Dr. Alexandra Gittermann

Historikerin, Autorin, Fachberaterin Geschichte, Hamburg

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Afrika-Ausbeuter Adolph Woermann: Steinreich durch Schnaps und Zwangsarbeit

Der Wettlauf war gewonnen. "In Cameroons weht die deutsche Flagge. Alles in Ordnung", vermeldete Adolph Woermann am 17. August 1884 an Reichskanzler Otto von Bismarck. Nach Monaten frenetischer Aktivität auf zwei Kontinenten hatten am Ende nur wenige Tage darüber entschieden, ob die deutsche oder die britische Flagge über dem Gebiet gehisst wurde. Als der englische Konsul Edward Hyde Hewett anlandete, wehte der deutsche Reichsadler schon im Wind - Hewett ging als der "too-late-consul" in die Geschichtsbücher ein.

Woermann indes war am Ziel. Über Jahre hatte sich der Hamburger Kaufmann mit Niederlassungen an der westafrikanischen Küste für ein koloniales Engagement des Deutschen Reiches starkgemacht. Seine Geschäfte liefen glänzend: Dank der Industrialisierung entwickelte sich vor allem Palmöl, das unter anderem als Schmierstoff verwendet wurde, zum Importschlager. Als Adolph Woermann die Firma 1880 vom Vater übernahm, setzte er voll auf die Dampfschifffahrt und war bald als Reeder so erfolgreich wie im Handel.

In Afrika aber, so seine Überzeugung, könnte es noch sehr viel besser laufen. An der Mündung des Kamerunflusses residierten die Agenten Hamburger Firmen auf "Hulks", ausrangierten Frachtschiffen, die ihnen als Wohnung und Warenlager zugleich dienten. Die Geschäfte im Hinterland, etwa mit Palmöl- und Elfenbeinlieferanten, wickelten ihre afrikanischen Handelspartner lieber selbst ab - schwer erträglich für die erfolgsverwöhnten Hanseaten.

Woermann lobbyierte unermüdlich

Anfang der 1880er-Jahre gerieten Woermanns Handelsinteressen stark unter Druck. Belgien, Großbritannien, Frankreich, Portugal, sogar Spanien sicherten sich beim "Gerangel um Afrika" neue Territorien. Nur Bismarck wollte zunächst keine Kolonien: Zu teuer für das Reich, und die Gewinne würden am Ende nur einige wenige einstreichen (womit er recht behalten sollte).

Letztlich ließ Bismarck sich doch darauf ein, Gebiete, in denen einige Deutsche Privatinteressen verfolgten, unter den "Schutz" des Reiches zu stellen. Das lag nicht zuletzt an den unermüdlichen Bemühungen Adolph Woermanns. Er sandte eindringliche Appelle nach Berlin, verfasste Denkschriften, sprach im Auswärtigen Amt vor, tagte mit Regierungsvertretern. Ende 1883 gab Bismarck nach.

Die Verhandlungen über die Abtretung von Hoheitsrechten vor Ort führten Agenten der Hamburger Handelshäuser. Woermann wies seinen Vertreter an, den lokalen "Chiefs" die Vorzüge des deutschen "Schutzes" schmackhaft machen, zur Not durch großzügige Geschenke. Am Ende behielt so das Reich die Nase vorn.

Als Konsul Hewett Kamerun erreichte, waren die Verträge mit dem Douala-Volk bereits unterzeichnet. Was die hanseatischen Agenten vorbereitet hatten, vollendete die deutsche Delegation um Reichskommissar Gustav Nachtigal: die vollständige Abtretung der Hoheitsrechte durch die "Chiefs", darunter King Bell. Später wurde sein Enkel Rudolf Manga Bell von den Deutschen am Galgen hingerichtet, weil er 1914 friedlich gegen die Unterdrückung seines Volkes protestiert hatte.

Die afrikanischen Machthaber mussten ab 1884 schnell einsehen, dass die Versprechungen der Deutschen nicht das Papier wert waren, auf das sie ihre Unterschrift gesetzt hatten. Ihre Macht würde erhalten bleiben, hatte man ihnen zugesagt, ebenso ihr Besitz und das Recht, mit anderen Nationen Handel zu treiben. Auch den Bau von Schulen hatten sie sich erhofft.

Stattdessen versuchten die deutschen Kaufleute nun rasch, ins Hinterland vorzudringen. Wie auch im Handel griff man dabei auf einen Türöffner zurück, der sich als äußerst erfolgreich erwiesen hatte: Alkohol. Branntwein und Waffen waren längst begehrte Güter bei den afrikanischen Händlern. Die Hanseaten lieferten beides reichlich. Satte drei Fünftel ihrer Afrikaexporte bestanden aus Spirituosen.

Missionare wiesen auf die desaströsen Folgen hin. "Das ganze Leben ist hier gewissermaßen vom Branntwein durchtränkt", klagte einer. Ein anderer zeigte sich fassungslos über die Exzesse bei einer Trauerfeier: "Ich hatte in meinem Leben noch nie eine ganze Stadt von ungefähr 4000 Seelen berauscht gesehen."

Anfang 1885 musste sich Woermann, neuer Abgeordneter der Nationalliberalen, erstmals im Reichstag für seine Geschäftspraktiken rechtfertigen. Sein Argument für den Alkoholexport: die Sicherung von Arbeitsplätzen. "Sollen wir aus Philantropie für die Neger, die doch noch nicht so lange unsere deutschen Brüder sind (das Protokoll verzeichnet Heiterkeit im Plenum), einen großen Geschäftszweig gänzlich unterbinden?" Und so wurden weiterhin Arbeiter mit Fusel angeworben, dessen Verpackung wesentlich teurer war als der Inhalt.

Deutsche Kaufleute profitierten von brutaler Expansion

Arbeiter brauchte man viele. Schon 1879 hatte Woermann der Hamburgischen Geographischen Gesellschaft seine Vision von der kolonialen Wirtschaft vorgestellt: Nur durch Plantagen könne man die Produkte aus Afrika auch langfristig zur Verfügung stellen. So eröffne sich zudem die Chance, eine große "civilisatorische und philantropische Aufgabe" zu erfüllen: "Dem Neger West-Afrika's den Segen der Arbeit zu bringen, das sollte der Kernpunkt aller Bestrebungen sein!"

Mit der Hamburger Firma Jantzen & Thormälen hatte er eine Plantagengesellschaft gegründet. Ab 1886 baute sie Kakao, Kaffee und Tabak an. Den verhassten afrikanischen Zwischenhandel auszuschalten, gestaltete sich mühsamer. Erst Mitte der 1890er-Jahre begann mithilfe des Gouverneurs Jesko von Puttkamer und der neuen "Schutztruppe" eine sehr viel brutalere Expansionspolitik. Die deutschen Kaufleute profitierten davon am meisten. 1905 betrieben sie bereits 200 Handelsniederlassungen, allein 30 davon Woermann.

Eine ganz neue Dimension erhielt das Regime durch den Kautschukboom der 1890er-Jahre. 1896 erklärte die Reichsregierung alles unbebaute Land in Kamerun zu Kronland und übertrug den Großteil privaten Gesellschaften. Zwei der Unternehmen, an denen Woermann beteiligt war, fielen zwei Fünftel von Kamerun zu. Während sie Millionengewinne einfuhren, mussten allein 20.000 bis 30.000 Kameruner als Träger das "schwarze Gold" an die Küsten transportieren. Die Zwangsarbeit entvölkerte ganze Landstriche. Doch je mehr man Kamerun "erschloss", desto mehr Arbeitskräfte benötigte man.

Die Ausbeutung des Landes blieb nicht ohne Echo. Die deutsche Presse berichtete, im Reichstag attackierte ein konservativer Abgeordneter das "System Puttkamer". Vorbehalte gegen das Regime kamen aber auch von unerwarteter Seite: von Woermann selbst. Denn durch die massive Ausbeutung der Bevölkerung und die damit einhergehende Zerstörung des heimischen Gewerbes kollidierten seine Interessen im Kautschukabbau mit denen als Händler.

Millionengewinne durch Völkermord

Woermann befand sich in einer Doppelrolle: Er brauchte die Träger und "afrikanischen Subunternehmer in den Handelskarawanen im Kautschukhandel" - aber ebenso die afrikanischen Produzenten und Händler im Palmkerngewerbe, wie der Hamburger Historiker Kim-Sebastian Todzi erklärt, dessen Studie "Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus (1837-1916)" in einigen Monaten erscheinen wird.

1903 zog sich Woermann daher aus den Kautschukunternehmen zurück und konzentrierte sich wieder verstärkt auf den Handel. Seine Firma stand um die Jahrhundertwende in voller Blüte und gab 1899 bei Stararchitekt Martin Haller ein neues Kontorgebäude in Auftrag: mit der Statue eines afrikanischen Kriegers, zwei nahezu lebensgroßen Elefantenskulpturen sowie einer Fassade in den Farben der Woermannschen Schifffahrts-Linie. Ein bis heute sichtbares Zeichen des Erfolgs - die Im- und Exportfirma residiert dort noch immer.

Kritik war Woermann gewohnt. In Bedrängnis brachten ihn bald nicht seine Geschäfte in Kamerun, sondern der Herero-Krieg in Südwestafrika. Nach Jahren der Landnahme, Erniedrigung und Gewalttaten erhoben sich dort im Januar 1904 die Herero gegen die deutschen Kolonialherren. Oberbefehlshaber Lothar von Trotha ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, wie er mit den Rebellen zu verfahren gedachte: "Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut und Strömen von Geld."

"Kolonisieren, das zeigt die Geschichte aller Kolonien, bedeutet nicht, die Eingeborenen zu zivilisieren, sondern sie zurückzudrängen und schließlich zu vernichten. Der Wilde verträgt die Kultur nicht."

Der Feldzug mündete in einen Völkermord: Die Herero wurden in ein Wüstengebiet getrieben, deutsche Truppen besetzten systematisch die Wasserstellen. Tausende verdursteten, unzählige wurden erschossen. Eilig schaffte man 15.000 Soldaten zur Niederschlagung des Aufstands herbei. Die Beförderung fiel der Woermann-Linie zu, die ein Transportmonopol für die Kolonie innehatte.

Dies war keineswegs, wie zuweilen behauptet wird, ein patriotisch motiviertes Verlustgeschäft: "Unter großen finanziellen, organisatorischen und personellen Anstrengungen organisierte die Woermann-Linie nahezu den gesamten Nachschub an Truppen, Ausrüstung und Pferden der deutschen ›Schutztruppe‹. Das Engagement der Firma rentierte sich", stellt Forscher Kim-Sebastian Todzi klar. "Die Woermann-Linie konnte kriegsbedingte Mehreinnahmen und Gewinne in Millionenhöhe verzeichnen."

Auch auf eine weitere Art lohnte sich der Einsatz im heutigen Namibia: Konzentrationslager, in denen die erschöpften Überlebenden des Völkermordes zusammengepfercht waren, dienten deutschen Farmern und Unternehmen als Arbeitskräftereservoir. "Die Heranziehung der Hereros zur Arbeit während der Kriegsgefangenschaft ist für dieselben sehr heilsam", urteilte ein deutscher Beamter. Einer der größten Abnehmer: Adolph Woermann. Seine Firma zog die Zwangsarbeiter massiv zu Hafenarbeiten heran, unterhielt sogar eigene Camps.

Doch der wirtschaftliche Erfolg wurde ihm bald sauer. 1906 beschuldigte ihn der Abgeordnete Matthias Erzberger im Reichstag, sich unrechtmäßig bereichert zu haben, indem er dem Reich überhöhte Frachtraten für die Truppentransporte berechnet hatte. Daraufhin wurde Woermanns Transportmonopol aufgehoben.

Von dieser Kränkung erholte sich der Kriegsgewinnler nie und zog sich 1910 auf seinen Landsitz bei Hamburg zurück, blieb aber in Politik und Wirtschaft hoch angesehen. Als Adolph Woermann 1911 starb, lag auf seinem Sarg ein Kranz des Kaisers. Und Reeder Albert Ballin forderte in seiner Trauerrede: "Holt die Flagge auf Halbstock, ihr Hanseaten, der größte Hanseat ist tot."

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