Ein bisschen komme ich mir vor wie im Robinson-Club. Für eine "Basic Membership" schiebe ich Seda zehn Euro über den Holztresen. Dafür bekommt man zwar keine Sonnenliege, aber eine glänzende schwarze Arbeitsplatte und einen schwarzen Lederstuhl.
Hinter Sedas Tresen, der auch zu einer Strandbar gehören könnte, stehen bunte Bionadefläschchen und die Preise für Kaffee. Die junge Frau strahlt. Sie ist mein "Host" und für die gute Laune im Hamburger Betahaus zuständig. Sie trägt eine schwarze Strickmütze, hat lustige braune Augen und fragt, was ich denn so arbeite. Journalist, aha, das geht, damit muss man sich unter Kreativen nicht schämen.
Als ich an meinem Rechner das Passwort fürs W-Lan tippe, denke ich: Ha, Co-Worken ist kinderleicht. Völlig unbegründet das flaue Gefühl am Morgen. Ein Gefühl wie am ersten Schultag, fehlte nur noch die Schultüte. Von der Decke baumeln Glühbirnen an bunten Ästen, für das Kreativfeeling. Die Wände sind hoch, alle blicken durch die Fensterfront auf eine Industriekulisse. Im "Co-Working-Space" darf geredet werden, nebenan ist ein Séparée für Stillarbeiter.
Ich bin in das Hamburger Betahaus gekommen, ein "Co-Working-Space" im Stadtteil St. Pauli, um Teil der sagenhaften digitalen Bohème zu werden. Testweise für einen Tag. Sascha Lobo und Holm Friebe hatten deren Leben in ihrem Buch "Wir nennen es Arbeit" besungen: Überall selbstbestimmt an "Projekten" werkeln, dank Laptop. Frei sein, urban sein und im W-Lan sein. Die Autoren monieren eine "strukturelle Verblödung" in der Festanstellung, die zwar als "Professionalität" getarnt, in echt aber eine "Versklavung" durch die Stundenpläne von Unternehmen sei. Auf der anderen Seite stehe die Bohème, flexibel und vernetzt, die ihre Armut romantisiert, aber viel Geld für Hightech ausgibt.
Plötzlich meldet der Rechner: "Eingeschränkte Konnektivität". Ich bin offline. Und das unter "digitalen Nomaden". Mit ihren Apfel-Computern und Headsets sehen einige aus, als könnten sie sofort "Konnektivität" zaubern. Doch ich schleiche zu Seda, die fragt: "Du hast Windows?"
Seda bringt mich konspirativ mit dem Computermann in Kontakt. Dann bin ich im Netz. Erst jetzt mustere ich die Kollegen. Und bin überrascht: Keine hippen Hornbrillen, keine schrägen Ponys. Nebenan ein Enddreißiger mit Kragenhemd und randloser Brille. Vor seinem Computer liegt ein Papier, auf dem fett Business-Plan steht. Gegenüber flüstert ein Kapuzen- und Chucks-Träger in sein Handy.
Story Teller in da House
Wie verhält man sich hier? Die meisten ignorieren mich. Der Kapuzenmann deutet ein Lächeln an, vielleicht. Er spricht davon, dass er und sein Kollege einen Preis gewinnen wollen, oh yeah. An der Fensterfront sitzen ein paar Nerds mit Kopfhörer, einer spricht per Skype mit einem Kunden: "Ja klar, wird erledigt." Überhaupt telefonieren viele unbeirrt, obwohl alle zuhören können. Es geht um Projekte, Programmierungen.
Was aber suchen die digitalen Nomaden im Betahaus? Kontakt, Kontrolle oder Konzentration? Direkt am Eingang gibt es eine "Userwand". Jeder, der hier ist, also "in da house", kann einen Zettel anpinnen: "Was ich suche, was ich mag." Einer hat "Kommunikation" und "Liebe" dahin geschrieben. "Rock'n'Roll" ein anderer. Die meisten brauchen mehrere Zeilen für ihr Berufsbild, eine Userin pinnt ihre Visitenkarte an. "Story Teller", "Trendberater" und jede Menge "Developer" sind "in da House".
Direkt neben dem Brett steht ein schwarzer Kugelgrill, im Sommer ist es hier sicher nett. Das Co-Working-Haus, das sich als Gegenentwurf zum Nine-to-five-Job versteht, hat von neun bis neunzehn Uhr für jeden Freiberufler offen, der seinen Laptop einstöpseln will. "Beta", das steht für Testversionen von Software. Das Unfertige, der Prozess wird hier gefeiert.
Trotz der Telefonierer kann ich mich super konzentrieren: Keine Bügelwäsche, kein Kühlschrank, und selbst im Internet surfe ich nicht wahllos. Kein Xing, kein Bankprogramm. Kein Schlafanzug am Mittag. Meine Haare sind gebürstet. Die soziale Kontrolle funktioniert. Ich arbeite hoch konzentriert.
Montag ist Betalunchday
Hinten beginnt eine Co-Workerin Französisch mit einem Kunden zu telefonieren, vor Urzeiten habe ich Französisch studiert. Fast hatte ich das vergessen. Ist das der Mehrwert? Ich könnte zu ihr gehen, mein Französisch auffrischen, vielleicht würden wir was aushecken. Von digitalem Nomaden zu digitalem Nomaden. Um viertel vor eins steht Seda an der Tischplatte: "Du, wir essen heute zusammen, wenn du Lust hast und dir draußen was holen willst, wird es Zeit."
Montag ist Betalunchday. Aus dem Mund von Lena, die das Betahaus mitgegründet hat, klingt es so: "Wer nicht mitisst, wird schief angesehen." Als ich mit meinem Essen zurückkomme, sitzen die neuen Kollegen um einen langen Tisch. Der Kapuzenmann isst Asiatisches mit Stäbchen, andere haben Döner in Alufolie oder selbstgemachte Salate dabei. Ich setze mich zu Christopher, der einen Pizzakarton und ein riesiges Weizenbier vor sich hat.
Nach einem "Hallo" versandet unser Gespräch im Nirgendwo der Anonymität. Ich fremdele. Fühle mich wie auf einer Party, auf der man keinen kennt und alle cool sind. Es geht um "Start-ups", "Social Media Rallye", "Crowd Funding" - eine Sprache, bei der es für alles englische Ausdrücke gibt.
Ich grinse unentschlossen und warte, ob mich jemand anspricht. Halb hoffe ich, dass es keiner tut. Wäre mir peinlich, so über den Tisch von der Arbeit zu plaudern. Trotz aller Zwanglosigkeit scheinen die Betahaus-Gründer das Gespräch zu leiten. Lieber hätte ich meine Ruhe.
"Steffi, warum bist du nicht bei uns?"
In einer hauseigenen Fibel steht: Aufgabe des Hosts sei das Vermitteln der "Vision", er sorge für "Mehrwert" und "Synergieeffekte" unter den Usern. Das Betahaus versteht sich auch als Inkubator für Ideen, quasi als "Golfplatz für Freiberufler." Wäre das so, muss ich wohl zum Üben noch auf die Driving Range.
Weil ich mir blöd vorkomme, so stumm grinsend, schleiche ich zurück an den Schreibtisch. "Steffi, warum bist du nicht bei uns? ", schallt es hinterher. Woher weiß diese Lena meinen Namen? Ich habe offenbar einen Robinson-Club mit Animation gebucht. Ich nuschele eine Ausrede und darf weiterarbeiten.
Nach der Mittagspause wird es lauter. Ich bekomme mit, dass einer meiner Co-Worker einen Vortrag über Start-ups halten wird, erfahre, dass der Otto-Versand sich hier zeitweilig eingemietet hat, um seiner Mannschaft frischen Kreativwind um die Ohren zu hauen. Dass Olaf Scholz und seine SPD hier waren, Blogger Sascha Lobo mit Kompagnon Friebe über die neue Arbeitswelt referierte.
Mir kommt es vor, als seien die Co-Worker auf der Suche nach Strukturen. Um fünf packe ich meine Sachen. Vorher verspreche ich Seda, wieder zu kommen. Nicht jeden Tag, aber gelegentlich zur sozialen Selbstdisziplinierung. Denn gemütlich war es bei der Bohème schon. Das volle Animationsprogramm will ich aber nicht buchen. Dafür bin ich zu sehr Robinson. Ohne Club.
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