Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Mercedes-Benz EQC: Ihm fehlt die Liebe

Der Mercedes-Benz EQC basiert auf einem klassischen GLC-Modell

Der erste batterie-elektrische SUV mit Stern an der Front kommt im deutschen Markt nicht gut an. Dabei konnte er in unserem Test überzeugen. Doch die Interessenten spüren, dass hier Ingenieure ohne Passion und Liebe am Werk waren. Hätte der EQC einen Verbrennungsmotor, würde ich schreiben er stottert, um die Situation bei Mercedes-Benz zu beschreiben.

Der Start des ersten batterie-elektrischen SUV mit einem Stern ist keine Erfolgsgeschichte. Laut Kraftfahrtbundesamt wurde der Wagen seit Frühjahr 2019 insgesamt 623 mal in Deutschland zugelassen. Wenig im Vergleich zum Audi e-tron (4.150) oder dem Model 3 von Tesla (9.270). Selbst vom Jaguar I-Pace (1.042) wurden von Anfang 2019 bis Ende Januar 2020 mehr Fahrzeuge zugelassen.

Ob das nun bei Daimler an Produktionsschwierigkeiten aufgrund von Batterieengpässen bei LG Chem liegt oder mangelndes Interesse bei Käufern, ist umstritten. Die Schilderungen variieren, je nach dem, mit wem man spricht. Doch die Tatsache, dass sich der EQC so schlecht verkauft, ist schade, denn nach zwei Testwochen muss ich sagen: Es ist ein gutes Auto. Fahrkomfort, Ausstattung und Konnektivität sind prinzipiell gut. Einzig die Energieeffizienz ist zu kritisieren. Während in der Broschüre ein Verbrauch von 19,7 bis 20,8 kWh steht, waren es im Test 27,3 kWh auf 100 km. Aber das überrascht wenig.


Es ist ein 2.495 kg schwerer SUV, der als Verbrenner konzipiert wurde. Das 4,76 Meter lange Chassis stammt vom klassischen GLC. Außenspiegel und Türgriffe ragen weit nach außen. Hinzu kommt ein vollkommen sinnfreies Trittbrett bei dem 1,62 cm hohen Wagen. Da überrascht ein cW-Wert von 0,27 fast schon positiv. Die Passagiere im Fonds stört ein unnützer Kardanwellen-Tunnel im Fußraum. Die Tankklappe, sorry, der CCS-Ladeanschluss hinten rechts befindet sich für Schnelllader an einer denkbar schlechten Position. Immerhin kann man mit der Charge Me-Karte für 0,29 Euro an Ionity-Säulen laden. Wie hoch die Grundgebühr nach dem kostenlosen Jahr ausfällt, verrät weder Webseite noch Handbuch im Handschuhfach. Dort entdecke ich einen kleinen Glas-Flakon in einer Halterung. Es ist der “Wunderbaum 2.0”, der Duft Freeside Mood sorgt für dezenten Geruch. Es riecht nach frisch geöffneter Cremedose. Wer andere Düfte will, kann die 15 ml-Flakons für 67 Euro bei Mercedes bestellen. Auch die Lichtstimmung im Auto kann man farblich anpassen. Über das Touchpad in der Mittelkonsole wischt man sich die gewünschte Farbauswahl zusammen.


Perfekte Ausstattung und Verarbeitung

Mein absolutes Highlight: Die Kombination aus Assistenzsystemen und Head-up-Display. Ich aktiviere den Abstandstempomaten und den Spurhalteassistenten. Beides sehe ich beim Blick durch die Frontscheibe vor mir schweben. Das Head-up-Display zeigt auch Richtungsanzeigen des Navis an. Die Kamera erkennt Verkehrszeichen und passt automatisch die gefahrene Geschwindigkeit an. Das sorgt für absolut entspanntes Fahren auf der Autobahn. Klasse, finde ich die Aktivierung der Frontkamera beim Ampelstopp. Man kann die Augen unten in der Ablage oder beim Beifahrer haben und man bekommt im Augenwinkel immer noch mit, wenn sie auf Grün umspringt. Steht man als erster vor der Ampel, kann man als großer Mensch oft die Lichter nicht sehen. Auch hier hilft das Monitorbild.

Schade, dass die Datenverbindung für das integrierte TuneIn-Radio nur zögerlich lädt. Also wähle ich einen DAB-Sender. Die Musik hört sich aus der Burmester-Anlage hervorragend an. Die Sitzheizung entspannt meinen Rücken. Die elektrische Einstellung der Sitzelement befindet sich an ungewohnter Position im oberen Teil der Fahrertür. Die Lordosenstütze steure ich jedoch über einen Knopf unten am Sitz. Dieser Komfort hat natürlich seinen Preis. Mein Testwagen in der AMG Linie mit den diversen Extras und perfekter Verarbeitung liegt bei rund 89.000 Euro. Der Startpreis für den EQC 400 liegt bei 71.200 Euro – also im Förderrahmen des Umweltbonus.


Zu hoher Energieverbrauch

Die Konnektivität im Fahrzeug ist gut, die Verbindung zwischen Auto und Mercedes Me-App steht sofort. Aus der Ferne überwache ich nicht nur den Ladezustand und finde Ladestationen, ich plane meine Routen und kann den Wagen auf die gewünschte Temperatur bringen. Die App bietet mir auch Verbrauchsstatistiken für die aktuelle Fahrt oder seit dem letzten Reset. Letzterer Punkt ist etwas enttäuschend. Die 27,3 kWh auf 100 km sind natürlich alles andere als energieeffizient. Mit der 80 kWh Batterie soll ich 390 km (WLTP) kommen. Meine Reichweitenanzeige steigt bei einstelligen Celcius-Graden nie über 330 km. Geschafft habe ich tatsächlich eine 250 km lange Etappe mit 40 Rest-Kilometern. Die ging allerdings vorbei an der hügeligen Porta Westfalica. Ein Wechsel zwischen den Fahrmodi Eco, Sport und Komfort ändert nichts an der Restreichweitenanzeige. Im Sportmodus sprintet der EQC in 5,1 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Die beiden Motoren liefern 300 kW (408 PS) und 760 Nm Drehmoment. Bei Tempo ist 180 km/h ist Schluss.


Laden bei Ionity

Auf Autobahnfahrten nutze ich die beiden Wippen hinter dem Lenkrad, um die Rekuperation anzupassen. Bei schnellen Fahrten will ich die gewonnene Bewegungsenergie halten und frei rollen. In Baustellen und bei stockendem Verkehr möchte ich Energie zurückgewinnen und die Bremsen schonen. Beim Ladestopp nimmt der EQC am AC-Anschluss 7,4 kW, leider nicht dreiphasig 11 kW. Das Typ 2-Kabel steckt in einer Seitentasche im 500 Liter großen Kofferraum. Unter der Fronthaube ist leider kein Stauraum verfügbar. Der Schnellladeanschluss bringt es auf eine Leistung von 110 kW. Somit ist der Wagen auf der Strecke Hamburg – Köln (420 km) in nur 35 Minuten an der Ionity-Ladesäule zur Weiterfahrt bereit. Gerade genug Zeit für eine Toiletten- und Essenspause.


Mehr Kür statt nur Pflicht

Komfortmerkmale und hochwertige Verarbeitung können die Stuttgarter. Aber mit den niedrigen Verkaufszahlen erhält der Daimler-Konzern die Quittung für den lieblosen Entwurf eines Elektroautos. Die Entwickler griffen zum Chassis eines Verbrenners. Batterie-Modul, Getriebe und Steuerungseinheit liefert ZF. Beides wird im Bremer Werk zu einem SUV verbaut, der konzernintern als “CO2 Compliance-Auto” gehandelt wird. Es geht nur darum, die CO2-Grenzwerte der EU in diesem Jahr einzuhalten. Wie wenige Liebe, Begeisterung und Überzeugung für Elektromobilität im EQC steckt, scheinen die Interessenten zu spüren und kaufen lieber andere Modelle. Den Verkaufsstart in den USA hat Daimler vorsichtshalber auf 2021 verschoben.

Dabei wäre ein Erfolg bei E-Autos für Vorstandschef Ola Källenius so wichtig. Das Konzernergebnis ist 2019 auf 2,7 Milliarden Euro gerutscht (Vorjahr: 7,6 Mrd. Euro). Rückstellungen für mögliche Strafzahlungen bei Dieselabschalteinrichtungen, die dazugehörigen Software-Updates, Rückrufe aufgrund defekter Airbags als auch einem brüchigen Bolzen im Differentialgetriebe des EQC-Frontgetriebes belasten die finanzielle Lage.

Die X-Klasse (Pick-ups) wird eingestellt und bis Ende 2022 will Källenius 1,4 Milliarden Euro bei Personalausgaben sparen. Übersetzt heißt das, bis zu 10.000 Stellen fallen im Konzern, auch in der Leitungsebene, weg. Umso wichtiger, dass die kommenden Elektroautos überzeugen. In diesem Jahr haben der EQA sowie der Kleinbus EQV ihre Premiere. Sie sollten besser vor Liebe zur neuen Antriebstechnologie sprühen. Und zwar so, dass der Funke auch bei Interessenten überspringt.

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