Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Autonomes Fahren: Woran es bei selbstfahrenden Autos (noch) hakt

Mit dem Mercedes-Benz Drive Pilot im Level 3 auf der Autobahn unterwegs

Die Kameralinse hinter dem Rückspiegel der S-Klasse-Limousine wirkt etwas klobig. Doch sie erkennt die Fahrbahnmarkierungen fehlerfrei und das bei anhaltendem Regen. Die Fahrerin drückt einen Knopf neben dem Lenkrad und legt die Hände in ihren Schoß. Der Wagen steuert nun eigenständig über die niederländische Autobahn.

Das autonome Fahren zählt zu einer der großen Zukunftsvisionen der Automobilindustrie. Doch die geschilderte Fahrt mit dem Mercedes-Benz in den Niederlanden liegt 25 Jahre zurück. Sie fand im Juni 1998 in der Nähe von Leiden statt. Dort trafen sich diverse Vertreter von Autoherstellern und Zulieferern. Sie präsentierten Systeme zum Einparken, autonome Shuttle-Busse sowie Lkw-Fahrten in Kolonne (Platooning). Danach gefragt, wann diese Systeme serienreif seien, lautete die Antwort meist: in 10 bis 15 Jahren.

Ein Vierteljahrhundert später müssten eigentlich sämtliche Pkw längst vollautonom fahren können. Doch weit gefehlt. Aktuelle Fahrzeuge sind zwar überwiegend mit Assistenzsystemen des Levels 2 unterwegs, was für teilautomatisiertes Fahren steht. Sie bleiben selbstständig in der Spur, korrigieren mit leichten Lenkbewegungen und bremsen ab, wenn sich der vorausfahrende Verkehr verlangsamt. Die Kontrolle liegt aber stets beim Fahrer und die Hände müssen am Lenkrad bleiben.

Die nächste Stufe steht als hochautomatisiertes Fahren nach Level 3 in den Startlöchern: Diese Assistenten werden als Staupiloten vermarktet, weil man mit ihnen maximal 60 km/h fahren kann, dabei aber immerhin die Kontrolle ans Auto übergeben darf.


Nur drei Anbieter

Aktuell gibt es weltweit nur drei Autohersteller, die Fahrfunktionen im Level 3 anbieten: Honda in Japan, BMW und Mercedes-Benz in Deutschland. Mercedes-Benz bietet sein System auch in China und den USA an – in Nevada und Kalifornien, um genau zu sein. Die Zulassung erfolgt in den einzelnen Bundesstaaten. Es könnte also lange dauern, bis die Autohersteller in jedem der 50 Bundesstaaten eine Zulassung erhalten.

Die fehlende flächendeckende Regulatorik war auch 2018 der Grund, warum Audi nach eigenen Angaben seinen damaligen Vorsprung bei der Technik nicht nutzte. Die Ingolstädter wollten passend zum Marken-Claim ursprünglich als erster Autohersteller ein Level-3-System einführen. Journalisten durften bereits Testfahrten auf der verstopften Autobahn im Audi A8 mit Staupilot beiwohnen. Doch Chefentwickler Hans-Joachim Rothenspieler zog die Reißleine. In damaligen Presseberichten nennt er das Fehlen international einheitlicher gesetzlicher Regulierungen als Grund für den Rückzieher.

Die Bundesregierung erweiterte im Juli 2021 das Straßenverkehrsgesetz. Damit ist Deutschland das erste Land, in dem Level-4-Systeme, also vollautomatisiertes Fahren, zugelassen werden können, aber nur mit Zustimmung des jeweiligen Bundeslandes, in dem gefahren wird. Gleichzeitig treibt die Bundesregierung die Zulassung hochautomatisierter Fahrsysteme in der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) voran. Zumindest für Europa will man einheitliche Regularien schaffen. Ein einheitlicher Markt ist eine Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg. Die teuren Assistenzsysteme rechnen sich für Hersteller nur, wenn große Stückzahlen abgesetzt werden.

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