Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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BMW: Die neue chinesische Klasse

Alles auf eine Karte: BMW Neue Klasse im R&D Center in Peking

Mit der Neuen Klasse setzt BMW im kommenden Jahr alles auf eine Karte. Große Teile der Entwicklungsarbeiten werden in China geleistet. Ein Besuch im Forschungs- und Entwicklungszentrum im Peking.

 

Auf der Straße vor dem BMW R&D Center fährt ein autonomes Lieferfahrzeug vorbei. Das Blinklicht auf dem Dach und sein ungewöhnliches Design machen deutlich: Hier fährt die Zukunft. Das Forschungs- und Entwicklungszentrum des deutschen Autoherstellers dagegen steckt in einem gewöhnlichen Bürokomplex. Hier deutet von außen nichts auf automobile Zukunft hin. Die Gegend unweit vom Flughafen im Nordosten der chinesischen Hauptstadt wirkt wie eine westliche Mischung aus Wohn- und Büroviertel.

BMW ist bereits seit 20 Jahren im Land präsent. „Zuhause in China“ lautet der Claim bei der Präsentation des Standortleiters. Inzwischen arbeiten über 3.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung (R&D) an den Standorten Peking, Shanghai, der BMW-Fabrik in Shenyang sowie in Nanjing. „Es gibt 16 Universitäten in Nanjing. Hier finden wir viele talentierte Leute“, sagt Robert Kahlenberg. Er leitet seit eineinhalb Jahren die R&D-Arbeiten in China. Der Manager ist seit 25 Jahren im Forschungsbereich von BMW tätig.

 

China als Absatzmarkt

Wie wichtig der chinesische Automarkt für den bayrischen Hersteller ist, zeigt ein Blick auf die Verkaufszahlen des vergangenen Jahres. Insgesamt 32 Prozent der 2,5 Millionen verkauften Fahrzeuge entfallen auf China. Wird in Deutschland ein BMW oder Mini verkauft, sind es in China knapp drei (281.986 vs. 824.932). Die Kunden sind hier deutlich jünger (36,1 statt 56,8 Jahre). Das stellt unter anderem andere Anforderungen an die Digitalangebote. „In unserem i5 sind 70 Prozent der Software für das Land angepasst oder originär für China programmiert“, sagt Kahlenberg.

 

Skaleneffekte durch einheitliche Plattform

Aktuell steht die Neue Klasse im Fokus. Die Fahrzeuge kommen zwar erst 2026 nach China, doch in Europa hat die erste X-Version im kommenden Jahr Premiere. Mit der Vereinheitlichung von Plattform und elektrisch-elektronischer Architektur setzt BMW alles auf eine Karte. „Nach dem ersten X werden mittelfristig auch andere Modelle unserer Marken die Technik nutzen. Das gibt uns die Möglichkeit zur Skalierung innerhalb unseres Portfolios“, sagt Bernd Körber, Senior Vice President BMW Brand and Product Management sowie Connected Company. Wenn BMW, Mini und Rolls Royce die Technologie nutzt, verteilen sich die Kosten für Softwareentwicklung sowie Updates auf eine größere Zahl Fahrzeuge. Zudem beschleunigt eine Vereinheitlichung Fehlerbehebung sowie Update-Zyklen.

 

Kurze Wege zu den Zellen

In den Büros und Laboren in Peking wird auch an Assistenzsystemen, dem Bedienkonzept sowie der Batterie für die Neue Klasse gearbeitet. Während viele der mitgereisten Manager Männer sind, führen vor allem Frauen durch die Workshops. Beispielsweise Layla Ge, die Ingenieurin ist in Deutschland aufgewachsen und hält jetzt in Peking Kontakt zu den Zelllieferanten. BMW betreibt zwar ein Kompetenzzentrum für Batteriezellfertigung im bayrischen Parsdorf, doch die Wege zu den Zellfertigern wie Eve, CATL und Envision AESC sind hier kürzer und alle sprechen die gleiche Sprache. „Wir definieren die Spezifikationen für unsere Zellen und geben sie bei Zellfertigern in Auftrag“, erklärt Ge. Tests und Validierung vor Ort sparen Zeit, wenn nicht jede Probe zuerst nach Deutschland geschickt wird.

Mit der Neuen Klasse führt BMW die sechste Generation seiner Batterie ein. Die Zellen haben eine andere Zusammensetzung der Aktivmaterialien sowie ein anderes Format. Ge lässt zwei Rundzellen in Stahlhüllen mit 95 und 120 mm Höhe sowie einem Durchmesser von 46 mm herumgehen. Die Arbeiten in China haben dazu geführt, dass die Produktionskosten im Vergleich zu den prismatischen Zellen um bis zu 50 Prozent gesunken sind. Die Trägerfolie aus Kupfer ist dünner, was Gewicht reduziert. Ein geringerer Innenwiderstand ermöglicht eine höhere Ladeleistung. Die höhere Energiedichte sorgt für 30 Prozent mehr Reichweite. Dazu setzen die Ingenieure mehr Nickel und weniger Kobalt in der Kathode ein. An der Anode wurde der Graphit-Anteil zugunsten von Silizium um 20 Prozent reduziert. Silizium-Atome nehmen mehr Lithium-Ionen auf als Kohlenstoffatome.

Doch Ge hat nicht nur die Fertigung der Zellen im Blick. Sie kümmert sich auch um die Wiederverwertung der Materialien. Zusammen mit dem Recycling-Spezialisten Huayou plant sie den hydrometallurgischen Prozess, bei dem Zellen zunächst geschreddert und das entstehende schwarze Pulver (Black Mass) chemisch in seine Bestandteile zerlegt wird.

 

Schneller Spurwechsel

Im Straßenverkehr in Peking wird jede Lücke genutzt. Spontane Spurwechsel sind die Regel. Motorroller kreuzen oder überholen laufend. Wer hier das Thema automatisiertes bzw. autonomes Fahren meistert, dürfte in sämtlichen Regionen der Welt die Technik beherrschen. BMW erhielt Ende 2023 eine Level 3-Testlizenz auf öffentlichen Straßen in Shanghai. Erste Ergebnisse aus über 5.400 km Fahrtests sind bereits Teil des BMW Personal Pilots in der 7er Serie. Der bietet hochautomatisiertes Fahren im Level 3 bis 60 km/h. „In China freuen wir uns auf die Möglichkeit mit dieser Funktion unterwegs zu sein, denn oft bin ich hier auf der Autobahn mit dem Tempo unterwegs und könnte die Zeit dann anders nutzen“, sagt Mihiar Ayoubi, Senior Vice President Driving Experience BMW Group, „Natürlich haben wir als Ziel, das in absehbarer Zeit in Deutschland mit einer höheren Geschwindigkeit anzubieten. Aber ich genieße bereits heute sehr den Autobahnassistent im Level 2+. Damit lege ich die Hände in den Schoß und bestätige einen Spurwechsel mit meinem Blick in den Seitenspiegel. Ich nutze das regelmäßig bei Fahrten von Bayern nach Österreich. Dabei lerne ich auch eine neue Dimension der „Freude am Fahren“ kennen.“ 

Grundsätzlich gilt, je geringer die Geschwindigkeit, desto einfacher lassen sich automatisierte Fahrfunktionen umsetzen. Mit der Neuen Klasse soll eine Parkfunktion im Level 4 Einzug halten. „Ich kann mir das gut vorstellen, wenn ich spät dran bin für eine Theateraufführung und der Wagen selbstständig im Parkhaus oder auf dem Parkplatz eine Lücke ansteuert“, sagt Ayoubi. Die Aufgabe des Ingenieurs ist es, die BMW-typische Fahrfreude in die Neue Klasse zu übertragen. „Wir haben die BMW-DNA, alles was wir über das Fahrverhalten in den vergangenen Dekaden gelernt haben, in unserem Domain Controller, den wir `Heart of Joy´ nennen, gebündelt. Wenn der Fahrer selbst fährt, soll sich ein E-Auto der Neuen Klasse wie ein typischer BMW verhalten – sportlich, präzise, sicher und dabei auch komfortabel“, sagt Ayoubi

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