Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

7 Abos und 1 Abonnent
Artikel

Bit schlägt Blech

Einen Hundemodus zu programmieren, wie ihn beispielsweise einige Modelle von Tesla und Nio beherrschen, klingt einfach: Lässt der Fahrer seinen Hund im Auto, aktiviert er die Funktion. Das Auto steuert die Klimaanlage und zeigt vor allem eine große Meldung auf dem Bildschirm, dass es dem Tier gut geht. Der Text verhindert hoffentlich, dass besorgte Tierschützer eine Scheibe einschlagen. Wer Erfahrung mit Android, iOS oder anderen modernen Systemen hat, dürfte für so ein Projekt nur ein paar Stunden veranschlagen. „Doch will ein deutscher Autohersteller einen Hundemodus einführen, dauert es mindestens neun Monate", sagt Jan Becker.

Der Gründer und CEO von Apex AI mit Sitz in Palo Alto verdeutlicht mit seinem Beispiel ein Dilemma der etablierten Automarken: die fehlende Trennung zwischen Hardware und Software. „Im klassischen Autobau kommen die Bauteile von bis zu 150 Zulieferern, die alle ihre eigene Software in den Steuergeräten mitliefern", erläutert Becker gegenüber c't. In diesem Fall sind es die Lieferanten der Klimaanlage und des Infotainmentsystems. Es braucht Monate für Preisverhandlung, Programmierung, Validierung und Umsetzung eines solchen Features. Unter Android oder iOS würde man die Bauteile über definierte APIs ansteuern, ohne wissen zu müssen, von welchem Hersteller sie stammen. Die Idee, eine ähnliche Abstraktionsebene auch bei Fahrzeugen einzuführen, ist nicht neu, sie nennt sich Software Defined Vehicle (SDV). Das Auto hat eine zentrale Recheneinheit mit einem Embedded OS, welches die einzelnen Steuergeräte (ECUs) über definierte Befehle anspricht.

Das beschleunigt die Entwicklung neuer Funktionen und ermöglicht regelmäßige Updates. Auch bei der diesjährigen Konsumelektronikmesse in Las Vegas CES war SDV das Oberthema der Autohersteller und Zulieferer. Nur die deutschen Hersteller hielten sich dabei zurück. BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen präsentierten Verbesserungen ihrer Sprachassistenten mithilfe von ChatGPT. Ein Komfortgewinn, doch weit weg von den Umbrüchen in der Fahrzeugentwicklung.

Dabei haben die beiden weltgrößten Autohersteller Volkswagen und Toyota das Softwaredilemma längst erkannt. Um die Behäbigkeit der gewachsenen Organisationen zu umgehen, gründeten die Japaner Woven und die Wolfsburger Cariad. Beide enttäuschten jedoch: Woven kündigte zwar das Autobetriebssystem OS Arene an und holte dafür James Kuffner, Googles ehemaligen Leiter der Robotikabteilung. Doch Kuffner musste im vergangenen Jahr seinen Posten räumen und Arene kommt vermutlich frühestens 2026. Im Volkswagen-Konzern haben der Audi Q6 e-tron rund drei Jahre und der elektrische Porsche Macan rund zwei Jahre Verspätung. Grund sind Schwierigkeiten bei der Fertigstellung der Premium Platform Electric (PPE).

Roboter OS für Autos

„Den Autoherstellern fehlen die Kompetenzen und sie bekommen nicht die notwendigen Kapazitäten für Software-Entwicklungen", sagt Becker, der diese Lücke mit seinem Unternehmen Apex AI schließen möchte. Sein Angebot ist eine Entwicklungsplattform, die Autoherstellern eine schnelle Umsetzung ihrer Ideen ermöglichen soll. Dabei kümmert sich Apex AI um die Sicherheitsaspekte. Die Software gehört später vollständig dem Autohersteller. Ein Kunde in Deutschland ist Moia, der mit der Software seine autonom fahrenden Shuttle-Busse 2025 in Hamburg auf die Straße bringen will.

Das Unternehmen aus Kalifornien hat 75 Millionen Dollar bei Investoren wie Toyota Ventures, Daimler Truck, Volvo und Jaguar Land Rover eingesammelt. Becker hat in Regelungstechnik promoviert und hält Mastertitel in Maschinenbau und Raumfahrttechnik. Die Ingenieure arbeiten mit Robotern und entwickeln das Roboter Operating System (ROS), das heute in Drohnen, der Raumfahrt sowie beim Militär läuft. ROS bildet die Basis für Apex AI.

Die Entwickler erweitern die Open Source Software zusammen mit Elementen von Eclipse Iceoryx um typische Autofunktionen sowie notwendige Sicherheitsnormen (ISO 26262). Die Kunden nutzen das Angebot wie ein SDK. Das senkt Entwicklungskosten und bringt Zeitvorteile. „Die Entwicklung eines neuen Fahrzeugs wird auf ein Viertel der üblichen Dauer reduziert", sagt Becker im Gespräch mit der c't.

Druck auf die Zulieferer

Die Entwicklung erhöht den Druck auch auf Zulieferer: Sie liefern bisher Hard- und Software in einem Paket, weil es ihre Marge erhöht. Nur mit Bauteilen ist kaum Geld zu verdienen. Erste Schwierigkeiten werden sichtbar. Der Konzern ZF mit Sitz in Friedrichshafen stellt das Projekt seines autonom fahrenden Shuttles ein. Gleichzeitig werden in den kommenden Jahren tausende Arbeitsplätze abgebaut und Niederlassungen geschlossen. Die gleichen Schlagzeilen sind von Continental und Bosch zu lesen. Ob die Ursachen dafür im schleichenden Niedergang der Technologie für Verbrennerfahrzeuge oder einem zu langsamen Hochlauf des automatisierten Fahrens liegen, ist Deutungssache.

Wie Intel in einer Broschüre aufzeigt, sollen künftige Fahrzeuge deutlich weniger Steuergeräte aufweisen. Sensoren und Aktoren werden über ein Hochgeschwindigkeits-Ethernet Backbone zentral angebunden.

Bild: Intel

Die Zulieferer bekommen zusätzlich Konkurrenz durch Chiphersteller. Nvidia, Qualcomm und Mobileye sind mit ihren Technologien für assistiertes und autonomes Fahren bereits fest etablierte Anbieter. Jetzt drängt auch Intel in die Autoindustrie. Bei der CES legen Jack Weast, Vice President Intel Automotive und CEO Pat Gelsinger einen großen Auftritt hin. Mit ihrem System on a Chip (SoC) wollen sie die gesamte IT-Infrastruktur im SDV-Fahrzeug steuern. Wobei sie von einer offenen Chiplet-Plattform sprechen. Dabei können Dritte ihre Chips in das SoC integrieren.

Dreh- und Angelpunkt ist das Energiemanagement im Auto. Zum einen übernimmt Intel - die Zustimmung der Kartellbehörden vorausgesetzt - Silicon Mobility. Das französische Unternehmen produziert Halbleiter sowie Software für Energiemanagement in E-Autos. Zum anderen besetzt der Chiphersteller im Ingenieurverband SAE eine Arbeitsgruppe für die Entwicklung eines Standards (J3311) zum Energiemanagement. In der Gruppe sind auch Stellantis und Kartenanbieter Here vertreten. „Wir kennen aus der PC-Branche den ACPI-Standard, das wollen wir auch in E-Autos etablieren", sagt Weast. Beispielsweise sollen sich Licht und Bildschirme automatisch abschalten, wenn niemand im Fahrzeug sitzt. Weniger Energiekonsum bedeutet im E-Auto mehr Reichweite. Wo Intel die größten Absatzchancen für sein System sieht, macht Weast mit seinem Bühnengast Andy An deutlich. Er ist Präsident der Geely Holding und CEO von Zeekr. Die chinesische Automarke wird als erster Hersteller den SoC von Intel für ein SDV-Fahrzeug einsetzen.

Weitblick dank Software

Zum SDV gehört auch das Sensor-Set für automatisierte Fahrfunktionen. Noch herrscht Unklarheit darüber, welche Sensorkombination sich durchsetzt. Derzeit sind Ultraschall, Lidar, Radar sowie Kameras im Einsatz. Zulieferer wie Magna erweitern das Angebot um Wärmebildsensoren, die Menschen und Tiere auf der Straße besser erkennen. Etliche Start-ups arbeiten an der Verbesserung der Datenauswertungen einzelner Sensoren. Ein Beispiel ist Neural Propulsion Systems (NPS) aus Pleasanton in Kalifornien. Die Ingenieure verbessern die Sichtweite von Radarsensoren per Software. Den Unterschied macht das mathematische Modell der Atomic Norms. Es wurde 2012 von mehreren Wissenschaftlern in den USA zur Auswertung von Sensordaten entworfen. NPS wendet es in der Praxis an.

Die Auswertung der Reflexionen liefert eine höhere Trennschärfe. Das System erkennt früher, ob es sich um ein oder zwei Objekte handelt. „Außerdem verdoppeln wir mit unserem System die Reichweite, unabhängig von der Hardware", sagt Behrooz Rezvani, CEO und Gründer von NPS. Radar bietet gegenüber optischen Systemen (Lidar, Kamera) Vorteile bei Regen, Schnee, Nebel, Staub und Dunkelheit. Ein Nachteil sind allerdings sogenannte Ghosts. Die analysierten Sensordaten zeigen oft Objekte, die gar nicht existieren. Das führt in Autos oft zu Phantombremsungen. „Auch hier ist unsere Erkennung besser und reduziert die Zahl der Ghost-Erkennung auf ein Zwanzigstel", sagt Rezvani. Das Unternehmen aus dem Silicon Valley beschäftigt 30 Mitarbeiter. Ein kleines Team hat seinen Sitz in München. Zu den Investoren zählt ein globaler Autohersteller, dessen Name Rezvani noch nicht nennen mag. Larry Burns, ehemaliger Forschungs- und Entwicklungschef von General Motors sowie Peter Löscher, ehemaliger Siemens-Chef, beraten das Unternehmen.

Für den Übergang zum SDV braucht es keine großen Entwicklungsabteilungen. Jan Becker von Apex AI plädiert für kleine Kernteams, in denen jedes Mitglied Experte auf seinem Gebiet ist. Die Zahl der Zulieferer sollte auf wenige reduziert sein, die eng ans System angebunden sind. Eine schlanke Organisation und kurze Entwicklungszeiten seien der Schlüssel zum Erfolg. Außerdem werden die Automanager mit einer einfachen Erkenntnis leben müssen, die Becker so zusammenfasst: „Software is never finished."

Zum Original