Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Automarkt: Das gönn' ich mir

Im VW-Stammwerk in Wolfsburg stehen derzeit die Bänder still. Rund 20.000 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, voraussichtlich bis zum 13. Oktober. Im Opel-Werk in Eisenach wird sogar bis Ende des Jahres kein Auto vom Band laufen. Der Industrie mangelt es wegen der Corona-Auswirkungen weiter an Halbleitern, ohne die sie ihre Autos nicht bauen kann. Das spüren auch Kundinnen und Kunden: Sie müssen lange auf die Auslieferung ihrer Neuwagen warten oder mit abgespeckter Ausstattung vorlieb nehmen.

Die Autoindustrie wird dieses Jahr wohl so wenige Autos verkaufen wie zuletzt 1975. Außerdem kürzen Hersteller und Händler Rabatte und lassen weniger Neuwagen selbst zu, um sie dann vergünstigt als Gebrauchtwagen zu verkaufen, die sogenannte Tageszulassung. Diese Autos fehlen nun im Gebrauchtwagenmarkt und die Preise steigen kräftig.

Damit setzt sich ein Trend aus dem ersten Corona-Jahr fort. Etwa 30 Prozent weniger Fahrzeuge kamen 2020 im Vergleich zum Vorjahr auf den Markt. Die neu zugelassenen Autos fuhren weniger Kilometer, weil ihre Besitzer teils im Homeoffice saßen und persönliche Treffen - beruflich wie privat - einschränkten. Wenige Kilometer auf dem Tacho bedeuten beim Verkauf wiederum einen hohen Preis. Mit 23.728 Euro erreicht der Gebrauchtwagen-Preisindex der Plattform Autoscout24 im September 2021 einen Rekordwert.

Doch die aktuellen Entwicklungen überdecken, dass der Preisanstieg mehr Gründe hat als nur den Chipmangel. Denn die Preise für Neu- und Gebrauchtwagen sind auch in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen. 2011 hieß der günstigste VW Golf Trendline. Er kostete als Neuwagen in der Grundausstattung 16.975 Euro. Berücksichtigt man die Inflation, müsste das Mittelklassefahrzeug inzwischen bei 19.255 Euro starten. Beim Golf geht es heute aber mit 27.615 Euro los - das sind 43 Prozent mehr Preisanstieg, als sich durch Inflation erklären lässt. Volkswagen ist mit dem Aufschlag nicht allein. Bei Mercedes-Benz sind es für eine S-Klasse 20 Prozent, beim Audi A4 sind es 16 Prozent und bei BMW kostet ein 3er inflationsbereinigt 15 Prozent mehr.

"Sie können die Autos von damals nicht mit den heutigen vergleichen", sagt Martin Endlein von der Deutschen Automobil Treuhand (DAT). Die Fahrzeuge sind nicht nur in ihren Ausmaßen gewachsen, sondern auch bei der Leistung. Der Trendline-Golf von vor zehn Jahren lieferte 59 Kilowatt Motorleistung. Jetzt geht es mit 96 Kilowatt beim Golf Life los. Autos sind heute sicherer gebaut als früher und die Grundausstattung ist eine andere: Dank LED- und Laserlicht kann man bei Nacht weiter sehen, Klimaanlage und elektrische Fensterheber sind längst Standard. Hinzu kommen Optionen wie Einparkhilfe, Sitzheizung oder ergonomische Sitze. Die Inhalte des eigenen Smartphones auf das Display im Auto spiegeln zu können, wird heute erwartet. Natürlich muss das Navi Staumeldungen in Echtzeit empfangen und alternative Routen vorschlagen. Eine Freisprecheinrichtung für das Telefon gehört ebenfalls dazu. Parallel zu den Neuwagen stiegen in den vergangenen Jahren auch die Preise für Gebrauchtwagen.

"Internetverbindung, individuelles Zusammenstellen der Ausstattung wie auch sportliche Linien beim Design sind die Trends der letzten Jahre", sagt Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft in Geislingen. Mit dem Angebot zur individuellen Ausstattung stiegen bei den Herstellern jedoch die Produktionskosten. Bei neuen Modellen steuern sie mit weniger Kombinationsmöglichkeiten gegen. Volkswagen hat beispielsweise alle Zweitürer aus dem Programm gestrichen.

Durchschnittlich kostete ein Neuwagen laut DAT-Report im vergangenen Jahr 36.340 Euro. Vor zehn Jahren lag dieser Wert bei 27.390 Euro. Damit ist ein Neuwagen um ein Drittel teurer geworden. Inflationsbereinigt ist es ein Plus von 17 Prozent. Allein von 2019 auf 2020 stieg der Durchschnittspreis um acht Prozent. "Neben diversen Fahrerassistenzsystemen und dem Trend zu Automatikgetrieben sehen wir eine Verschiebung hin zu im Schnitt teureren SUV-Modellen", sagt Endlein, Autor des DAT-Reports.

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