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Herzschlagfinale auf See

So sah das Feld zum Beginn der finalen Etappe aus. Kurz vor dem Ziel waren die Abstände nicht viel größer.

Womöglich wird sich Charles Caudrelier sein ganzes Leben an diesen Moment erinnern. Es war einer dieser Momente, die herausstechen werden unter den Qualen, die eine Weltumsegelung mit sich bringen kann. Er hatte vor dem Rennen ja über genau solche Momente gesprochen, in einem Video seines Teams: Da erklärte der Segler, dass sich in 20 Jahren wahrscheinlich alle Mitglieder der Crew gerne an einen bestimmten Moment der Tour zurückerinnern würden - obwohl es zu diesem Zeitpunkt gar nicht so toll gewirkt haben mag.

Caudrelier sprach über die Umsegelung des Kap Hoorn. Aber der Moment, der sich am Abend vor dem letzten Renntag des Volvo Ocean Race ereignete, der hätte auch das Zeug dazu, dass man sich noch in 20 Jahren an ihn erinnert. Es war der Moment, an dem der Skipper Caudrelier und Navigator Pascal Bidégorry eine gewagte Route wählten - und damit das Rennen entschieden, mit extrem knappen Vorsprung.

Es war ein Rennen, das rund ein halbes Jahr lang um den Globus führte, sieben Schiffe fahren 45 000 Seemeilen (rund 83 000 Kilometer). Von Alicante über Kapstadt und Hongkong, am berüchtigten Kap Hoorn vorbei nach Newport, schließlich zurück nach Europa. Mit Dongfeng, Caudreliers Team, gewann am Sonntag erstmals in der 45-jährigen Geschichte ein chinesisches Team die Regatta. So spannend wie in diesem Jahr war es noch nie, am Ende der fünfundvierzigtausend (!) Seemeilen lagen Caudrelier und seine Mitstreiter nur ein paar Bootslängen vorn. Und den Ausschlag dafür gab eine einzige taktische Finesse.

Während der Rest der Flotte einen Weg durch die offene Nordsee wählte, entschied sich Caudreliers Team Dongfeng für den Kurs knapp an der Küste entlang. Zuerst fiel sein Boot dadurch weit zurück, doch spätestens beim letzten Marker vor dem Zielhafen in Den Haag konnte jeder mit bloßem Auge sehen: Die roten Segel Dongfengs waren zurück im Rennen. Nicht nur das, unter Land segelnd hatten sie nun auch die bessere Geschwindigkeit. Damit rauschten sie an der letzten Rundungsmarke und ihren verdutzten Konkurrenten vorbei ins Ziel. "Die kamen wie aus dem Nichts und haben das Rennen gemacht", sagte AkzoNobels Wachführer Nicolai Sehested.

"Ich weiß nicht, ob ich der beste Skipper bin, aber ich habe das beste Team."

Sein Team war an diesem Tag der Riesenregatta Teil eines Trios mit den Mannschaften Mapfre und Brunel gewesen. Die beiden Letztgenannten und Team Dongfeng konnten vor der finalen Etappe alle noch den Gesamtsieg holen. Selbst auf dem letzten Schlag von Göteborg nach Den Haag sahen sie zeitweise noch wie die Sieger aus - bis wenige Seemeilen vor dem Ziel der gefährlichen Regatta. "Ich weiß nicht, ob ich der beste Skipper bin", sagte Caudrelier später, "aber ich habe das beste Team." Für ihn war es erst die dritte Teilnahme an der Regatta.

Die Mitglieder des Teams Dongfeng reckten nach der Zieleinfahrt in Den Haag ihre Fäuste in den Himmel und schrien sich die Anspannung aus den Körpern. Darunter waren auch die Schreie von Carolijn Brouwer und Marie Riou, die mit Justine Mettraux die ersten Frauen sind, die jemals die bekannteste Mannschaftsregatta der Welt gewinnen konnten. Besonders laut bejubelten die Fans Steuerfrau und Trimmerin Brouwer, eine Niederländerin.

Auf einer extrem anspruchsvollen Tour müssen die Segler härteste Strapazen über sich ergehen lassen, werden zum Teil an ihre Grenzen gebracht - es ist auch ein Kampf ums Überleben. In der Vergangenheit wurde das Rennen schon öfter durch tragische Unfälle überschattet, zuletzt war 2006 Hans Horrevoets gestorben. Auf dem Weg von Newport nach Portsmouth wurde sein Boot von einer besonders großen Welle erfasst, der Niederländer ging über Bord. Er konnte zwar geborgen werden, aber alle Wiederbelebungsversuche scheiterten.

Dieses Jahr ereignete sich erneut ein fataler Unfall. John Fisher vom Team Sun Hung Kai / Scallywag wurde im März auf der gefährlichen siebten Etappe um das Kap Hoorn von Bord geschleudert und konnte trotz intensiver Suche nicht gefunden werden. Bei meterhohen Wellen und Sturm kämpfte sich sein Team stundenlang durch den südlichen Ozean, musste aber schließlich aufgeben und sich selbst in Sicherheit bringen. Der Vorfall führte beim Rest des Teilnehmerfeldes zu großer Bestürzung, viele kannten und schätzten Fisher.

Sein Skipper und guter Freund David Witt sagte im Ziel angekommen: "Ich habe sehr gemischte Gefühle". Er sei logischerweise wahnsinnig stolz auf sein Team und froh, das Rennen beendet zu haben. "Aber ich bin natürlich auch sehr traurig. Ich konnte es nicht mit meinem besten Freund beenden."

"Wir müssen jetzt davon ausgehen, dass wir John auf See verloren haben" Am Montag ist der Segler John Fisher beim Volvo Ocean Race über Bord gegangen. Nun müssen sein Team und der Veranstalter die Hoffnung auf Rettung aufgeben. mehr... Zum Original