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Interview zum Adonis-Komplex: Wenn Sporttreiben gefährlich wird | BR.de

Sixpack, "V-Muskeln", definierte Arme und Beine - all das hat Adonis, der schöne Jüngling aus der griechischen Mythologie. Und nun gibt er einer Form der gestörten Selbstwahrnehmung ihren Namen: Der Adonis-Komplex ist eine Muskelsucht oder medizinisch Muskeldysmorphie. Wer sie hat, kann nicht aufhören seine Muskeln aufzupumpen, auch wenn er oder sie schon Bodybuilder-Maße hat. Um diesem Trend entgegen zu wirken, hat die Caritas München nun eine eigene Beratungsstelle für Menschen mit Muskelsucht eröffnet. Wir haben mit Leiter Christian Strobel über Symptome, Hilfsmöglichkeiten und den Einfluss von Social Media gesprochen.

PULS: Wer ist vom Adonis-Komplex betroffen?

Christian Strobel: Betroffen sind Leute, die viel Sport machen und die das Gefühl haben, dass es so ein bisschen aus den Bahnen gelaufen ist. Die ihren Sporttrieb vielleicht auch nicht mehr kontrollieren können. Die sich sozial zurückziehen und die das Gefühl haben, egal wie muskulös sie sind - es reicht nicht. Sie haben ein schambehaftetes Gefühl zum eigenen Körper und empfinden eine Unzulänglichkeit, die eigentlich ständig präsent ist. Und dementsprechend machen sie ganz viel Sport.

Wie gefährlich ist diese gestörte Selbstwahrnehmung?

Christian Strobel

Der Adonis-Komplex kommt erstmal, wie viele andere psychische Erkrankungen, gar nicht so gefährlich daher. Die Frage ist dann: Was ist denn so schlimm daran, viel Sport zu machen? Problematisch wird es, wenn Betroffene eben nicht mehr aufhören können, Sport zu machen. Das ist dann besonders schwierig bei Erkrankungen. Sport führt ja grundsätzlich erstmal schon zu einer Steigerung des Immunsystems. Aber wenn man sich ständig überfordert, schwächt man es. Auf Dauer wird man häufiger krank. Bei dieser Störung schont man sich dann aber nicht, sondern man trainiert weiter. Und da kommt es dann ganz häufig zu Herzerkrankungen bis hin zum Herzstillstand.

Wie viele Menschen haben denn einen Adonis-Komplex?

Da gibt es leider keine aktuelle Statistik, aber Forscher aus den USA sprechen von 0,9 bis 2,5 Prozent der Gesamtpopulation. In der Leistungsebene sind es aber bis zu 25 Prozent. Das heißt, Bodybuilder und andere Spitzensportler haben auf jeden Fall eine höhere Tendenz an dem Krankheitsbild zu erkranken.

Ist es ein Klischee, dass viel mehr Männer als Frauen betroffen sind?

Das ist, glaube ich, gar kein so großes Klischee. Es ist tatsächlich ein überwiegend männliches Phänomen. Das lässt sich damit begründen, dass die Idealvorstellung des männlichen Körpers oftmals als muskulös und groß propagiert wird und bei den Frauen eher schmal, schlank und ohne Muskeln. Und dadurch entstehen eben diese Störungsbilder.

Inwieweit spielt dabei Social Media eine Rolle?

Das ist eine viel diskutierte Frage und Social Media spielt sicherlich eine Rolle. Wenn ein muskulöser und durchtrainierter Mann ein Foto hochlädt, sieht man vielleicht nicht, was er alles dafür getan hat. Die Jugendlichen, Kinder und Erwachsenen, die zu uns kommen, wissen das meistens. Aber es ist in den Posts oft nicht explizit erklärt, dass die Person so und so viele Stunden dafür trainieren musste und vielleicht davor gar nicht gegessen hat.

Wie kann man mit dem Adonis-Komplex umgehen?

Sich Hilfe holen, ganz klar. Das Schwierige dabei ist, dass es ein wahnsinnig schambehaftetes Thema ist. Und bei einem schamhafteten Thema geht man gleich nicht zur Ambulanz. Deswegen kommt es meist erst sehr viel später raus. Männer gehen allgemein erst viel später zum Therapeuten als Frauen. Und die Kombination aus Mann und schambehaftet führt oft dazu, dass die Betroffenen sich sehr spät Hilfe holen. Deswegen ist mein Rat: Öffnet euch gegenüber der besten Freundin, dem besten Freund, der Mutter, dem Vater und schaut dann gemeinsam, was ihr machen könnt.

Sendung: Filter vom 13.02.2019 - ab 15 Uhr.
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