1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

HIV-positiv: "Das gesellschaftliche Stigma ist das Schlimmste"


Wie lebt es sich mit der Diagnose HIV-positiv? 2015 erfuhr André (36), dass er sich mit dem Virus infiziert hat - ein Schock für ihn und seinen Partner Fabian (26). Erst glaubten sie, dies sei Andrés Todesurteil. Heute führen beide ein ganz normales Leben und klären über die Infektion auf. Denn über HIV/AIDS gibt es jede Menge Vorurteile und Halbwissen. Dagegen hilft nur eines: darüber reden.

HIV-positiv: Kein Todesurteil

"Also der erste Gedanke war Entsetzen. Ja, ich denke, Entsetzen trifft es ganz gut", erinnert sich André an den Moment, in dem er die Diagnose HIV-positiv bekam. Zu diesem Zeitpunkt führte der Marketingberater bereits seit drei Jahren eine Beziehung mit Architekturstudent Fabian. "Ich habe mir natürlich total viele Gedanken darüber gemacht, wie ich Fabian sagen soll, dass ich HIV-positiv bin", sagt André. Mal abgesehen von generellen Fragen wie "Werde ich noch arbeiten können?" oder "Wie lange werde ich noch leben?", hatte er große Angst, dass Fabian ihn verlassen würde. Doch sein Freund dachte nie an Trennung. Fabian war von Anfang an überzeugt: "Wir schaffen das zusammen." Seine größte Sorge war vielmehr, dass sein Partner bald sterben muss. Eine völlig unbegründete Sorge, wie die beiden heute wissen. Denn HIV ist längst kein Todesurteil mehr.

HIV ist nicht gleich Aids

HIV und Aids werden oft gleich gesetzt. Das ist jedoch nicht richtig. HIV, die Abkürzung für Human Immunodeficiency Virus, ist eine Infektion, die das Immunsystem schwächt. Unbehandelt führt sie zu Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome). Wird HIV jedoch therapiert, bricht keine Aids-Erkrankung aus. Das bedeutet: Eine HIV-Infektion ist zwar stets die Ursache von Aids, doch nicht jeder HIV-Infizierte ist automatisch aidskrank.

Da das HI-Virus nicht heilbar ist, müssen Patienten lebenslang eine Therapie machen. Sie erfolgt in Form von Medikamenten. André zum Beispiel nimmt eine Tablette pro Tag und ist dadurch "unter der Nachweisgrenze", das heißt, er kann das Virus nicht weiter geben. Nebenwirkungen hat er nicht, Leber und Niere werden regelmäßig gecheckt. "Das ist recht unkompliziert für mich", sagt er. "Dadurch, dass die Therapien inzwischen so gut verträglich sind, wird HIV-positiven Menschen ein ganz normales Leben ermöglicht", bestätigt Fabian.

Der Alltag von HIV-Positiven unterscheidet sich dadurch kaum von dem gesunder Menschen. "Wenn man in Therapie ist, ist man nicht mehr ansteckend", sagt Fabian. "Damit ist man keine Gefahr mehr für andere Menschen oder speziell für seinen Sexualpartner. Und genau das wissen viele nicht."

Nur wenige lassen sich testen

Das Tückische an dem HI-Virus ist, dass man nicht zwangsläufig Symptome oder Beschwerden hat, die einem verraten, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Und selbst wenn gesundheitliche Probleme auftreten, kann man diese selbst oft nicht zuordnen. "Deswegen lassen sich relativ wenig Leute testen oder gehen erst dann zum Arzt, wenn Aids schon ausgebrochen ist", weiß André.

Überhaupt sei das größte Problem, dass die meisten gar nicht richtig Bescheid wissen. "Vor Andrés Diagnose habe ich auch immer gedacht, dass ich eigentlich ganz gut aufgeklärt bin", erinnert sich Fabian, zumal man sich mit dem Thema nicht groß beschäftige, "weil man ja gefühlt nichts damit zu tun hat." Für André und ihn habe sich da eine enorme Wissenslücke aufgetan. "Gerade am Anfang habe ich mir so Fragen gestellt wie: Können wir aus einem Glas trinken?" denkt Fabian zurück und ergänzt: "Wenn man dann weiß, dass bereits seit zehn Jahren bekannt ist, dass es durch die Therapie keinen Weg mehr gibt, sich anzustecken - weder beim Küssen, noch beim Sex ohne Kondom... das ist einfach krass, dass das keiner weiß." Dieses Unwissen führe dazu, dass in der Gesellschaft noch immer ein veraltetes Bild von HIV existiere. Und dieses gesellschaftliche Stigma sei das Schlimmste, sagen die beiden.

HIV ist kein reines Schwulenthema

Mangelndes Wissen wirke sich auch auf das Risikoverhalten der Menschen aus, erklärt André: "Klar, anfangs verhütet man meist noch mit Kondom, aber irgendwann vertraut man sich. Wie viele gehen dann wirklich mit ihrem Freund oder Freundin zum Arzt und lassen sich testen, bevor das Kondom weggelassen wird?"

Fabian kann das aus Gesprächen mit Kommilitonen bestätigen. "Wenn ich mich da so umhöre, heißt es oft "Na ja, wenn sie die nimmt, kann man das Kondom auch schon mal weg lassen." Nur wenige würden daran denken, dass noch viel mehr passieren kann als eine ungewollte Schwangerschaft. Auch das Thema Safer Sex ist längst nicht für jeden selbstverständlich. "HIV ist kein reines Schwulenthema", sagt Fabian. "Auch bei heterosexuellen Menschen gibt es viele unentdeckte Infektionen."

Nur ein Test schafft Klarheit

Die einzige Möglichkeit herauszufinden, ob man HIV-positiv ist, ist ein Test. Diesen kannst du anonym und mit Beratung bei Teststellen der Aidshilfe, bei Gesundheitsämtern oder bei Checkpoints machen. Auch Ärztinnen und Ärzte bieten HIV-Tests an. Zudem gibt es einen HIV-Selbsttest, den du zu Hause durchführen kannst. Sinnvoll ist so ein Test auf jeden Fall, wenn eine HIV-Risikosituation vorliegt, etwa, wenn beim Sex das Kondom verrutscht oder reißt oder wenn Symptome auftauchen, die auf eine HIV-Infektion hinweisen können. Dazu gehören beispielsweise Fieber über mehrere Tage, Schlappheit, Durchfall, starker Nachtschweiß, wunde Stellen im Mund oder schmerzende Mandeln und geschwollene Lymphknoten. Wer Drogen spritzt, sollte bei Drogenberatungsstellen abklären, wie häufig Tests auf HIV und Hepatitis sinnvoll sind.

Schlägt ein Test an, muss dieser häufig noch durch einen anderen, zweiten Test bestätigt werden. Es kann nämlich vorkommen, dass ein Test anschlägt, obwohl es keine HIV-Infektion gibt. So oder so ist es gut, Gewissheit zu haben: Ein negatives Testergebnis gibt dir Sicherheit und du kannst dich mit Safer Sex und Safer Use weiterhin vor HIV schützen. Ist das Testergebnis positiv, kann mit einer Behandlung begonnen werden, die es ermöglicht, auch mit der Erkrankung eine gute Chance auf eine normale Lebenserwartung und eine gute Lebensqualität zu haben.

"Nichts Besonderes"

Seit 1995 liegt die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland pro Jahr konstant bei 2.000 bis 2.500. Ungefähr 87.000 Menschen leben hierzulande mit dem HI-Virus, schätzungsweise 13.000 von ihnen wissen es nicht. Für André und Fabian war das ein Grund mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. "Unser Ziel ist es nicht zu sagen, dass man sich nicht vor HIV schützen muss, weil es ja nicht schlimm ist", betont André. "Wir wollen aufklären und zeigen, wie wichtig es ist, über dieses Thema zu sprechen. Wir wollen aber auch zeigen, dass der Umgang mit HIV-Patienten sich nicht von dem Umgang mit Menschen ohne HIV unterscheidet."

Begonnen haben die zwei ihr Engagement mit Andre's Ride, bei Benefizrennen oder bei Veranstaltungen in Nachtclubs. Seit diesem Jahr unterstützen sie außerdem die Kampagne "#nochvielvor". Damit will das Paar erreichen, dass sich die Menschen offen und vorurteilsfrei mit dem Thema HIV beschäftigen. Das soll auch Betroffenen Mut machen. Denn gegen das gesellschaftliche Stigma hilft nur eines: Reden.

Drei Facts, die du über HIV wissen solltest:

Ein HIV-Patient, der in erfolgreicher Therapie ist, ist auf keinem Weg ansteckend. HIV-Tests werden von Ärzten, Gesundheitsämtern und Aidshilfen angeboten. Ungefähr 13.000 hetero- und homosexuelle Menschen in Deutschland wissen nichts von ihrer HIV-Infektion und sind daher auch nicht in Therapie. Menschen, die von ihrer Infektion wissen, sind in der Regel in Therapie und im Gegensatz zu den 13.000 Unwissenden nicht mehr ansteckend. Nur der Test hilft!
Zum Original