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Wie ein Deutscher und ein Syrer ihre Vorurteile überwanden

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Integration in Deutschland


Dieser Text ist Teil der SZ-Integrationsserie "Schaffen wir das?". Alle Folgen der Serie finden Sie hier.


Peter Tischler und Khalid al-Shantot wussten, wie Syrer und Deutsche ticken. Jetzt wissen sie, wo sie daneben lagen - aber auch, dass manches Klischee nicht ganz falsch ist.

Khalid al-Shantout ist Syrer, 29 Jahre alt und - genau: Arzt. Er entspricht dem Wunsch- und Klischeebild von 2015. Auf dem gläsernen Couchtisch in seiner Einzimmerwohnung liegt das Deutsche Ärzteblatt neben einem syrischen Kochbuch. Draußen drückt eine Nebelglocke auf die Dächer. Drinnen ist die Heizung voll aufgedreht, es riecht nach schwerem Mokka und Kardamom, wie ein würziger Weihnachtsduft.


Der junge Arzt blättert im Kochbuch und zeigt auf Molokheya, eine Spezialität aus dem Orient. Die habe er seinem deutschen Freund Peter Tischler vor einigen Monaten serviert. Die Blätter des Muskrauts kocht man wie Spinat, dann ein wenig Koriandergrün, Chilischoten und reichlich Knoblauch. Tischler sitzt ihm gegenüber auf dem Sofa, holt sein Monokel aus der Brusttasche und wirft einen Blick ins Kochbuch. "Ja, das war echt lecker", sagt er. Das Bild des orientalischen Macho, der sich nur bekochen lässt, verschwand spätestens, als Tischler das Fladenbrot ins dampfende Molokheya tunkte.

Es dauerte zwar, bis der 64-Jährige wusste, was es mit der grünen Suppe auf sich hatte. Aber darum gehe es ja, sagt Tischler, ein gelernter Bildhauer, der sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagiert. Man müsse aus seiner Komfortzone rauskommen, Grenzen überschreiten, auch mal kulinarische, um sich besser kennenzulernen, um seinen Blick zu weiten. Einfach ist das nicht. Auch er habe Klischees im Kopf, habe er immer noch. Etwa, dass syrische Mädchen fahrradfahren dürfen - das war für ihn kaum vorstellbar, doch dann sah er, wie sich diese Mädchen ohne Probleme auf den Sattel schwangen.

Sie überschreiten Grenzen, geografisch, kulinarisch, gedanklich: der Asylhelfer Peter Tischler (links) und der syrische Arzt Khalid al-Shantot.

(Foto: Brigitte Loibl-Piffer) Als der Deutsche den Syrer kennenlernte, fragte er sich: Wie der wohl mit Frauen umgeht?

Oder dass ihm alle syrische Frauen den Handschlag verweigern würden - tatsächlich aber ergriffen manche sogar selbst die Initiative. Auch als Tischler Khalid al-Shantout kennenlernte, den syrischen Arzt mit dem faltenfreien weißen Hemd und dem sauber gestutzten Bart, da fragte er sich, wie der wohl mit Frauen umgehe.

Seit drei Jahren lebt al-Shantout im niederbayerischen Simbach am Inn. In Homs hatte er nur ein Jahr lang als Kinderarzt gearbeitet, dann begann der Krieg. Seitdem überquert er Grenzen, regelmäßig. Ins Nachbarland zum Beispiel, Simbach liegt nur wenige Kilometer vom österreichischen Braunau entfernt.

Sein erstes Klischee von Deutschland verschwand, als er ein paar Kilometer aus der Stadt rausfuhr. "Von wegen Deutschland, das hoch entwickelte Land schlechthin", sagt er. Aus vier Balken Handyempfang wurden ganz schnell null. Sogar in der syrischen Wüste habe er besser telefonieren können.

Aber manche Klischees stimmten einfach, sagt al-Shantout und klappt das Kochbuch zu. Das Genießen, das beherrschten die Deutschen einfach nicht so gut wie die Syrer. Das Leben hier bestehe hauptsächlich aus Arbeit, man gehe unter der Woche früh ins Bett, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Keine Kaffeehauskultur, kein spontanes Vorbeischauen bei Freunden, immer Termine machen - am besten zwei Wochen im Voraus.

"Bei uns ist es andersrum, wir arbeiten, um zu genießen", sagt al-Shantout und hebt entschuldigend die Hände. Doch Tischler nickt zustimmend: "Bei uns hat man nicht mal mehr Zeit zum Essen. Wenn man's in zwanzig Minuten drin hat, am besten noch unterwegs, dann hat man für ein paar Stunden seine Ruhe."

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