1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Sylvester Stallone: Die Rocky-Filme und "Creed II" - DER SPIEGEL - Geschichte

Mein erster Rocky-Film im Kino war "Rocky V". Tiefschlag, uff! Das ist so, als wäre die erste Platte eines Punk-Fans von den Toten Hosen oder Green Day. Trotzdem bin ich einer der größten Rocky-Fans geworden. Es ist nicht wichtig, ob man mal einen schlechten Film macht; wichtig ist, dass man aufsteht und danach wieder bessere Filme macht, um ihn frei zu zitieren.

Diese Woche kommt "Creed II - Rocky's Legacy" in die Kinos. Also beschloss ich, mir alle sechs "Rocky"-Filme plus den ersten "Creed" zu gönnen - und zwar in einer langen Nacht, denn Rocky hat ja auch nicht mittendrin aufgehört und den Kampf vertagt. Es war schön, nostalgisch und auch hart: Das Alter ist ein fieser Gegner, das weiß ich jetzt. Ein Drama in 15 Runden.

Runde 1: "Rocky" (1976)

Ach, herrlich! Direkt rein in eine stickige Boxhalle irgendwo im Nirgendwo, johlende Zuschauer, zwei Kerle, die stumpf aufeinander einprügeln. Ein gewisser Rocky Balboa setzt sich durch, kassiert ein paar Dollar und erzählt seinem mürrischen Trainer Mickey vom Erfolg, aber der winkt nur ab: Rocky habe sein Talent verschleudert. Hat er auch, aber für seinen Brot- und Butterjob als Geldeintreiber ist sein Herz zu weich. Lieber hängt er im Heimtiergeschäft ab und flirtet mit der Verkäuferin.

In dem Boxfilm aller Boxfilme kam erstaunlich wenig Boxen vor. Dafür lieferte Sylvester Stallone, der auch das Drehbuch schrieb, eine herrliche Milieustudie ab: Rocky versucht sich als eine Art Sozialarbeiter in seinem Viertel, und zum Dank schmeißt ihm das Mädchen, dem er sagt, es hänge mit den falschen Typen ab, noch ein paar dreckige Worte hinterher. Also kümmert er sich wieder mehr um Adrian, die Frau aus dem Tierhandel. Ein Anschauungsunterricht erster Güte: So, Männer, klappt das mit den Frauen! Charmant schnacken, sie zum Eislaufen einladen und ihr dann die Haustiere zeigen, in Rockys Fall Wasserschildkröten.

Der Film würde heute bestimmt nach Testvorführungen um eine halbe Stunde gekürzt, mindestens. Anno 1976 zum Glück nicht. Dann Rockys große Chance: als Nobody gegen den Weltmeister. 15 Runden hält er durch, verliert nach Punkten, was ich glatt vergessen hatte - und der Schrei nach AADRIIAAANNNN, durch Mark und Bein.

Runde 2: Die Trainingsszenen

Dö-döö-dö-dö-döö... Der Rocky-Fan weiß gleich Bescheid. Die berühmteste aller Trainingssequenzen: In grauem Jogginganzug und Chucks rennt Rocky durch die Straßen und Industriegebiete Philadelphias, Ziegelsteine in der Hand, vorbei an brennenden Mülltonnen, Schnitt in die Trainingshalle, einarmige Liegestütze (abwechselnd!), Schnitt ins Kühlhaus, Rocky drischt auf Rinderhälften ein, Schnitt zurück an den Hafen, Steigerungslauf am Segelschiff vorbei, hoch die Treppen, Jubelpose. Und das alles untermalt von der einmaligen treibenden Musik.

Ich kann den Gong zur nächsten Runde kaum erwarten, würde in meiner Euphorie sogar "Rocky V" gut finden.

Runde 3: "Rocky II" (1979)

In meiner Erinnerung war "Rocky II" genau wie Teil 1, nur dass am Ende Rocky gewinnt. Nun zeigt sich: Er ist genau wie Teil 1, nur dass am Ende Rocky gewinnt. Okay, da sind leichte Variationen. Zu Beginn hat Rocky tatsächlich Geld, aber das ist schneller weg, als seine Augen abschwellen. Wieder muss er ganz unten anfangen und rackert in Mickeys Gym für ein paar Kröten: Rocky leert die Spuckeimer!

Wie würdelos, daher stimmt Rocky einem Rückkampf mit Apollo zu und steigt ins Training ein, diesmal mit Hühnerfangen und Klimmzügen auf dem Spielplatz. Als beide am Ende der 15. Runde zu Boden gehen, steht nur Rocky wieder auf. Er hat's geschafft, Adrian!

Runde 4: Choreografien

In "Rocky II" - wie in allen anderen Teilen - haben die Kampf-Choreografien mit echten Boxkämpfen wenig bis nichts zu tun. Die Besprechung ging wohl so: "Okay, erst haut der andere eine halbe Minute lang Rocky aufs Maul, dann haut Rocky eine halbe Minute dem anderen aufs Maul. Und immer so weiter." Als jemand fragte, was mit Deckung sei, hieß es: "Was ist das denn?"

Na gut, Filmboxen genießt dramaturgische Freiheiten bis zur Unglaubwürdigkeit, solange es Spaß macht beim Zuschauen. Vielleicht habe ich einfach zu viele langweilige Klitschko-Kämpfe gesehen.

Runde 5: "Rocky III - Im Auge des Tigers" (1982)

Schon der Titelsong holt viele Erinnerungen zurück. "Eye of the Tiger" von Survivor war damals mein Lieblingssong, in diese Zeit fiel auch der erste Kontakt mit Rocky, allerdings Teil 1. Die Eltern gingen auf Kegeltour, meine Schwester weckte mich spät. Die Faszination dieses TV-Abends wirkt bis heute. "Rocky III" sah ich erst lange danach, der Unterhaltungswert ist nach wie vor groß, auch wegen der Auftritte der Prügelknaben Hulk Hogan und Mr. T, erst recht wegen des dramatisches Filmtodes von Trainer Mickey. Zudem sorgt Rockys Trainingslager bei Apollo in Kalifornien für Abwechslung und Wärme nach all dem Siebzigerjahre-Grau in Philadelphia.

Runde 6: Figuren

Mit Mickey ging die erste Figur aus dem Rocky-Kosmos von Bord. Knorrig, oft unbarmherzig, aber mit dem Herz am rechten Fleck - wie sollte ein Boxtrainer anders sein als er? Etwa jung, mit Uniabschluss und modernen Trainingsmethoden? I wo! Mickey ließ Rocky Hühner fangen, um seine Wendigkeit zu erhöhen. Boxte einst selbst. Und hatte deshalb vor der letzten Runde den entscheidenden Tipp parat. So wie nur Mickey der Trainer für Rocky sein konnte, passten auch Adrian als Frau, Paulie als sein bester Freund und Apollo als Rivale und später Freund ideal in diese Boxfilmwelt. Stallone hatte dafür ein großes Gespür.

Runde 7: "Rocky IV" (1985)

Rrrrumms, der Film ist nahe an der Perfektion. Von perfekten Körpern über perfekte Frisuren ( Dolph Lundgren! Brigitte Nielsen!!) bis zum perfekten Namen des Rocky-Gegners: Ivan Drago, dieser finstere russische Hüne. Nachdem Apollo an den Folgen des K.o. durch Drago stirbt, tut Rocky, was Rocky tun muss: Er reist in die Sowjetunion und schickt Drago auf die Bretter.

Manche behaupten, Rocky habe mit diesem Film den Kalten Krieg entschieden. Andere, auch ich, finden den Film trotz aller Klischees höchst unterhaltsam. Rockys Training im sibirischen Schnee mit Schlittenziehen und Holzhacken, immer in dicker Lederjacke - Wahnsinn.

Runde 8: Und die Musik erst

"Burning Heart" und "Hearts on Fire" hießen die größten Hits aus "Rocky IV", aber mir klebt vor allem das Instrumentalstück der Trainingssequenz im Gedächtnis. Als damals Elfjähriger durfte ich den Film noch gar nicht im Kino sehen und kannte die Handlung nur durch eine Fotostory in der "Bravo". Aber den Soundtrack, den besaß ich auf Kassette und beschallte mit meinem kleinen Gettoblaster am offenen Fenster die halbe Nachbarschaft.

Runde 9: "Rocky V" (1990)

Ob Rocky je so viel Angst vor einem Kampf hatte wie ich vor der neuerlichen Sichtung von "Rocky V"? Wird mich mein Jugendtrauma aus der Bahn werfen, oder entdecke ich ungeahnte Qualitäten des Films? Am Ende taumele ich wie nach zwei harten Jabs, kann mich jedoch auf den Beinen halten. Kein Trauma, aber Qualitäten... nein. Höchstens der Name von Rockys Schützling hat was: Tommy "The Machine" Gunn. Mit ihm prügelt sich Rocky am Ende des Films auf offener Straße.

Runde 10: Auszeichnungen

Für "Rocky V" holte sich Sylvester Stallone nicht einmal eine "Goldene Himbeere" ab, wahrscheinlich fand die Jury den Film selbst für den Spottpreis zu schlecht. Dreimal gewann "Rocky" Oscars, als bester Film, für die beste Regie und den besten Schnitt. Eine Goldene Himbeere setzte es für Stallone als Regisseur von "Rocky IV". Dafür wurde er dann für seine Rolle in "Creed" als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert.

Runde 11: "Rocky Balboa" (2006)

Vor mir liegt die letzte Runde mit Rocky im Ring. Er trinkt wieder rohe Eier, kann immer noch einarmige Liegestütze und stürmt die Treppen in Philadelphia hoch. Ein Hauch Nostalgie, aber nicht zu viel, eine Prise Witz, viel Gespür für Figuren und Stimmungen - 16 Jahre nach dem "Rocky V"-Desaster hätte man Rocky keinen schöneren, würdevolleren Abschiedsfilm schenken können.

Runde 12: Die Stimme

Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal Rockys Stimme hörte. Also die richtige, das Original, nicht die Synchronvariante von Jürgen Prochnow oder später Thomas Danneberg. Die von Sylvester Stallone brachte eine ganz neue Dimension ins Rocky-Gucken. In "Rocky Balboa" klingt Stallone, als würde er statt rohe Eier eine Packung Reißzwecken verfrühstücken, und zwar täglich. "It ain't over til it's over"!

Runde 13: "Creed" (2015)

Wie kann man eine Siebzigerjahre-Figur in die Neuzeit retten, ohne dass es peinlich wird? Und vor allem: Schaffe ich nach sechs Filmen noch einen siebten? Donnie kämpft gegen Weltmeister Conlan, ich gegen den Schlaf, beide verlieren wir - schleichender Knock-out in Runde 13. Ist Rocky nie passiert. Aber vom Kinobesuch vor drei Jahren weiß ich: Gut gemacht, Männer! Rocky ist auch als Nebenfigur klasse.

Runde 14: Die Ideen

Vielleicht könnte man ein wenig in der Rocky-Geschichte kramen und das mit Creed verbinden... Dragos Sohn gegen Apollos Sohn? Rocky mittendrin? Hört sich nach einem absurden Einfall an, aber der Trailer zu "Creed 2" hat mich spätestens gepackt, als Dolph Lundgren als Ivan Drago ins Bild kommt. Muss ich sehen.

Runde 15: "Creed II" (ab 24. Januar in den deutschen Kinos)

Ich bin sehr gespannt und werde mit einem Hauch Wehmut ins Kino gehen. Der Abschied ist ja diesmal wirklich für immer. Tschüss, Rocky!

Zum Original