Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Audi e-tron GT vs. Porsche Taycan: Vier Ringe oder springendes Pferd?

Audi e-tron GT vs. Porsche Taycan

In der elektrischen Oberklasse buhlen zwei deutsche Autohersteller mit E-Sportwagen um die Gunst der Käufer. Ich durfte den Porsche Taycan und den Audi e-tron GT ausprobieren. Welcher ist der bessere elektrische Sportwagen?

Beifahrer-Display vs. ferngesteuertem Ausparkassistent. Sinnliche Öffnung der Ladeklappe vs. dünnem Plastikdeckel. Außer der äußeren Form gibt es tatsächlich nur wenige Aspekte, in denen sich der Porsche Taycan und der Audi e-tron GT unterscheiden. Die Erklärung ist einfach: Beide beruhen auf der Performance Plattform J1. Batterie, E-Motoren, Gleich- und Wechselrichter, Fahrwerk, Stauraum, Dreikammer-Luftfederung und vieles mehr sind identisch. Die so genannte Gleichteilequote liegt bei 70 Prozent.

Auch beim Vertrieb verfolgen beide Unternehmen ein ähnliches Konzept. Die jeweilige Basisversion startet unterhalb der 100.000 Euro-Marke. Doch schon mit wenigen Optionen aus den umfangreichen Ausstattungslisten, ist man bei einem sechsstelligen Betrag. Mein Allrad-angetriebener Audi e-tron GT Quattro liegt bei 123.660 Euro. Das Carbon-Dach dürfte das optisch auffälligste Extra sein. Mein Porsche Taycan ist das Basismodell mit einem Heckmotor, doch Extras wie Wolframcarbid-Bremsen, 21 Zoll Mission E-Räder und ein Headup-Display bringen der Verkaufspreis auf 149.530 Euro.

Höchste Ladeleistung

Die Porsche-Ingenieure haben unter dem Arbeitstitel „Mission E" den elektrischen Sportwagen neu gedacht. Schließlich ging es darum, die Sportwagen-DNA ins Zeitalter der Elektromobilität zu transferieren. Das ist ihnen mit der Entscheidung für ein 800 Volt-Batterie-System gelungen. Diverse Bauteile der Leistungssteuerung mussten erst entwickelt werden. Die höhere Spannung ermöglicht Kabel mit geringerem Querschnitt, was weniger Gewicht und weniger Wärmeentwicklung bedeutet. Der größte Vorteil ist allerdings die Ladeleistung von bis zu 270 kW am Schnelllader. An einer HPC-Säule wird in 22,5 Minuten von 5 auf 80 Prozent geladen. Bei beiden Testautos war stets das Auto schneller bei 80 Prozent, als ich mit Kaffee holen, Toilettengang und Mails checken fertig war. Nicht zu vergessen, das übliche Gespräch mit Interessierten an der Ladesäule. Mit beiden Modellen schließt man garantiert neue Bekanntschaften, vor allem weil mein Porsche in Frozen Berry Metallic lackiert ist oder wie ich die Farbe nenne: Streichleberwurst-Rosa.

Beide Autos haben vier Türen und der Zusatz GT macht beim Audi deutlich, hiermit kann man lange Fahrten unternehmen. Im Batteriepaket gibt es zwei Vertiefungen hinter den Vordersitzen. Sie dienen als „Fußgarage", damit Passagiere im Fond ihre Knie nicht auf Brusthöhe haben. Man hätte auch die Rückbank erhöhen können, doch damit wäre das flache Sportwagendesign von unter 1,40 m Dachhöhe unmöglich. Unter der Fronthaube ist Platz für eine Reisetasche oder Ladekabel (84 Liter), der Kofferraum bietet 407 Liter Stauraum. Der Ausschnitt des Kofferraumdeckels ist klein und man muss Gepäck über eine Ladekante heben, dafür ist der Laderaum sehr tief.

Perfekte Ladeplanung

Die Software zur Routen- und Ladeplanung beeindruckend bei beiden Autos. Der Porsche kalkuliert die Reichweite auf Basis der letzten 600 gefahrenen Kilometer. Audi sagt, Topografie, Wetter sowie das von der Kamera erkannte aktuelle Tempolimit werden in der Berechnung berücksichtigt. Nach der Zieleingabe werden Ladestopps automatisch vorgeschlagen und Ladezeiten bei der Ankunftsberechnung berücksichtigt. Beim Audi erlebe ich eine dynamische Ladeplanung, die bei zurückhaltender Fahrweise den nächsten Stopp auf eine weiter entfernte Ladesäule verschiebt.

Meine Fahrt über 800 Kilometer von Hamburg nach Landshut sollte vier Ladestopps haben, am Ende genügen mir drei. Der allrad-angetriebene Audi braucht 24 kWh auf 100 km. Der Porsche Taycan mit Heckantrieb liegt in der Praxis bei 23,1 kWh. Beide haben die große Batterie mit 83,7 nutzbaren Kilowattstunden. Die WLTP-Angaben kann man bei Sportwagen vergessen. Schließlich wird im Test nur 30 Min. bei kurzzeitigem Tempo 130 km/h gefahren. Diese Autos fährt man anders, auch wenn ich die Top-Speeds nur auf kurzen Abschnitten ausfahren konnte (230 km/h Porsche; 245 km/h Audi). Gehe ich von meinen Verbräuchen aus, sind 348 (Audi) und 362 km (Porsche) mit einer Ladung möglich. Das mag manchem wenig erscheinen, doch bei einem gut ausgebauten HPC-Ladenetz sind Reichweite und Ladeweile kein Thema mehr.

Taycan Verkaufserfolg

Zum Verkaufserfolg bei Audi kann man noch nicht viel sagen. Der Audi e-tron GT und die teurere RS-Variante werden erst seit Frühjahr 2021 ausgeliefert und dürften bei rund 1.700 liegen. Doch bei Porsche steht bereits fest: Der Mut der Porsche-Ingenieure zahlt sich aus. Gleich im ersten Jahr wurden 20.000 Stück verkauft. Das macht zwei Drittel der 911er Verkäufe für das Jahr aus. Das ist immerhin die Ikone der Sportwagenmarke. Im ersten Halbjahr 2021 fanden bereits 20.000 Taycan einen Käufer. Inzwischen gibt es acht Derivate, ein Basismodell mit Heckantrieb, vier Allrad-Version jeweils mit einer Kombi-Version, die bei Porsche Cross Turismo heißt.

Wie glücklich Porsche über das Teilen der J1-Plattform mit Audi ist, darüber dringt wenig nach außen. Ich stelle mir das wie den Streit zwischen Geschwistern vor. Die strenge Mutter, in diesem Fall der VW-Konzern, macht dabei die Ansage: „Ihr müsst teilen." Schließlich hat Audi die Rolle des Musterschülers in Sachen Premium-Elektromobilität zugeteilt bekommen (Stichwort: Artemis). Spannend werden die weiteren Schritte. Denn Verbesserungen im E-Auto (mehr Reichweite, bessere Rekuperation, mehr Ladeleistung) sind Software-Themen. Die zentralisiert Volkswagen über alle seine Marken bei der IT-Tochter Cariad.

Erinnerung an die Bodenwelle

Aber auch einige Hardware-Elemente können sich sehen lassen. Beispielsweise das Fahrwerk mit Dreikammer-Luftfederung und Hinterradlenkung. Die Luftkammern passen die Federung an Fahrweise und Bodenbelag an. Nimmt man eine Bodenwelle oder einen Kantstein, kann man das Fahrwerk anheben. Auf Wunsch merkt sich Fahrzeug die GPS-Koordinaten und hebt beim nächsten Mal die Karosserie automatisch an. Die 2,8 Grad einschlagenden Hinterräder erleichtern das Rangieren und reduzieren den Wendekreis um 60 cm. Bei langsamen Kurvenfahrten und schnellen Überholmanövern sorgt der Einschlag für mehr Spurstabilität. Beide Autos bieten bei Autobahntempo genug Reserven, um noch mal zu beschleunigen und Hindernisse zu umfahren. Das machen beide flüsterleise. Doch bieten Audi und Porsche für 500 Euro Soundgeneratoren, um die Sportwagen wie klassische Sportwagen klingen zu lassen. Warum, das bleibt mir schleierhaft. Ein flüsterleiser Kavalierstart und ein geräuschloses Überholmanöver hinterlassen bei Mitfahrern und Passaten erstauntere Blicke.

Die Unterschiede

Bei Audi beeindruckt ein Ausparkassistent, den man per Smartphone steuert. Steht der Wagen in einer engen Parklücke oder Garage, bleibt der Fahrer draußen stehen. Mit der App als Fernbedienung steuert man den e-tron GT vor- oder rückwärts aus dem Stellplatz. Porsche muss diesen Assistenten noch nachrüsten.

Dafür hat man in Zuffenhausen ein Herz für Beifahrer. Für die gibt es auf Wunsch ein eigenes Display. Für die Routenplanung oder die Musikauswahl muss sich der Beifahrer nicht mehr in Richtung Fahrer lehnen, um den Bildschirm zu bedienen. Auch bei den beiden Ladeklappen für AC- und DC-Ladung punktet Porsche. Beim Taycan streicht man sinnlich mit dem Finger über eine Finne, worauf die Ladeklappe nach innen hochfährt. Beim Audi ist es eine profane Plastikklappe, deren Druckpunkt man erst suchen muss. Billiger und liebloser geht es kaum.

In Sachen Design fällt die Entscheidung schwer, zumal es Geschmackssache ist. Doch die Abstimmung an der Ladesäule fällt eindeutig aus: Mehr Menschen halten im Gespräch den Audi e-tron GT für den schöneren Sportwagen. Insbesondere was das Heck angeht, stimme ich dem zu. Unter dem Strich haben beide Unternehmen beeindruckende elektrische Sportwagen geschaffen. Eine Funktion im Porsche Taycan hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Das Ambient-Licht passt sich automatisch dem Album-Cover des aktuellen Musiktitels an. Ist das abgebildete Cover im Display vorwiegend grün, wird der Innenraum grün erleuchtet. Nutzlos? Kindische Spielerei? Ja, vielleicht. Aber es zeigt eine Geisteshaltung der Porsche-Entwickler und mir sagt das, sie sind auf dem richtigen Weg.

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