Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Artikel

Meinung zu Nissans Neustart mit dem Ariya

Der Ariya ist ein elektrisches Crossover-Coupé

Für Nissan symbolisiert die Präsentation des elektrischen Ariya einen Neuanfang. Marco Fioravanti, Vice President Product Planning in Europa, spricht im Interview sogar von einem Neustart für das Unternehmen. Das könnte man als Marketing-Blabla abtun, doch der japanische Autohersteller unterstreicht seine Ambitionen mit einem neuen Logo. Nach 20 Jahren wird der Schriftzug nun schlichter und zweidimensional. Volkswagen hat es mit seinem Logo vorgemacht. Diese neue Sachlichkeit kann man als technisch deuten. Es ist der Beginn der Elektromobilität im Massenmarkt.

Nissan gehört mit dem Leaf zu den Vorreitern. Doch der wird seit 2010 gebaut, wirkt fasst schon überholt. Zudem muss sich CEO Makoto Uchida, erst seit Dezember 2019 im Amt, beweisen. Nissan steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sowie in einer leidgeprüften Allianz mit Renault und Mitsubishi. Dazu gleich mehr, schauen wir zuerst auf das Crossover-Coupé, das 2021 nach Deutschland kommt.

CCS-Stecker und flüssigkeitsgekühlter Akku

Die technischen Besonderheiten vorweg: Nissan verabschiedet sich hierzulande vom CHAdeMo-Anschluss und setzt auf den CCS-Stecker beim Schnellladen. Das funktioniert mit bis zu 130 kW. Dreiphasiges Wechselstromladen ist bis 22 kW möglich, was allerdings eine genehmigungsfähige Wallbox voraussetzt. Im Gegensatz zum Leaf ist der Akku flüssigkeitsgekühlt, was Ladepausen für Umsteiger verkürzt. In 30 Minuten sind rund 300 km an Reichweite geladen. Zur Wahl stehen fünf Varianten mit den beiden Batteriegrößen 63 und 87 kWh (nutzbar).

Der Ariya kommt mit Front- oder Allradantrieb, den Nissan e-4orce nennt. Die Reichweiten (WLTP) gehen von 360 bis 500 km. Die Motor(en)leistung reichen von 160 bis 290 kW und das Drehmoment von 300 bis 600 Nm. Die Höchstgeschwindigkeiten betragen 160 bzw. 200 km/h. Die Performance-Variante ist in 5,7 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Das Einstiegsmodell benötigt dafür 7,5 Sekunden. Die Ariya-Varianten wiegen zwischen 1,8 und 2,3 Tonnen.

Ariya als Crossover Coupé

Das sind solide technische Werte, aber eben nichts Umwerfendes. Schauen wir auf das äußere Erscheinungsbild. Chef-Designer Giovanny Arroba bemüht sich bei der Präsentation in Yokohama sichtlich um Spannung und eine blumige Beschreibung der Form, doch der erste Gedanke lautet: Das habe ich doch alles schon mal gesehen. Der Crossover-SUV bietet wenig Neues: Eine hohe Front mit einem markanten Tagfahrlicht in V-Form, hohe, kräftige Radkästen und einen möglichst langen Radstand (2,78 m). Eine langgezogene Dachlinie, die Luft über einen Spoiler über das Heck hinaus leitet. Die zwei Haifischantennen auf dem Dach sind noch das Auffälligste am Äußeren.

Auch innen weiß das Elektroauto kaum zu begeistern. Zwei 12,3 Zoll Displays, eins davon als Touchscreen. Ein Lenkrad voller Knöpfe. Es gibt eine Sprachsteuerung. Auch Amazons Alexa ist integriert, so dass man vom Auto aus daheim die Heizung einschalten kann und von zuhause den Ladezustand der Batterie abfragen kann. Natürlich gibt es eine Smartphone-App mit den bekannten Funktionen. Das e-Pedal, also fahren ohne das Bremspedal zu benutzen, kennt man bereits vom Leaf. Der Assistent Pro Pilot 2.0 für Autobahnfahrten ist bereits im Nissan Skyline verbaut. Also nichts wirklich Neues. Es gibt nichts, was technisch oder optisch beim Ariya als zukunftsweisend heraussticht.

Vielleicht liegt es daran, dass die Planungen für diesen Wagen laut Fioravanti im Jahr 2016 begannen. Eventuell hat man zu früh aufgehört, Ideen einzubinden. Fioravanti betont im Videogespräch mehrfach, wie enthusiastisch er in Sachen Ariya ist: "Wir sind hier sehr optimistisch für Nissan." Doch leider unterstreichen weder Gesicht noch Körpersprache seine Begeisterung.

Wettbewerb innerhalb der Allianz

Für den noch recht neuen Unternehmenschef Uchida muss der Neuanfang allerdings gelingen. In den vergangenen zwei Jahren verlor die Nissan-Aktie 60 Prozent an Wert. In den USA gingen aufgrund einer überalterten Modellpalette der Umsatz im vergangenen Jahr um die Hälfte zurück. Sinkende Absatzzahlen und die Corona-Pandemie belasten die Auto-Allianz bestehend aus Nissan, Renault und Mitsubishi. Nach dem skandalösen Abgang 2018 von Vorstandschef Carlos Ghosn und seiner filmreifen Flucht aus Japan im vergangenen Jahr, brachen die schwelenden Konflikte in der Allianz offen aus. Der starke Mann Ghosn regierte mit eiserner Faust.

Renault sicherte vor 20 Jahren mit seinem Einstieg bei Nissan das Überleben des kriselnden japanischen Autoherstellers. Die Franzosen übernahmen 43 Prozent der Anteile. Nissan hält nur 15 Prozent an Renault. Im Lauf der Jahre wendete sich das Blatt. Die Japaner verkauften deutlich mehr Autos als die Franzosen, hatten in der Allianz aber aufgrund der Beteiligungsverhältnisse weniger zu sagen. Das Ungleichgewicht sorgt bei allen Beteiligten für Unmut. Für eine Fusion reicht die Begeisterung der Entscheider nicht. Die Not in der Autoindustrie zwingt sie jedoch zu einer engeren Zusammenarbeit.

Erst kürzlich verkündeten sie das Leader-Follower-Programm. Jeweils ein Unternehmen entwickelt ein Fahrzeug als "Mutter"-Auto, die anderen machen daraus "Schwester"-Fahrzeuge ihrer Marke. Weniger Plattformen, weniger Fertigungsstätten, geringere Komplexität lautet die Vorgabe. Auch die Welt hat die Allianz unter sich aufgeteilt: Renault übernimmt Europa, Russland, Nordafrika und Südamerika. Mitsubishi Motors kümmert sich um die ASEAN-Staaten und Ozeanien. Nissan verantwortet Japan, China und die USA. Europa kommt da gar nicht vor. Die Nissan-Produktion in Barcelona wird geschlossen, das Werk im britischen Sunderland soll bleiben.

Innerhalb der Allianz übernimmt Nissan die Führung bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Die Verantwortung für den Bereich Elektroantriebe hätten gern Renault und Nissan übernommen. So gibt es einen Kompromiss: Renault entwickelt die Elektronikarchitektur und fertigt die Elektroantriebe für die Plattformen CMF-A/B. Die werden beispielsweise vom Nissan Juke oder dem Renault Clio genutzt. Die Plattform CMF-EV für zukünftige Modelle, wie den Ariya oder das Morphoz-Konzept, verantwortet Nissan.

Name klingt im Deutschen unvorteilhaft

Gebaut wird der Ariya in einer Fabrik nördlich von Tokio. Eine Fertigung in Sunderland für Europa ist derzeit nicht vorgesehen, so Fioravanti. Der Marktstart in Europa ist für die zweite Hälfte 2021 geplant. Genaue Preise für Deutschland gibt es noch nicht. Der Einstiegspreis in Dollar soll bei 40.000 liegen. Dann stellt sich noch die Frage, ob Nissan den Namen im deutschen Sprachraum hat vorab testen lassen? Man stelle sich folgende Konversation vor: "Du fährst jetzt ein Elektroauto?", "Ja, einen Arier." Irgendwie klingt das nicht gut.

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