Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Wettbewerb Startup Autobahn: Wenn das Auto dich wachrüttelt

Mit Berührung den Fahrer informieren

Im Head-up-Display leuchten die Symbole für die Navigation und die erlaubte Geschwindigkeit. Plötzlich hört der Fahrer einen Warnton, weil er zu dicht auf den Vorausfahrenden auffährt. "Beim Autofahren erleben wir einen Rausch der Reize", beschreibt es Isabella Hillmer im Gespräch mit Golem.de. Eigentlich ist es sogar eine Reizüberflutung, selbst wenn beim Fahren die Maschine immer mehr Aufgaben übernimmt. Daher setzt Hillmer auf einen neuen Informationskanal: Berührung. Der Fachausdruck lautet taktiles Feedback. Quasi eine Berührung wie von Geisterhand. Daher auch der Name Ghost - Feel it für ihr Startup, das sie zusammen mit Laura Bücheler im Frühjahr 2019 in Berlin gegründet hat.

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Der Fahrer spürt in seiner linken Sitzhälfte eine Vibration, wenn ein anderes Fahrzeug beim Überholvorgang im toten Winkel fährt. "Es kann auch ein Tacton für Richtungsanzeigen des Navis genutzt werden", sagt Hillmer. "Ein Tacton ist beim Fühlen, was ein Icon im Visuellen darstellt. Jeder erkennt Icons für Wiedergabe oder Pause. Genauso werden wir zukünftig taktile Muster als Menüpunkte erlernen", ist die 28-jährige Gründerin überzeugt.

Finalist im Wettbewerb Startup Autobahn

Das sieht wohl auch die Mercedes-Benz-Konzernforschung so, denn das Berliner Unternehmen ist eines von 30 Finalisten im Wettbewerb Startup Autobahn. Bereits zum siebten Mal sucht der Autohersteller gemeinsam mit 28 internationalen Partnerunternehmen, darunter etliche Zulieferer wie ZF und Webasto, nach Ideen von morgen. Ein Beispiel dafür ist das Adresssystem What3Words, das heute Teil von Mercedes-Benz' Nutzeroberfläche MBUX ist.

"Wir werfen pro Jahr auf bis zu 3.000 Startups einen prüfenden Blick", sagt Philipp Gneiting, Leiter Open Innovation bei Mercedes-Benz. Rund 200 Gründer werden nach Stuttgart in die Zentrale eingeladen. Dort können sie den Experten der unterschiedlichen Fachbereiche ihre Ideen vorstellen. In der nächsten Runde haben 50 Unternehmen die Chance, sich bei einer Art Speed Dating zu präsentieren. Nur 30 Startups kommen ins Finale und realisieren in einer 100-tägigen Testphase einen Piloten ihrer Idee. Das geschieht direkt bei Mercedes-Benz oder in einem der Partnerunternehmen.

"Wir moderieren dabei die unterschiedlichen Welten von Startups und Konzern", sagt Gneiting. Da die Fachabteilungen direkt in den Auswahlprozess integriert sind, ist die Akzeptanz innerhalb des Konzerns größer. Von außen wirkt es banal, doch hier liegt einer der Gründe dafür, dass etliche Digital Hubs beziehungsweise Labs der Großunternehmen - vorzugsweise in Berlin - scheitern. Dieses Schicksal droht auch Daimlers Lab 1886 in Berlin. Laut Medienberichten soll es entweder geschlossen oder zu einem offenen Inkubator ausgebaut werden.

Axel Springer und Porsche bereiten die Finanzierung vor

"Wir konnten unsere Software zusammen mit Sensoren und Motoren in einen Autositz integrieren. Außerdem haben wir wertvolle Kontakte zu Zulieferern bekommen, die Autositze herstellen", fasst Hillmer die Erfahrung mit der Innovationsplattform Startup Autobahn zusammen. Ghost wird mit seinen fünf Mitarbeitern derzeit im Accelerator von Axel Springer und Porsche (APX) auf eine Risikokapitalfinanzierung vorbereitet.

Dabei ist das Startup mit zwei Gründerinnen und einer leitenden Hardware-Ingenieurin ein Exot in der Szene. Die Frauen sind keine Betriebswirte mit Unternehmensberater-Hintergrund. Laura Bücheler ist Ingenieurin und hat einen Master in Medizintechnik. Hillmer hat Neurowissenschaften und Industriedesign studiert. Das sind sehr unterschiedliche Fachrichtungen, die sich in der Ghost-Produktentwicklung jedoch gut ergänzen. Die beiden kennen sich bereits seit ihrer Schulzeit.

Ghost wegen Ghost in a Shell

"Wir sind beide Fans von japanischen Animes", erzählt Hillmer. So geht die Firmierung zurück auf Ghost in a Shell, in dem eine Mensch-Maschine ihre Seele sucht. Die Geschichte wurde 2017 mit Scarlett Johansson verfilmt.

Mit dem Wandel zur sogenannten Industrie 4.0 suchen Unternehmen neue Mensch-Maschinen-Schnittstellen. Haptik und Berührung sind da eine Möglichkeit. "Im Grunde kann taktiles Feedback in Arbeitskleidung überall am Körper funktionieren", sagt Hillmer. "Es können Warnungen, Informationen, Rückmeldungen oder Anleitungen sein, wie man sich in der Produktion richtig bewegt, ohne körperliche Schäden davonzutragen."

Wie solcher Schaden verhindert werden kann, darin sind Hillmer und Bücheler Expertinnen. Bereits vor der Unternehmensgründung arbeiteten Hillmer und Bücheler an Rückmeldungen zur Druckintensität - bei Prothesen. "Träger von Prothesen erhalten bislang nur visuelles Feedback", sagt Hillmer. Bei einer beweglichen Hand weiß der Träger also nicht, wie viel Druck er mit seinen künstlichen Fingern ausübt. Hillmer: "Da ist das Ei schnell kaputt."

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