Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Digitale Dienste beim Autokauf: Abofalle Auto?

Netflix und Spotify, Microsoft 365 und Dropbox machen es vor. In einer digitalen Welt garantieren Abos Unternehmen kontinuierliche Einnahmen. Und in der Autoindustrie deutet sich dieselbe Entwicklung an. General Motors schätzt den Umsatz mit digitalen Diensten ab 2030 auf 20 bis 25 Milliarden Dollar - jedes Jahr. Selbst kleine Start-ups hegen ehrgeizige Pläne. Rivian, die in den USA elektrische Pick-up-Trucks verkaufen, rechnen mit 15.500 Dollar Einnahmen für digitale Dienste über den Lebenszyklus eines Trucks.

Tesla hat es vorgemacht. Hier können Kundinnen und Kunden die Selbstfahrfunktion beim Kauf direkt dazubuchen - oder erst später freischalten. Sogar die nutzbare Batteriekapazität kann Tesla aus der Ferne verändern. Das kam heraus, als Tesla Kunden in einer Region, in der ein Hurrikan wütete, kurzerhand mehr Reichweite für die Flucht ermöglichte.

Wer meint, die deutsche Autoindustrie blicke neidisch in die USA, weil sie bei digitalen Diensten mal wieder hinterherhinke, täuscht sich. Bis 2030 könnte Software ein Drittel des Umsatzes ausmachen, schätzt VW-Finanzvorstand Arno Antlitz. An diesem Ziel arbeitet in erster Linie das Tochterunternehmen Cariad. Die meisten Codezeilen werden dort zwar fürs automatisierte oder autonome Fahren geschrieben. Doch schon heute kann man für den Golf 8 eine Fernlichtautomatik oder den Abstandstempomaten nachträglich freischalten.

Insbesondere hochpreisige Hersteller waren bei digitalen Diensten früh dran. Schon seit 2014 bietet Mercedes-Benz Staumeldungen in Echtzeit an. Nach Auslaufen der dreijährigen Testphase können Halterinnen den Service kostenpflichtig weiternutzen. Digitale Erweiterungen rund um Infotainment, Navigation und Licht sind fast schon selbstverständlich. Laut der Unternehmensberatung Oliver Wyman würden bis zu 40 Prozent der Autofahrer in Europa und 80 Prozent in China die Automarke wechseln, wenn sie dadurch Zugriff auf bessere digitale Dienste erhalten.

Per Abo den Wendekreis verkleinern

Inzwischen geht es so weit, dass sich Hardwarefunktionen aus der Ferne mit einem Update auch ohne Werkstattbesuch ( over the air) erweitern lassen. Zum Beispiel die Hinterradlenkung der Mercedes-Limousine EQS. Bei dem 5,21 Meter langen Fahrzeug schlagen die beiden Hinterräder bis zu 4,5 Grad ein. Das verkleinert den Wendekreis und erleichtert Rangieren und Einparken. Für einen Aufpreis lässt sich der Lenkwinkel auf zehn Grad erhöhen, was den Wendekreis nochmals um einen Meter verkleinert. Für den Service berechnet Mercedes 489 Euro für ein Jahr oder 1.169 Euro für drei Jahre. "Ab 2025 wollen wir einen operativen Gewinn von einer Milliarde Euro mit digitalen Diensten erwirtschaften", sagt Mathias Vaitl, Leiter von Mercedes me & Digital Services Business der Daimler AG.

Die diversen Assistenten benötigen zahlreiche unterschiedliche Sensoren. Das macht die Fahrzeugherstellung zunächst teurer. Auf der anderen Seite wird die Fertigung weniger komplex, wenn jedes Fahrzeug identisch ausgestattet ist. Rechnen muss es sich für die Hersteller nicht unbedingt gleich beim Erstbesitzer. Wenn sich der zweite oder dritte Besitzer für kostenpflichtige Erweiterungen entscheidet, verdienen die Autokonzerne noch immer.

Die Kunden profitieren neben mehr finanzieller Flexibilität dadurch, dass sie stets die neusten Funktionen nutzen können. Das erhält auch den Wert des Fahrzeugs. Im besten Fall steigt der Fahrzeugwert sogar, wenn Updates morgen Dienste ermöglichen, an die heute noch niemand denkt - wenn man sie sich denn leisten kann.

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