Elena Matera

Journalistin (Wissenschaft & Gesellschaft), Berlin

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Artikel

Digitale Gewalt: Wir lassen uns nicht mundtot machen!

Berlin - Die Berliner Kabarettistin Idil Baydar erhält Morddrohungen per SMS und ZDF-Fußballkommentatorin Claudia Neumann wird mit Hassnachrichten im Netz überschüttet. Die Verfasser dieser Nachrichten sind fast immer Männer. Ihr Ziel: Sie wollen Frauen und marginalisierte Gruppen mundtot machen - das dürfen wir nicht zulassen.

Oft stecken bestimmte Gruppen aus der rechtsextremen Ecke hinter dem Hass im Netz, erklärte HateAid-Chefin Annalena von Hodenberg zu Beginn unserer Themenwoche zur digitalen Gewalt. Viele Mädchen und Frauen ziehen sich bereits aufgrund des Hasses aus den sozialen Netzwerken zurück, teilen seltener ihre Meinung - eine gefährliche Entwicklung. Denn ihre Stimmen werden so aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt. Das Ergebnis ist eine Diskursverschiebung nach rechts - wo bleibt der Aufschrei?


Digitale Gewalt wird stattdessen massiv verharmlost, da sie ja „nur im Internet" und nicht in der „realen Welt" stattfinde. Doch digitale Gewalt ist strukturell und geschlechtsspezifisch. Der Übergang von digitaler zu analoger Bedrohung ist fließend. Ein Täter, der Stalkingandrohungen per E-Mail schickt, kann als nächstes Drohbriefe in den Briefkasten werfen oderhandgreiflich werden.


Auch die Gewalt durch (Ex-)Partner verschiebt sich immer mehr ins Digitale. Sie spionieren via Spysoftware Smartphones aus, Nacktbilder werden zu Erpressermaterial und Cyberstalking verwandelt das Leben der Betroffenen zu einem ständigen Bedrohungsszenario. Die Partnerschaftsgewalt wird durch die digitale Ebene nochmals intensiviert - auch das wird kaum thematisiert.

Kommt es zu Anzeigen, werden diese meist eingestellt, selbst wenn es sich um Morddrohungen handelt. Zu viele Täter kommen so mit ihrem Hass durch, obwohl er strafrechtlich relevant ist. Das liegt zum einen daran, dass die sozialen Netzwerke oft nicht die persönlichen Daten der Täter herausgeben müssen. Doch die sind essentiell für eine Strafverfolgung.


Ein weitaus größeres Problem ist allerdings, dass viele Polizeibeamte, so haben uns betroffene Frauen erzählt, ihnen nicht glauben oder die Drohungen nicht als gefährlich genug einschätzen. Oft werden sogar die Betroffenen für den Hass und die Bedrohungen verantwortlich gemacht, da sie sich im Netz öffentlich geäußert haben. Die Schuld wird umgekehrt.


Tätern wird so signalisiert, dass sie einfach weitermachen können wie bisher - ein fatales Zeichen. Digitale Gewalt muss von der Politik und der Gesellschaft als das angesehen werden, was sie ist: als eine reale Gefahr, die sich zwar auch gegen Männer, aber eben besonders heftig gegen Frauen richtet. In unserer Themenwoche konnten wir digitale Gewalt bei Weitem nicht abdecken, daher wollen wir uns auch in Zukunft weiter diesem Thema widmen.


Fest steht nach dieser Woche: Es muss sich einiges tun. Beratungsangebote müssen ausgebaut, Polizeibeamte geschult und in den SchulenMedienkompetenz vermittelt werden. Wir dürfen aber nicht nur eine Symptomdebatte führen. Tatsache ist: Solange es Gewalt gegen Frauen im analogen Leben gibt, wird sie auch im Netz existieren.

Noch immer herrschen gesellschaftliche Machtverhältnisse, patriarchale Strukturen. Nach Ansicht vieler Männer haben Frauen nichts in der Fußballmoderation, an der Spitze der Politik oder in der Forschung zu suchen. Also werden sie mit Drohungen überhäuft, abgewertet. Die Online-Community der Incels mit ihrem Frauenhass und ihrer Radikalisierung auf misogynen Online-Plattformen zeigt, wie gefährlich sich dieser digitale Hass gegen Frauen entwickeln kann, der mitunter in tödlichen Attentaten gipfelt.

Solidarität mit den Betroffenen

Die Politik muss Gewalt an Frauen - analog und digital - auf die politische Agenda setzen. Eine Hilfenotrufnummer für Frauen zu etablieren und mehr Frauenhäuser zu bauen, reicht nicht aus. Es müssen endlich auch die Ursachen bekämpft werden.

Wie kann man verhindern, dass problematische Ansprüche an Männlichkeit befördert und aggressives Verhalten toleriert werden? Wie können patriarchale Strukturen durchbrochen werden? Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die in der Erziehung beginnt. Stalkingandrohungen oder Beleidigungen müssen zudem endlich als Straftaten angesehen und die Täter konsequent geahndet werden.


Wir brauchen außerdem mehr Solidarität in den sozialen Netzwerken. Wenn eine Person im Netz massiv angegriffen wird, sollten andere Nutzer reagieren, Gegenrede leisten. Zu oft werden die Betroffenen mit dem Blockieren, Löschen, Melden alleingelassen. Also: Seid laut, macht auf den Hass aufmerksam, zeigt die Täter an und unterstützt euch gegenseitig! Wir als Nutzerinnen und Nutzer können die Gewalt im Netz eindämmen und so verhindern, dass weibliche, queere und migrantische Stimmen verdrängt werden. Denn wir lassen uns nicht mundtot machen!

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