Elena Matera

Journalistin (Wissenschaft & Gesellschaft), Berlin

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Artikel

Alle reden über Corona, keiner übers Klima

Berlin - Und schon wieder ein Kommentar zur Impfpflicht, ein Beitrag über eine Corona-Demo, ein Erfahrungsbericht eines Impfgegners. Seit gut zwei Jahren beherrscht die Corona-Pandemie als zentrales Thema die Medienwelt, füllt Titelseiten, Sendungen und ist das Topthema in den Talkshows. Die Nachricht, dass die Menschheit die fünfte von neun planetaren Grenzen überschritten hat und damit zunehmend unser eigenes Überleben gefährdet wird, geht derzeit komplett unter. Ganz nach dem Motto: Umwelt, Klima, Ökokrise. Wen interessiert es? Zurück zur Impfpflicht.


Fakt ist: Die Überschreitung der fünften planetaren Grenze betrifft uns alle und sollte daher eigentlich auf jeder Titelseite stehen. Insgesamt existieren neun Belastungsgrenzen oder Leitplanken, deren Überschreitung die Stabilität des globalen Ökosystems gefährdet – und damit auch unsere eigenen Lebensgrundlagen. Wir müssen innerhalb dieser Grenzen bleiben, damit der Planet stabil bleibt. Vier dieser Grenzen wurden schon überschritten: der Verlust der Artenvielfalt, der Landnutzungswandel – dazu zählt etwa die Waldzerstörung –, die Zufuhr von Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff und die Belastungsgrenze des Erdklimas, die bei 1,5 Grad liegt.


Die Grenze der neuartigen Substanzen – etwa Pestizide, Antibiotika, Industriechemikalien, Plastik – wurde noch nicht bestimmt, bis jetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass die Umweltbelastung durch diese neuen Stoffe so groß ist, dass wir den sicheren Bereich innerhalb der Grenze bei Weitem überschritten haben.


Die Masse des bislang produzierten Plastiks überwiegt die Masse aller lebenden Säugetiere. Seit 1950 hat sich die Produktion von Chemikalien verfünfzigfacht, bis 2050 wird sich diese noch einmal verdreifachen. Die neuen Stoffe schädigen wichtige biologische und physikalische Prozesse, auf die wir angewiesen sind. Sie belasten Wasser, Böden, Luft – notwendige Lebensgrundlagen für uns Menschen.

Zu den neuartigen Stoffen zählt übrigens auch Atommüll. Daher ist es mehr als bizarr, dass Atomkraft ein grünes Label erhalten soll. Und nein, radioaktiver Müll, der Mensch und Natur erheblich schadet und für den noch keine Endlagerlösung gefunden wurde, ist nicht nachhaltig, auch wenn es die Atomlobby immer wieder propagiert.


Überschreiten wir eine Belastungsgrenze, wirkt sich das automatisch auf die anderen aus. Ein Beispiel: Meere, Moore, Wälder nehmen enorme Mengen unserer Treibhausgasemissionen auf und bremsen so den Klimawandel. Zerstören wir diese Ökosysteme, indem wir sie etwa mit Chemikalien und Plastik belasten, gefährden wir nicht nur die Artenvielfalt. Auch die Erderwärmung wird so immer schneller ansteigen. Wir bringen den Zustand des Planeten ins Wanken – und verschließen dabei die Augen. Noch immer wird viel zu wenig Klima- und Artenschutz umgesetzt. Damit geben wir den zukünftigen Generationen vor allem eine Botschaft mit: Was mit Euch passiert, ist uns egal. Hauptsache, wir hatten ein gutes Leben!


Es ist Zeit, über die Belastung der Erde zu berichten, in Talkshows darüber zu sprechen, die Thematik an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Corona-Pandemie hat den entscheidenden „Vorteil“, dass sie eine Krise ist, die wir momentan live miterleben, in unserem Alltag spüren. Die Überschreitung der planetaren Grenzen ist hingegen ein komplexes, nicht greifbares Problem. Zwar sind die Grenzen eine Art Inzidenz, die uns zeigen, ob wir die kritische Schwelle überschritten haben. Was fehlt, sind die täglichen Zahlen, an denen wir uns orientieren können.


Die einzig gute Nachricht ist: Wir haben noch ein Zeitfenster, um auch den zukünftigen Generationen einen stabilen Planeten zu überlassen. Wir können die Überschreitung der Belastungsgrenzen noch rückgängig machen. Würde man in den kommenden 30 Jahren beispielsweise keine fossilen Brennstoffe mehr nutzen, würde uns das in den sicheren Bereich von mehreren Grenzen bringen: Die Luftverschmutzung ginge zurück, die Versauerung der Ozeane würde sich verlangsamen, auch die Artenvielfalt würde nicht mehr so unter Druck stehen.


Dass wir das schaffen können, haben Menschen schon einmal bewiesen: bei der Ozonschicht. Denn auch diese Belastungsgrenze wurde in den 1980ern überschritten. Die Weltstaaten einigten sich erstaunlich schnell im Montrealer Protokoll darauf, die Produktion der FCKW-Stoffe, ein Treibmittel, das etwa als Kühlmittel für Kühlschränke verwendet wurde und Ursache für das Ozonloch war, ganz einzustellen. Das Ergebnis: Das Ozonloch schrumpfte wieder und wir sind wieder innerhalb der planetaren Grenze gelandet – Zeit, das zu wiederholen.


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