einestages: Frau Wanders, 1994 wurden Sie mit "Wa(h)re Liebe" die Aufklärerin der Nation. Wie blicken Sie heute auf die Show zurück, die Sie berühmt machte?
Wanders: Ich weiß noch, wie mein Redakteur mir nach der ersten Sendung sagte: "Bald wird dich ganz Deutschland kennen", und ich: "Was?" Was dann losging, hat mich sehr erstaunt. Wir waren zehneinhalb Jahre auf Sendung, allein in Deutschland waren es 750 Millionen Zuschauer. Und die halbe Welt schaute "Wahre Liebe". Ich bekam Heiratsanträge von Island über Bagdad bis Nordafrika, die meisten kamen komischerweise aus Tunesien.
einestages: Der Erfolg war eine Überraschung?
Wanders: Ja, denn das Format war eigentlich eine Verlegenheitslösung gewesen - Vox wackelte, "Liebe Sünde" ging zu ProSieben, und innerhalb einer Woche musste eine Sendung her. Ich bekam Montag einen Anruf und wurde zu Spiegel TV eingeladen, Stefan Aust persönlich hat mich mit Champagner abgefüllt, ich war willenlos. Man drückte mir einen Zettel in die Hand, schob mich in ein Studio, wo ich eine gewisse Dolly Buster kennenlernte. Ich wusste gar nicht, wer das war. Sie hat mir später erzählt, dass sie auch gecastet war.
einestages: Wie lief dann die erste Sendung?
Wanders: Ich habe sofort meine Duftmarke gesetzt. Meine ersten Worte waren: "Neulich Nacht, als ein junger Mann auf meinem Gesicht saß, dachte ich: 'Wenn wir lieben, glauben wir entweder, wir werden nie wieder traurig sein, oder wir sind so wund, dass wir keinen Schritt mehr laufen können. Bei mir ist es immer beides. Von Sex ist die Rede, meine Lieben, mein Name ist Lilo Wanders.'"
einestages: Kam die Duftmarke an?
Wanders: Das war frech, aber ich hatte kein Bewusstsein, was ich da machte. Ich dachte, das ist halt so eine Sendung, und wenn es nichts wird, wird es nichts.
einestages: Wie waren die unmittelbaren Reaktionen?
Wanders: Wir hatten 400.000 Zuschauer. "Quote mit Zote", hieß es. Ich sollte so gemein und frech sein wie Karl Dall. Ich kam aber schnell dahinter, dass ich von der Persiflage zum Menschen werden musste, wenn ich über Sex reden wollte. Schließlich hatten wir am Anfang ja ganz normale Gäste im Studio. Ich habe die Figur mit mir selber gefüllt, so wurde Lilo zur Tante, der man alles anvertrauen kann. Ich behielt ironische Distanz, aber es entwickelte sich eine Art der Gesprächsführung, durch die die Menschen Lilo Wanders akzeptierten.
einestages: Sie waren nicht gerade zimperlich bei Ihren Themen.
Wanders: Ich habe mich nie vereinnahmen lassen von der Sexindustrie, über die wir berichteten. Aber mir war immer sehr wichtig, dass unsere Darsteller nicht seelisch bloßgestellt wurden.
einestages: Wie das?
Wanders: Ich habe immer wieder nachgefragt auf einer menschlichen Ebene: "Wie geht es dir überhaupt dabei?" Manche Menschen können eine Art Schutzschicht über ihr Empfinden ziehen, wenn sie als Prostituierte arbeiten oder als Pornodarsteller. Sie lernen, Teile von sich so abzuspalten, dass die nicht beschmutzt werden.
einestages: Wie äußert sich das?
Wanders: Wir hatten eine junge Frau in der Sendung, da haben sich die Kameraleute förmlich geschämt, dass sie Männer sind - so eindeutig war es, dass sie missbraucht worden war. Aber aus ihrem Mund kamen die obszönsten Sprüche. Und dieser Widerspruch war so deutlich, dass wir nie wieder jemanden eingeladen haben, ohne ihn vorher in Augenschein genommen zu haben. Wir wollten in der Sendung niemanden vorführen, sondern auf Seiten der Porträtierten sein.
einestages: Ist Ihnen ein Gast besonders in Erinnerung geblieben?
Wanders: Ich erinnere mich, dass ich mich durch die alten Herren, die ich auf dem Sofa hatte, mit den Männern versöhnte. Ich mochte Männer vorher nicht besonders. Aber durch diese älteren, sensiblen Herren änderte sich das. Der Soziologe Ernst Bornemann erzählte mir in der Sendung von seinem Liebeskummer. Dass ein Alphamann solchen Liebeskummer erleben kann, hat mich erstaunt.
einestages: Gab es für eine Sendung besonders viel Ärger?
Wanders: Einmal haben wir eine Folge zum Welt-Aids-Tag gebracht. Ein Arzt sprach über HIV und im Hintergrund wurde auf einem kleinen Monitor gezeigt, wie man ein Kondom über einen erigierten Penis zieht. Das war Anlass für eine Abmahnung. Albern! Dabei haben wir da noch ganz andere Sachen gezeigt...
einestages: Zum Beispiel?
Wanders: Wir hatten ganz am Anfang ein Interview mit einer Frau in einem Swingerklub während sie poppte. "Jahahahaaaaa!" ging es nur. Da steht einem förmlich das Hirn still. Und das Gesicht war nicht verpixelt, das haben wir tatsächlich gesendet.
einestages: Swingerklubs scheinen ohnehin ein besonderes Thema in Ihrem Leben zu sein.
Wanders: (Lacht) Ich war einmal in einem Swingerklub engagiert, der skurrilste Abend meines Lebens. Die ganzen Paare wollten mich fotografieren. Man brachte mir einen Thron, und fürs Foto kniete die Frau rechts von mir, der Mann stand links. 150 Paare, lächel-knips, lächel-knips. Dann sprach mich ein Typ von der Seite an: "Mit einem nackerten evangelischen Pfarrer von der Alb sind Sie gewiss auch noch nicht fotografiert worden." "Nein gewiss nicht, Hochwürden." Seine Begleiterin sprach übrigens nur Tschechisch.
einestages: Immer wieder gab es in Ihrer Show auch denkwürdige Selbstexperimente.
Wanders: Einmal hatten wir eine Blumenhändlerin zu Gast, die sich weitergebildet hatte über alte Kräuter. Die ist in dem Moment ohnmächtig geworden, als wir auf Sendung gingen. Das war ja live. Der Redakteur brüllte nur: "Nimm Kamera drei!" Die Kräuterfee lag dabei auf meinem Fuß. Eine Woche später kam sie noch mal. Sie hatte Bilsenkrautöl mitgebracht, das ich mit einem kräftigen Schluck probierte. Erst später kam die Info, dass das nur zur äußerlichen Anwendung sei. Da hatte ich schon gekotzt. Stierhodenextrakt habe ich auch für die Sendung probiert, das bringt gar nichts. Bemerkenswert war höchstens der Durchfall.
einestages: Stimmt es eigentlich, dass Sie die Sendung in der Regel mit Alkohol über die Bühne brachten?
Wanders: Ich war die ersten fünf Jahre immer hicke hacke voll. Das schien gut zu funktionieren. Dann habe ich das geändert. Alkohol ist heute kein Thema mehr, dafür ist das Lampenfieber leider schlimmer geworden. Doch ich weiß, dass es aufhört, wenn ich auf die Bühne gehe. Im Rampenlicht surfe ich auf Adrenalin. Und hinterher bleibt dieses Hochgefühl. Allein das kann Grund sein, diesen Stress auszuhalten.
einestages: 2004 wurde die Sendung abgesetzt. War das ein Schock?
Wanders: Vox sollte umgestaltet werden, ich erfuhr das am Telefon. Wie jeder andere auch, war ich sehr gekränkt. Durch mein Einkommen hatte ich Verpflichtungen, ich hatte eine Wohnung gekauft, das war also auch ein ökonomischer Schock. Aber ich habe mich aufgerappelt - heute habe ich im Jahr um die 120 Auftrittstage.
einestages: Sie leben auf einem Bauernhof bei Stade inmitten einer Apfelplantage mit 6000 Büchern. Ein bewusster Kontrast zur Glitzer- und Show-Welt?
Wanders: Ja, hier kann ich auch mal den ganzen Tag schweigen und bin mit Hund und Katze. Ich bin eine öffentliche Person, aber die Rolle endet in dem Moment, wenn ich die Tür hinter mir schließe. Meine andere Seite ist eigentlich eher introvertiert und genügsam.
einestages: Seit fünf Jahren geben Sie in Hamburg Kiezführungen - werden Sie bei diesen Touren durch St. Pauli auch noch als Ratgeberin in Sachen Sex angesprochen?
Wanders: Es kann schon passieren, dass sich jemand bei mir einhakt und seine Lebensgeschichte erzählt, auch nach meinen Bühnenauftritten. Dieses phänomenale Vertrauen ehrt mich, ich gehe äußerst sorgfältig damit um.
einestages: Zum Abschluss noch ein Tipp für Liebesbeziehungen?
Wanders: Sich allein aus einer sexuellen Verliebtheit in eine Beziehung zu stürzen, ist meiner Erfahrung nach eher abträglich. Freundschaft ist wichtig. Man muss nur aufpassen, dass das Freundschaftliche nicht plötzlich inzestuös wird.