Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

7 Abos und 1 Abonnent
Artikel

Virtuelle Zwillinge und Simulationen in der Fahrzeugentwicklung

Fahrzeugentwicklung in der Simulation von Dassault Système

Entwicklung Simulation und virtueller Zwilling: Blick in eine andere Welt


Virtuelle Zwillinge und Simulationen sind in der Fahrzeugentwicklung wichtig. Eingesetzt werden sie aber auch in anderen Industrien. Ein Besuch im französischen Silicon Valley.


Die Aufhängung für den E-Motor ist noch zu schwer. Das Bauteil ist in der Bildschirmdarstellung rot markiert. Das bedeutet eine weitere Runde für die Ingenieure. Die Aufhängung muss so stabil sein, dass sie das Gewicht und die Vibrationen des E-Motors über einen langen Zeitraum trägt. Gleichzeitig zählt im E-Auto jedes Gramm. 

Bislang wurde für das neue Modell noch kein Metall gefräst. Das Auto existiert nur virtuell in der „3D Experience“-Plattform von Dassault Systèmes. „Ein virtueller Zwilling beschleunigt und vereinfacht die Entwicklung eines Autos“, fasst Laurence Montanari, Vice President Transportation und Mobility Industry beim französischen Softwareunternehmen die Vorteile zusammen. Das Zusammenspiel aus Batterie, E-Motoren, Assistenzsystemen und Konnektivität lässt die Fahrzeugentwicklung immer komplexer werden.


Virtuelle Zwillinge und simulierte Crashtests

Das Schlagwort lautet „Software Defined Vehicle“. Die Zusammenhänge eines zentralen Servers, der Befehle an diverse Steuergeräte im Auto leitet, lässt sich hiermit ausgiebig testen. Montanari lässt auf dem Bildschirm in der Firmenzentrale südwestlich von Paris ein virtuelles Dassault-Systèmes-Auto erscheinen. Auf der Plattform kann sie sich in jedes Bauteil klicken.


„Bei einem Pkw gibt es rund 109 Variationen, die man mit unserer Simulation durchspielen kann“, sagt Montanari. Zusätzlich verschafft die Plattform allen Beteiligten einen Überblick zum aktuellen Stand der Entwicklung. Beispielsweise werden alle Elemente aufgelistet, bei denen es noch Probleme gibt – etwa wenn noch kein Zulieferer beauftragt wurde. Die Software arbeitet Cloud-basiert. Somit hat jeder Beschäftigte mit Smartphone, Tablet oder Laptop von überall Zugang. 

Die Renault Gruppe nutzt mit weltweit 20.000 Beschäftigten die Plattform bei ihrer Fahrzeugenwicklung. Neben virtuellen Zwillingen ermöglicht die Software Simulationen vom Crashtest bis zur Demontage des Batterie-Pakets für ein Recycling.


Mechanische und organische Pumpen

Insgesamt hat Dassault Systèmes ein Dutzend Industriesektoren für den Einsatz der Software-Plattform definiert. Neben Automotive sind das unter anderem Luftfahrt, Stadtentwicklung und Life Science. Durch die Übernahme eines Start-ups 2014 in den USA sorgte das Unternehmen mit einem virtuellen Herzen für Aufsehen. Heute testen pharmazeutische Unternehmen Wechselwirkungen neuer Medikamente an dem digitalen Organ. 

Chirurgen bereiten sich damit auf Operationen vor. „Das Herz funktioniert wie eine Pumpe, damit kennen wir uns aus“, sagt Olivier Ribet, Executive Vice President für den Raum EMEAR (Europa, Naher Osten, Afrika und Russland). Die biochemischen Reaktionen in einer Leber beispielsweise seinen dagegen weitaus komplexer zu virtualisieren. Die digitale Simulation sämtlicher Organe ist im Bereich Life Science eine Herausforderung.


Zum Original