Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Nio: „Immer eine gesunde Batterie"

Mit dem Nio ET 5 in die Wechselstation und fünf Minuten später ist die Batterie wieder voll

Die Eroberung der Oberklasse mit Mietmodell und Batteriewechsel ist für die chinesische Automarke Nio kein leichtes Unterfangen. Seit November 2023 leitet Marius Hayler das Deutschland-Geschäft. Im Gespräch erklärt er, warum ein Batterietausch beim E-Auto eine gute Idee ist.

Geschäfte in besten Innenstadtlagen sind Nios wichtigstes Marketinginstrument. „Wir investieren nicht in Anzeigen oder Werbespots", sagt Marius Hayler, Nios Deutschland-Chef. Ganz nebenbei soll man hier Marke und Modelle kennenlernen, während man einem Vortrag lauscht, Yoga macht oder im Co-Working-Space arbeitet. Über 600 Veranstaltungen bot Nio im vergangenen Jahr in seinen Häusern in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt an. Zusammen mit der Service-Niederlassung Nio Hub in München zählten die drei Häuser in dem Jahr 300.000 Besucher.

Mitte 2024 wird in Alsternähe ein weiteres Nio House in Hamburg eröffnet. Den Club-Gedanken verfolgt man auch der App. Nutzer veröffentlichen hier eigene Beiträge. Die Smartphone-App wurde 77.000-mal in Deutschland heruntergeladen.


Gerade mal 1.300 Zulassungen

Das sind beeindruckende Zahlen, doch stehen sie im starken Gegensatz zu den Fahrzeugzulassungen. Für 2023 verzeichnet das Kraftfahrbundesamt rund 1.300 Zulassungen der vier Modelle. Chinesische Mitbewerber wie MG (21.232), Great Wall Motors (4.660), BYD (4.139) sowie Lynk & Co (2.291) sind hierzulande erfolgreicher. Natürlich hinkt der Zahlenvergleich, denn Nio vertreibt E-Autos in der gehobenen Mittel- bis Oberklasse. Das Einstiegsmodell ET 5 (Bild 2) kostet knapp 60.000 Euro, wenn man auch die Batterie erwirbt.

Doch damit verspielt man den großen Nio-Vorteil: den Batteriewechsel (Bild 3). In weniger als fünf Minuten ist ein leerer gegen einen zu 90 Prozent geladenen Akku austauscht (Bild 4).

Lange Genehmigungsverfahren

Aktuell gibt es acht Stationen in Deutschland (Bild 5). „Hier hatten wir im vergangenen Jahr 10.000 Batteriewechsel", sagt Hayler. Natürlich sind acht Stationen für ganz Deutschland zu wenig. „Mittelfristig soll es eine mittlere zweistellige Zahl werden", ergänzt Marketing-Chef Christian Wiegand. Auf genaue Zahlen wollen sich beide Manager im Gespräch mit Next-Mobility nicht einlassen. „Der Fortschritt hängt stark vom Tempo der Behörden ab. Eine Zulassung kann schon mal sechs Monate dauern", sagt Wiegand. Die nächste Wechselstation dürfte in der Nähe von Hannover öffnen, obwohl es in Großburgwedel, unweit der niedersächsischen Landeshauptstadt, bereits eine Station gibt. „Die Reihenfolge ist weniger Ausdruck unserer Prioritäten als dem Genehmigungstempo", so Wiegand.


Taxen und Mietwagen

Auch in die Nähe des Hamburger Flughafens soll demnächst eine Wechselstation kommen. „Das erleichtert Taxi-Fahrern den Umstieg", sagt Hayler. Für E-Autos, die tagsüber keine Zeit an der Ladesäule verlieren dürfen, ist der Batteriewechsel ein Vorteil. Neben Hamburg steigt Nio auch in Berlin, Frankfurt und München ins Taxigeschäft ein. Kunden sollen in der Limousine ET 7 ihren Erstkontakt mit der Marke haben. Während viele Autovermieter sich wieder von E-Autos trennen, nimmt Sixt eine niedrige dreistellige Zahl Nio-Modelle in seine Flotte auf. Um dieses Geschäft kümmert sich bei Nio ein neu gegründetes Fleet-Department mit sieben Mitarbeitern. „Wir sprechen gezielt Flottenbetreiber als auch Geschäftskunden an", sagt Hayler. Seine Kernzielgruppe beschreibt er mit Freiberuflern und Selbstständigen, die Wert auf Design und gehobenen Lifestyle legen. Hier konkurriert Nio mit BMW, Audi und Mercedes-Benz. Um auch ein günstigeres Segment zu bedienen, kommen 2025 E-Autos der Nio-Submarke Firefly nach Deutschland. Hier werde man voraussichtlich mit klassischen Autohändlern beim Vertrieb arbeiten.


Partner für den Batteriewechsel

Der schwache Start im ersten Deutschland-Jahr steht im Widerspruch zu den guten Nachrichten aus Nios Heimat. Die Marke erhielt eine Produktionslizenz der chinesischen Regierung und übernahm zwei Fertigungsstätten in Hefei vom bisherigen Auftragsfertiger JAC. Nio kann seine Fahrzeuge nun in Eigenregie produzieren. Im vergangenen Jahr wurden 160.000 E-Autos ausgeliefert. Ein Plus von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Weltweit rollen 450.000 Fahrzeuge der Marke auf den Straßen. Mit den chinesischen Autoherstellern Changan und Geely (Volvo, Polestar, Lynk & Co, Zeekr) gibt es Verträge zur gemeinsamen Standardisierung des Batteriewechselsystems. Ein wichtiger Schritt zu mehr Wirtschaftlichkeit. Die Kosten für den Aufbau der Wechselstationen rechnen sich erst, wenn mehrere Marken das System nutzen.


Aktienkurs bleibt schwach

Das kann allerdings nicht über die angespannte wirtschaftliche Lage von Nio hinwegtäuschen. Ende 2023 kündigte Nio-Gründer William Li die Streichung von zehn Prozent aller Jobs an. Die Expansion in weitere Länder über Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen hinaus liegt erst mal auf Eis. Auch ein Marktstart in den USA ist in weite Ferne gerückt. Die USA erhebt 25 Prozent Einfuhrzoll auf chinesische E-Autos, die zudem keinerlei Förderung aus dem Programm „Inflation Reduction Act" erhalten. Zudem verfolgt die USA eine wirtschaftliche Entkoppelung (Decoupling) von China. Heute könnte Li eventuell seinen Schritt für den Börsengang 2018 in den USA bereuen. Der Aktienkurs an der New Yorker Börse reagiert kaum auf positive Nachrichten aus China. Mit rund sechs Dollar dümpelt die Aktie nahe ihrem 52 Wochen-Tief und verschafft dem Unternehmen eine Marktkapitalisierung von 13 Milliarden Dollar. Das in Hongkong notierte BYD kommt auf einen Börsenwert von umgerechnet 75,5 Milliarden Dollar.


Nach Norwegen folgt Deutschland

Neben den Stellenstreichungen gab es in Deutschland auch in der Unternehmensführung einen Wechsel. Ralph Kranz machte Anfang November 2023 Platz für Marius Hayler, der als General Manager die Verantwortung für Nio Deutschland übernahm. Hayler war 2021 einer der ersten europäischen Nio-Mitarbeiter. Er baute den Vertrieb in Norwegen auf. In seinem Einstellungsgespräch machte William Li keinerlei Vorgaben zu Stückzahlen beim Fahrzeugvertrieb. „Für ihn steht die Kundenerfahrung mit der Marke im Vordergrund", sagt Hayler. Jeden Dienstag werte die Unternehmensführung in China Berichte über die Nutzerzufriedenheit in den einzelnen Ländern aus. Ein neuer Ansatz für den Vertriebsprofi. Hayler wurde in München geboren, wuchs jedoch in Norwegen auf. Nach einem BWL-Studium in Barcelona arbeitete er 25 Jahre im Vertrieb von Jaguar Land Rover, Volvo und Mini in Norwegen.


Mieten statt kaufen

Der Nio-Gründer überließ Hayler die Freiheit, das Verkaufsmodell europäischen Gewohnheiten anzupassen. Nio plante nur mit dem Mietmodell BaaS (Battery as a Service). Doch kann man in Europa die Autos als auch die Batterien kaufen. „Inzwischen entscheiden sich 96 Prozent unserer Kunden in Deutschland für BaaS", sagt Hayler. Noch dürfen diese kostenlos ihre leeren Batterien in einer der acht Stationen wechseln. Das ändert sich Anfang April. Dann sind zwei Wechsel pro Monat kostenlos, lediglich die Energiedifferenz zwischen beiden Akkus wird in Rechnung gestellt. Ab dem dritten Batteriewechsel wird eine Tauschgebühr in Höhe von zehn Euro erhoben. Den Grünstrom für die Wechselstationen aber auch alle anderen Nio-Niederlassungen liefert RWE. Die Kunden zahlen 0,39 Euro pro Kilowattstunde.


Immer eine gesunde Batterie

Mit steigenden Ladeleistungen in den E-Autos sowie an HPC-Säulen schmilzt der Zeitvorteil eines Batteriewechsels. Hayler betont daher einen anderen Vorteil: Man hat immer eine geprüfte Batterie im Fahrzeug (Bild 6). „Ein Auto wird zwischen 5 und 17 Jahren gehalten. Verkaufe ich nach fünf Jahren das Auto, ist die Batterie genauso alt. Verkaufe ich nach fünf Jahren einen Nio, hat der eine gesunde Batterie", sagt Hayler. Zum einen wird der Zustand der Batterie (SoH) nach jedem Wechsel in den Stationen überprüft. Zum anderen hält das Wechselsystem mit Entwicklungen der Batterietechnik mit. „Kommen morgen leistungsfähigere Lithium-Ionen-Batterien oder eine neue Batterie-Technik auf den Markt, übernehmen wir das", so Hayler.

Das plötzliche Ende der E-Auto-Förderung sieht Hayler nicht als Ballast für den Vertrieb. Die meisten Modelle liegen oberhalb der Preisgrenze für den Umweltbonus. Einige Hersteller reagieren auf den Förder-Stopp mit Rabatten. Wer die Hoffnung auf ein Schnäppchen bei Nio hegt, erhält von Hayler direkt eine Absage: „Wir halten unsere Preise stabil." (se)

* Dirk Kunde ist freier Journalist und schreibt als Elektromobilitäts-Experte u.a. für Next Mobility

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