Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Solarenergie: Der Strom liegt auf der Straße

Doppelte Flächennutzung: Solardächer auf Autobahnen

Damit Deutschland klimaneutral werden kann, müssen die erneuerbaren Energien in Deutschland massiv ausgebaut werden - doch es geht viel zu langsam voran. Ein Problem dabei: Wo sollen die ganzen Windräder und Solaranlagen aufgebaut werden, ohne Natur und Landschaftsbild zu sehr zu beeinträchtigen? "Die Installation auf großen Freiflächenanlagen wird mit Sicherheit zu Konflikten und Akzeptanzproblemen führen", sagt Jonas Huyeng, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).

Diese Konflikte lassen sich vermeiden, wenn die Potenziale sogenannter integrierter Fotovoltaik genutzt werden. Dabei wird vorhandene Infrastruktur doppelt genutzt, beispielsweise Gebäude, Gewässer, Straßen, Fahrzeuge und Agrarflächen. Huyeng und seine Kolleginnen und Kollegen am ISE haben diese Potenziale berechnet. Neben Gebäuden und landwirtschaftlichen Flächen bieten Straßen demnach die größte Energieausbeute. Insbesondere die breiten Autobahnen bieten sich für Solardächer an.

"Mit einem laufenden Meter Fotovoltaikzellen könnte man einen vierköpfigen Haushalt mit Strom versorgen", sagt Huyeng. Würden alle Straßen in Deutschland überdacht, könnte man den Forschenden zufolge 290 Gigawatt-Peak (GWp) erzeugen. "Peak" steht dafür, dass dieser Wert unter optimalen Bedingungen erreicht würde. Ende 2021 waren in Deutschland gerade einmal knapp 60 GWp Solarleistung installiert. Die Bundesregierung will 200 GWp bis 2030 erreichen.

Erste deutsche Versuchsanlage geplant

Ob Straßenüberdachung dabei einen Beitrag leisten kann, soll ab diesem Jahr getestet werden: an der A81 nahe des Bodensees an der Raststätte Hegau Ost. Das Projekt ist Teil der gemeinsamen Straßenbauforschung der Länder Deutschland, Österreich und der . In 5,5 Metern Höhe werden Solarmodule auf einer Fläche von zwölf mal 14 Metern installiert. Die Fotovoltaikzellen sollen bifazial funktionieren, also das Sonnenlicht sowohl von oben als auch von unten verarbeiten können.

In der Testphase untersuchen das Fraunhofer ISE, das Austrian Institute of Technology und Forster Industrietechnik aus Österreich nicht nur den Energieertrag, sondern auch, wie stabil die Konstruktion ist. Wie verhält sich beispielsweise das Dach, wenn ein Lkw eine Druckwelle erzeugt? Allerdings werden Lkws vergleichsweise langsam durch die Versuchsanlage fahren, denn die entsteht auf einer Zufahrtstraße der Rastanlage. "Das erleichtert uns den Aufbau, die Wartung und Messungen vor Ort. Auf der Rastanlage können wir den Verkehr umleiten", sagt Huyeng.

Für aussagekräftigere Antworten wäre ein längeres Solardach direkt über den Autobahnfahrstreifen vorteilhafter. "Es ist ein Kompromiss zwischen unseren wirtschaftlichen Möglichkeiten und den wissenschaftlichen Fragestellungen", sagt Huyeng. Weitere Fragen, die der Versuch beantworten soll, lauten: Schützt das Solardach den Fahrbahnbelag im Sommer gegen Hitze und im Winter gegen Frostschäden, sodass Geld für die Instandhaltung der Straße gespart wird? Hilft das Dach beim Lärmschutz?

Schweiz bereitet Ausschreibung vor

Deutlich ambitionierter ist der Plan der Energypier AG in der Schweiz. Das Dach an der A9 bei Fully im Kanton Wallis soll eine Länge von 1.600 Metern haben, die 47.000 Solarpanels sollen etwas mehr als 20 Gigawattstunden Strom pro Jahr erzeugen. "Wir rechnen mit einem Baubeginn Anfang 2023", sagt Energypier-Chef Laurent Jospin. Die Erfahrungen aus dem ersten Solardach sollen kurz darauf in den Bau einer noch größeren Anlage mit 2.500 Metern Länge an der A4 bei Affoltern am Albis fließen.

Langfristig will Jospin den Betrieb der Solaranlagen Stromkonzernen überlassen. Zunächst gehe es ihm vor allem darum, die Machbarkeit unter Beweis zu stellen. Interesse an dem Konzept gibt es genug. Die Städtischen Werke Zofingen nahmen Ende 2021 eine Solaranlage an der Schweizer A2 mit einer Jahresleistung von 700 Megawattstunden in Betrieb. Allerdings liegen die 2.000 Module auf einer bereits existierenden Halbüberdachung der Autobahn zwischen Zofingen und Strengelbach.

In der Schweiz wird das Thema schon groß gedacht, auch von Behördenseite. Das Bundesamt für Strassen (Astra) in der Schweiz schätzt das Potenzial durch überdachte Nationalstraßen und Lärmschutzwände mit Fotovoltaikanlagen auf 55 Gigawatt-Peak im Land. Nimmt man Bahnstrecken hinzu, seien es 101 Gigawatt. Noch ist die Genehmigung gesetzlich auf Versuchsanlagen beschränkt. "Wir wollen aber Dritten ermöglichen, diese Potenziale abzuholen", sagt Astra-Sprecher Thomas Rohrbach. Die Behörde sichtet geeignete Autobahnabschnitte und fasst diese in Losen für eine öffentliche Ausschreibung zusammen, die bereits im Sommer 2022 starten könnte.

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