzek". Den Nachnamen von Queen Elizabeth kenne schließlich auch niemand. Und er hat mal als unabhängiger Kandidat für den Bundestag kandidiert. „Hat nicht geklappt", sagt er.
Außerhalb der Demokratie hatte er mehr Erfolg: 2012 ließ sich Fitzek vor mehreren Hundert Menschen zum König krönen, samt Hermelin, Reichsapfel und Zepter. In offizieller Korrespondenz nutzt er den Zusatz „Menschensohn des Horst und der Erika Fitzek".
Seit der Razzia verbringt er seine Tage damit, Beschwerden bei den Behörden einzureichen. Erst kürzlich haben er und seine Mitarbeiter wieder ein 262-seitiges Schreiben ans Verwaltungs-gericht verfasst. Stört es ihn, dass er nun kaum noch Zeit für seine eigentlichen Projekte hat? „Nein", sagt Fitzek, „die Razzia war das Beste, was uns passieren konnte. Wir sind stärker als je zuvor." Wie zum Beweis greift er neben sich und zieht einen Brief hervor. Es ist eine Haftandrohung, weil er wieder ein Knöllchen nicht bezahlt hat. „Ich bekomme öfter mal so Einladungen", sagt Fitzek und lacht. Für seine Überzeugung würde er sterben, sagt er.
Für den Politologen Jan Rathje hat das Königreich Ähnlichkeit mit einer Sekte: „Fitzek scheint Menschen geben zu können, wonach sie sich sehnen. Er verbindet das mit der Figur des Machers und des Provokateurs." Zumindest auf die jungen Männer scheint das zuzutreffen.
Das neue KönigreichGinzel, Schulz und Michaelis stehen auf dem überwucherten Landeplatz, der hinter dem Krankenhaus liegt. Sie phantasieren, wie hier bald die Helikopter des Königsreichs starten werden. Alle drei sind nicht mehr in Wittenberg gemeldet, sagen sie. Keiner ist mehr krankenversichert, stattdessen zahlen sie in Fitzeks „Neue Deutsche Gesundheitskasse" ein. Sie erzählen von Projekten: Kindergarten, Schule, Universität. Es klingt, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis das alles existiert. Man kann das idealistisch nennen oder verblendet.
Die Abendsonne scheint mild. Für ein Foto klettert Michaelis auf das Dach des Grenzhäuschens. Er möchte die Fahne entwirren. Ein Dachziegel knallt auf den Boden. Und dann sind sie plötzlich alle oben. Für einen Augenblick wirkt es, als sei das Königreich für die drei Männer doch nur ein Abenteuer. Sie posieren wie Könige, recken das Kinn zum Himmel und schauen in die Ferne. An einem Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist. Als sie wieder unten sind, sagt Marco Ginzel leise: „Vielleicht wäre Journalismus auch für mich was gewesen." Vielleicht.