Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Audi Q6 e-tron: Partiell pünktliches E-Auto

Erste Sitzprobe im Audi Q6 e-tron mit neuer Plattform und EE-Architektur.

Audi bringt zwei Jahre später als geplant den Q6 E-Tron heraus. Eine Proberunde im Prototyp hinterlässt einen guten Eindruck.


Wäre das elektrische SUV wie geplant im Jahr 2022 auf den Markt gekommen, wäre es eine technische Glanzleistung gewesen: mit 800-Volt-Batteriesystem und 270 kW Ladeleistung. In zehn Minuten sind unter idealen Bedingungen 255 km Reichweite nachgeladen, bis zu 625 km Reichweite sind es insgesamt. Damit hätte der Audi Q6 E-Tron in der Mittelklasse Hyundai und Kia mit ihren 800-Volt-Systemen etwas entgegensetzen können.

Im März 2024 ist der nun vorgestellte Q6 E-Tronzwar immer noch Stand der Technik, doch fehlen einige Dinge. Es gibt keinen bidirektionalen Energiefluss und man kann die Batterie nicht manuell vorkonditionieren, falls man keine Lust hat, die Ladesäule im Navi anzugeben. Der Sprachassistent nutzt kein ChatGPT, wie es Volkswagen ab dem zweiten Quartal in etlichen Modellen anbietet.

Auch ein leuchtendes Logo während der Fahrt, wie es der ID.7 Tourer GTX hat, übernehmen die Ingolstädter nicht. Die gesetzliche Änderung für beleuchtete Logos trat während der Wartezeit in Kraft. Die Audi-Ingenieure konnten nach Abschluss ihrer Entwicklungsarbeit keines der Pakete wieder aufschnüren.


Der verspätete Tesla-Jäger

Blick zurück: Im Corona-Jahr 2020 ruft der damalige Audi-Chef Markus Duesmann das Projekt Artemis ins Leben. Benannt nach der griechischen Jagdgöttin, ist klar, wen Artemis jagen soll: Tesla. Doch schon zwei Jahre später ist mit den E-Auto-Projekten Artemis und Landjet wieder Schluss.

Inzwischen haben der Volkswagen-Konzern und Audi neue Vorstandsvorsitzende, Oliver Blume und Gernot Döllner. In Ingolstadt wurden zudem die Positionen der Ressorts Design und Technik neu besetzt.

In Gesprächen mit Audi-Mitarbeitern wird deutlich, dass nicht nur Softwareprobleme zur Verzögerung beim Q6 beitragen. Aus dem Management kommen laufend wechselnde Ansagen. Während der Lockdowns arbeiten etliche Ingenieure im Homeoffice statt in der Entwicklungswerkstatt. In der Phase danach bleiben Teile für Prototypen, die vornehmlich aus Asien kommen, komplett aus oder erreichen Ingolstadt mit großer Verspätung.


Komplexität hoch drei

Es gibt die schöne Redensart: Man muss das Rad nicht neu erfinden. Doch genau das hat Audi versucht. Der Q6 ist kein weiteres B-Segment-Fahrzeug, das von seiner Größe genau zwischen den Q4 (Plattform: MEB) und den Q8 (Plattform: MLB evo) passt.

Zusammen mit Porsche hat man für ihn die Premium Platform Electric (PPE) neu entwickelt. Die zweite Großbaustelle ist die elektronische Architektur E3. Sie wurde zusammen mit Cariad programmiert und kommt in der Version 1.2 zum Einsatz. Die Potenz im Namen könnte die Komplexität symbolisieren.

Tatsächlich stehen die drei E für End-to-End-Electronics-Architecture. Es ist eine Struktur mit fünf Domain-Rechnern, die miteinander vernetzt sind. Dabei arbeitet je ein Rechner für Assistenzsysteme, Antrieb und Fahrwerk, Infotainment, Komfort und Licht sowie Vernetzung und Datenverbindung in die Cloud (Car2X). Damit sind alle Bereiche und Funktionen im Fahrzeug updatefähig (OTA). Dieser Aufbau kommt dem Prinzip eines Software Defined Vehicle sehr nah.

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