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White Days for Future?

Bio-Fleisch kaufen oder am besten vegan leben, mit bedruckten Jutebeuteln in den Zero-Waste-Laden hineinspazieren und schöne Schilder für die kommende Demo basteln. Ist die Klimabewegung Fridays for Future nur für die hippe, weiße Elite?

Von Elena Bavandpoori, Fotos: Soza Jan

„Das ist vielleicht ein Klischee, aber auf der Demo habe ich viel mehr typisch österreichische Leute gesehen. Da waren kaum migrantisch aussehende Menschen.", sagt der 19-jährige Schüler Mohammed. Mit Freundinnen entspannt er auf buntbemalten Sitzgelegenheiten vorm Lessinggymnasium. Es ist Freitag. Zur geplanten Fridays for Future-Demo geht er nicht.

Mohammed hat nicht Unrecht: Laut einer Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) gaben nur 17% der Demo-Teilnehmenden von Fridays for Future an, einen Migrationshintergrund zu haben. In Österreich hat aber jede vierte Person einen Migrationshintergrund, in Wien sogar jede Zweite. Wie kommt es zu dieser Kluft?

„Es fängt erst jetzt an, dass diverse Stimmen hörbar gemacht werden"

Nina Wienkoop ist Vorstandsmitglied vom ipb und Mitarbeiterin beim Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Sie sieht das Problem der Diversität generell bei jungen Umweltorganisationen: „Es fängt erst jetzt an, dass diverse Stimmen hörbar gemacht werden, aber Klimabewegungen gibt es schon sehr lange. Wir sehen einen Anstieg an Berichterstattung über das Verhältnis von Diversität und Klima, seitdem Vanessa Nakate aus dem Foto geschnitten wurde."

Bist du schwarz, wirst du rausgeschnitten

Zur Erinnerung: Die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate wurde von der Fotoagentur Associated Press aus einem Foto vom Weltwirtschaftsforum 2020 in Davos rausgeschnitten. Das sorgte für heftige Kritik, Rassismusvorwürfe standen im Raum. Denn sie war die einzige nicht-weiße Aktivistin auf dem Bild. Es ist nicht das erste Mal, dass Rassismus mit der Klimabewegung in Verbindung gebracht wird: Berliner Rapper Chefket bezeichnet die Fridays for Future-Bewegung als „White Days for Future", nachdem er von einem geplanten Benefizkonzert im Mai 2019 wieder ausgeladen wurde. Grund: Auf dem Remix seines Songs „Rap & Soul" ist Xatar dabei, ein „Bad Boy" des deutschen Raps mit krimineller Vergangenheit. Für die FFF Ortsgruppe Berlin sei das ethisch nicht vertretbar gewesen.

Während Mohammed vor der Schule sitzt, steht die Wiener Ortsgruppe von Fridays for Future protestierend unter dem Heldentor. An diesem regnerischen Nachmittag können sich alle Interessent*innen mit den Scientists for Future unterhalten und sich informieren. Teil der Ortsgruppe Wien sind Jori, Anna, Adrian und Simon.

Die 17-jährige Anna findet es nicht verwunderlich, dass wenige Menschen mit Migrationshintergrund bei den Demos vertreten sind: „Wenn du mit akuten Benachteiligungen wie Rassismus zu kämpfen hast, dann ist es verständlich, dass das Klima keine Priorität in deinem Leben ist." Ihre Eltern kommen aus Weißrussland, sie hat nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Aus Angst vor Polizeigewalt und um rechtlich nicht negativ aufzufallen, bleibt Anna daher den Protesten der Extinction Rebellion-Gruppe fern. Extinction Rebellion ist bekannt für Aktionen des zivilen Ungehorsams, Straßenblockaden und Konfrontation mit der Polizei.

Zeit, Geld und Wissen als wichtigste Ressourcen

Protestforscherin Nina Wienkoop betont zudem, dass Ressourcen wichtig seien, um an Klimademos teilzunehmen: „Zeit und Geld spielen eine Rolle, wenn es um klimafreundliches Leben, um die Teilnahme an den Protesten und ehrenamtlichem Engagement allgemein geht. Auch die Vertrautheit mit dem Thema ist wichtig, zum Beispiel bei vorausgesetztem Vokabular und Wissen." Fossile, Biodiversität, Klimagerechtigkeit. Was heißt das alles eigentlich? Anna weiß, dass schweres Vokabular Menschen abschrecken kann: „Sprache ist eines der größten Probleme, die uns beschäftigen. Wir machen uns immer Gedanken darüber, welche Begriffe wir voraussetzen können und welche Sprüche verständlich sind." Auch Adrian von der Ortsgruppe Wien, 25 Jahre alt, hat anfangs nicht alles verstanden. Jedoch konnte er seinem Interesse über das kostenlose Angebot im Internet nachgehen und sich ausgiebig von den Scientists for Future informieren lassen.

„Nicht die Faust heben, sondern den Menschen die Hand reichen."

Allerdings kann sich Interesse nur dann entwickeln, wenn es schon Zugang zum Thema gibt. Um Brücken zu anderen Gemeinden zu bauen, hat FFF Wien eine Arbeitsgruppe namens Religions for Future. Die Gruppe tritt mit Menschen aus verschiedenen Glaubensrichtungen in Kontakt, um den Zugang zur Klimabewegung zu erleichtern. Simon, 18, leitet die Arbeitsgruppe und sagt dazu: „Nicht die Faust heben, sondern den Menschen die Hand reichen. Wenn wir uns abkapseln, lösen wir die Klimakrise nicht. Heute habe ich mich mit einem serbisch-orthodoxen Bischof getroffen, der voll von unserem Ziel überzeugt war."

Wie war das nochmal mit dem Kolonialismus?

Laut Nina Wienkoop ist an der Fridays for Future-Bewegung die mangelnde Auseinandersetzung mit sich selbst zu kritisieren: „Die Bewegung betont vorrangig zukünftige Folgeschäden in einer sogenannten 5 vor 12 Rhetorik. Dabei sind die Auswirkungen des Klimawandels schon längst im Gange, vor allem im Globalen Süden. Hier zeigen sich koloniale Machtstrukturen und eurozentristische Perspektiven." Der ach so ferne Kolonialismus, die Besitzergreifung von Ländern und die blutige Ausbeutung einheimischer Völker. Kein Thema mehr? Oh doch! Um die europäische Wirtschaftsmacht auszuweiten und das kapitalistische System zu garantieren, leiden Länder des globalen Südens. Unkontrollierter Bergbau in Kongo, Rohstoffraub für unsere Smartphones, Vertreibung indigener Menschen in Brasilien wegen Abholzung. Die Klimakatastrophe wirkt sich in der Welt ungleich aus.

Wenn also People of Color deutlich stärker von der Klimakatastrophe bedroht sind, warum denken wir beim Klima zuerst an Greta Thunberg oder Luisa Neubauer? Mohammed kommt dazu ein bedrückender Gedanke: „Ich weiß ehrlichgesagt nicht, wie sehr Menschen einer dunkelhäutigen Person folgen würden. Unsere Gesellschaft orientiert sich nicht an solchen Leuten als Vorbildfunktionen." An seiner Aussage wird deutlich, wie sehr sich heute noch Postkolonialismus und rassistische Hierarchien auf Menschen auswirken. Nina Wienkoop sieht das Problem ebenfalls in der Sichtbarkeit: „Es gibt extrem viel Engagement von Menschen mit Migrationsbiografien, aber die Berichterstattung darüber ist zu wenig. Es wird primär von den Massendemos von Fridays for Future gesprochen, deutlich seltener aber über diversen Klimaaktivismus wie von BPoC Environmental and Climate Justice Collective."

Zugang durch Schule und gleichaltrige Vorbilder

Es braucht mehr Sichtbarkeit und Zugang für Menschen mit wenig Ressourcen. In erster Linie gelingt das durch Bildung. Das Thema Klima wird an der Schule des 16-jährigen Jori sehr gefördert. Er bekam sogar eine Freistellung vom Direktor, um mit dem Zug zur Klimakonferenz zu fahren. Damit ist seine Schule allerdings eine Ausnahme. Eine von Mohammeds Freundinnen, die 18-jährige Enya, merkt an: „An unserer Schule ist das absolut kein Thema. Zwischen uns Schülern wird das besprochen, aber im Unterricht gar nicht. Wir müssen selbst anfragen, wenn wir in den Klassen Müll trennen wollen. Nur sehr engagierte Lehrer reden über das Klima und Fridays for Future. Wir sollen freitags zur Schule gehen, nicht demonstrieren."

Die Klimakrise ist kein Teil des Lehrplans. Dabei wäre die Schule ein wichtiger Zugang. FFF Wien hat eine Gruppe zur Klimabildung, die versucht, dass das Bildungsministerium in Schulbüchern Kapitel zur Klimakrise einführt. Nina Wienkoop fordert, dass Klima an allen Schulformen thematisiert wird: „Die Studie vom ipb, hat gezeigt, dass nur 5% der deutschen Teilnehmenden von Realschulen kamen. Das sind genauso viele, wie Teilnehmende mit Doktortitel. Zur Hauptschule gingen, laut eigenen Angaben, unter 1% der Befragten. Wir sprechen hier von einer Schüler*innenbewegung." (Anm. d. Red.: Realschulen in Deutschland sind im Bildungssystem zwischen der NMS und AHS in Österreich einzustufen.)

Über die Schule könnte sowohl das Problem des fehlenden Know-hows gelöst, als auch der Mehrwert von ehrenamtlichem Engagement gelehrt werden. Auch Altergenoss*innen, die sogenannte Peer Group, sind ein wichtiger Bezugspunkt, um zum Protest zu mobilisieren. Daher empfiehlt Nina Wienkoop, dass bereits engagierte Personen mit Migrationshintergrund mit Leuten aus ihrer Community sprechen. So könnte z.B. eine junge, schwarze Klimaaktivistin mit Mohammed sprechen und ihm zeigen, dass es doch Vorbilder in der Bewegung gibt, die sich mit ihm identifizieren. Dann sehen wir Mohammed vielleicht auch künftig auf einer Demonstration. Bislang bleibt Klimaprotest aber noch weitestgehend eine Sache der Eigeninitiative.

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