Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Auto-Betriebssysteme: Hey, Auto!

Der Polestar 2 hört aufs Wort

"Hey, Google, stell die Klimaanlage auf 19 Grad!", sagt die Fahrerin im Polestar 2. Der Assistent setzt den Befehl sofort um. Die Sprachsteuerung in der Limousine hat natürlich Zugriff auf die größte Suchmaschine und liefert Antworten auf jegliche Fragen, die unterwegs so auftauchen. Google Maps mit seinen Stauinformationen in Echtzeit berechnet die schnellste Route. Das System kennt Bäcker und Blumenläden am Ziel. Auf Wunsch werden deren Öffnungszeiten und Nutzerbewertungen angezeigt. Da der Polestar 2 elektrisch fährt, zeigt die Routenberechnung notwendige Ladestopps. Dabei werden mögliche Ladesäulen nach deren Ladegeschwindigkeit sortiert aufgelistet. Wie viele Anschlüsse am Standort frei sind, zeigt Google Maps auch.

Im August erhalten die ersten Kunden in Europa das Elektroauto der Gemeinschaftsmarke von Volvo und Geely. Der Polestar 2 ist das erste Serienfahrzeug mit dem Betriebssystem Android Automotive. Die ist nicht zu verwechseln mit Android Auto. Diese Funktion spiegelt lediglich Apps vom Smartphone auf das Display im Fahrzeug. Google entwickelte Android Automotive zusammen mit Intel als eigenständiges Betriebssystem, das auch Zugriff auf Fahrzeugfunktionen hat. Polestar nutzt zwar noch eigene Software für Fahr- und Sicherheitsfunktionen, doch Android Automotive greift bereits auf Infotainmentsystem und Klimaanlage zu.

Der oft gelesene Vergleich, Autos seien Smartphones auf Rädern, wird damit Realität. Das liegt zum einen an der Käufererwartung. Ihr Smartphone können sie mithilfe von Apps um Dienste erweitern, Updates des Betriebssystems verbessern Funktionalitäten. Zum anderen üben Google als auch Tesla mit ihren laufenden Aktualisierungen Druck auf die deutsche Autobranche aus. Punkteten die heimischen Hersteller bislang mit Spaltmaßen, Spritverbrauch und Sicherheit, müssen sie in Sachen Software aufholen. "Denn für viele unserer Kunden definiert sich Premium bereits heute vorrangig über digitale Technologien", hat Audi-Chef Markus Duesmann erkannt.

Zentralrechner im Auto

Um das Dilemma zu verstehen, muss man schauen, wie Autos hergestellt werden. Außenspiegel und Sitze, Gurtstraffer und Displays kommen von Zulieferern. Jedes Bauteil enthält eine Recheneinheit und entsprechende Software. Das nennen Fachleute Steuergerät. In einem gut ausgestatteten Auto sind durchaus siebzig Steuergeräte aktiv. Jedes einzelne Gerät mit Befehlen zu versorgen, ist keine Herausforderung. Die Vernetzung ist es schon. Nimmt der Fahrer im Polestar 2 Platz, wird sein Profil über einen digitalen Autoschlüssel im Smartphone aktiviert. Außenspiegel, Sitze und Musikwiedergabe passen sich seinen Vorgaben an.

Dazu müsste in der klassischen Fertigung jede Zulieferersoftware angepasst werden. Das ist zu aufwendig. Zukünftig wird man die Rechentätigkeit auf einem oder mehreren Servern im Auto bündeln. Sitz und Außenspiegel erhalten nur noch die Befehle zur Umsetzung. Die Zentralrechner benötigen Verbindung zur einer gesicherten IT-Cloud. Nur so können Updates und neue Services geladen werden.

Das Dilemma: Deutsche Autohersteller sind, salopp gesagt, vor allem als präzise Blechbieger bekannt. Codezeilen aneinanderzureihen, gehört nicht zu ihren Kernkompetenzen. Der Anteil selbst geschriebener Software liegt im VW-Konzern unter zehn Prozent. Das soll Markus Duesmann ändern. Er hat als Audi-Chef und Volkswagen-Konzernvorstand für Forschung und Entwicklung die Verantwortung für den Bereich Software übernommen. Die Car.Software-Organization mit Sitz in Ingolstadt entwickelt für alle Marken im Konzern.

Lohnen sich eigene Systeme für kleinere Hersteller?

Im Fokus steht das neue Betriebssystem VW.os sowie eine automobile Datencloud, die in Kooperation mit entsteht. Bis Jahresende sollen 5.000 IT-Fachkräfte für die Car.Software-Organisation arbeiten. Bis 2025 sollen es doppelt so viele Mitarbeiter an Standorten in Europa, China, den USA, Israel und Indien werden. "VW.os wird seinen Funktionsumfang 2024 in einem leistungsstarken Elektrofahrzeug von Audi unter Beweis stellen", so ein Unternehmenssprecher. Duesmann verantwortet in Ingolstadt auch eine Projektgruppe, die nach der griechischen Jagdgöttin Artemis benannt ist. Natürlich geht es um die Jagd auf den Elektroautoprimus Tesla.

Die geplante Mitarbeiterzahl macht deutlich, Softwareentwicklung ist komplex und teuer. Skaleneffekte realisiert man, wenn möglichst viele Menschen sie nutzen. Facebook und Google, Apple und Microsoft sind die besten Belege. Der Volkswagen-Konzern hat im vergangenen Jahr knapp elf Millionen Fahrzeuge verkauft. Da hat ein eigenes Betriebssystem eine solide Nutzerbasis. Doch was ist mit kleineren Herstellern wie (2,5 Millionen Autos) oder Mercedes-Benz (2,3 Millionen Autos)? "Wir müssen das Programmier-Know-how bei uns im Haus haben. Außerdem senkt das langfristig unsere Entwicklungskosten, wenn wir diese Arbeiten nicht nach draußen geben", ist Sajjad Khan überzeugt. Er ist Chief Technology Officer der Mercedes-Benz AG.

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