Irgendwann muss es in geworden sein, nachts bei McDonald’s abzuhängen. Meistens passiert nichts, aber manchmal explodiert die Gewalt. Ein Wochenende mit Blut und Burgern.
Auf einmal hat einer Blut an den Händen. Er rennt über die Zeil, droht mit den Armen in alle Richtungen und in keine, und er brüllt: „Ich ficke alle Frankfurter." Ein Kumpel zieht ihn am Ärmel, jemand verliert seine Jacke, einer schreit den Besudelten an: „Der, der dir aufs Maul gehauen ist, ist längst weg." Gerangel, Koalition und Gegnerschaft so verschwommen wie die Vernunft, die sich gegen die Unvernunft stemmt, einer schreit heiser: „Denk daran, was Tugce passiert ist."
Dann Blaulicht, vor dem McDonald's an der Konstablerwache wird der Blutverschmierte gefesselt. Unbeteiligte mischen sich ein, alte Bekannte für die Frankfurter Justiz. „Warum denn jetzt die Handschellen, ihr scheiß Bullen?" Ein Transvestit mit Kofferradio läuft vorbei und ruft: „Was in Frankfurt immer alles passiert. Ich glaub, ich zieh nach Köln."
Es ist Nacht. Die Eruption kommt kurz vor zwei. Sie kündigt sich nicht an, sie ist einfach da. Im McDonald's sitzen sie in kleinen Gruppen. Vorne an der Tür ein Mann mit Papierhut, auf dem „Spirituelle Konsumverzichtsberatung" steht. Daneben halten ein paar Jungs Hof. Eine Stunde, zwei Stunden lang vielleicht, laufen herein und heraus, es kommen neue, Schulterklopfen, Gerede über Frauen, die hier niemand Frauen nennt.
Irgendwann muss es in geworden sein, nachts bei McDonald's abzuhängen, als wäre es ein schönes Café. Die Leute, 17, 18 Jahre die meisten, vielleicht jünger, bleiben, wenn die Burger längst gegessen sind. Sie warten noch auf wen, oder sie warten auf nichts. Das Phänomen hat es in ein sogenanntes Jugendwörterbuch geschafft: „Bei Mägges abhängen", wahrscheinlich ist sie peinlich, die Kategorisierung oder die Schreibweise oder beides. Aber komisch ist es schon: Die meisten McDonald's-Filialen verkaufen noch nicht einmal Bier. Nur Biomilch für 1,59 Euro. Warum also hier?
Die Nacht zuvor, kurz nach eins. In Offenbach sitzen zwei und reden über das Draufhauen. Manche Jungs müssten einfach draufhauen, weil sie etwas gelten wollten, so heißt die Diagnose. „Ich hätt' die auch plattgemacht", sagt der eine zum anderen, lauter als seine Sätze zuvor, er will jetzt gehört werden. Er meint, er hätte den Angreifer „plattgemacht", der vor drei Wochen auf dem Parkplatz des McDonald's am Kaiserlei in Offenbach Tugce Albayrak so heftig schlug, dass sie an den Folgen starb. „Ich wäre halt auch gern mal ein Hero", sagt der Mann, immer noch laut, in genau diesem McDonald's.
„Offenbach ist eine schlimme Stadt", hat der Rapper Haftbefehl nach dem Tod von Tugce über seine Heimat gesagt. Das ist ein bisschen überraschend, aber Haftbefehl muss das wahrscheinlich sagen, weil der mutmaßliche Totschläger der 23 Jahre alten Studentin ein Fan seiner Lieder ist, in denen es ums Ficken und Zuschlagen geht. Dabei ist es gar nicht so schlimm, jedenfalls nicht immer. In der Nacht darauf geht es ernst und konzentriert zu im McDonald's in Offenbach, und auf die Tische kommen die Themen des Lebens. Vier Jungs reden über berufliches Vorankommen („Hast du PC-Kenntnisse? Dann bewirb dich, Mann"), zwei spielen Schnick-Schnack-Schnuck.
Zwei Mädchen verhandeln über die richtige Handhaltung beim ersten Date, jemand telefoniert: „Kommt ihr, oder kommt ihr nicht, ihr Fixer?“ Die Geschlechter bleiben unter sich, man mischt sich nicht, so dass die Jungs manchmal hinterher eine Suchanzeige ins Internet schreiben: „Sonntag ca. 22 Uhr. Du warst mit deinen 4 Freundinnen drinnen gesessen und wir hatten oft Blickkontakt. Ich war mit meinen Jungs draußen gesessen. Hoffe du liest das, melde dich bitte!“
Dass McDonald’s manchmal nachts zum Tatort wird, hat mit alldem nichts zu tun. Es hat nichts damit zu tun, und alles hat damit zu tun. Jungs in Jungsgruppen sind mehr wie Jungs als Jungs in gemischten Gruppen. Im McDonald’s in Griesheim an der Mainzer Landstraße sitzen am Freitag um halb elf sechs junge Männer an drei Tischen. In der Mitte der lauteste, ein breitbeiniger Kappenträger, der beim Laufen mehr durch den Schwung seiner gar nicht so breiten Schultern voranzukommen scheint als durch die Bewegung seiner Beine. Er plaudert mit den Kumpels, es geht um die Schauspielerin Halle Berry, es geht um Frauen ganz allgemein, ein harmloses Gebalze ohne Adressatin, denn es sind kaum Mädchen in dem Fastfood-Restaurant. Aus den Lautsprechern kommt Weihnachtsmusik.
So ist die Stimmung fast die ganze Nacht, ein wohliges Plätschern der Ausgelassenheit, aber für den plötzlichen Umschwung ist der McDonald’s wie gemacht. Allein schon wegen der breiten Fensterfronten, vor denen man sich ganz fabelhaft aufbauen kann, adrenalingefüllt und kampfbereit.
So ist das passiert in der Filiale an der Hanauer Landstraße, in einer Nacht vor ein paar Jahren. Ein junger Mann hat einem anderen eine Pommes vom Tablett geklaut, zwei Feiergruppen gerieten darüber aneinander, die Sache war drinnen eigentlich schnell geklärt. Aber dann hat sich einer Verstärkung herbeitelefoniert, ein halbes Dutzend Leute, die sich draußen auf dem Parkplatz formierten, vorbestrafte Jungs auf der Suche nach Ärger. Sie schlugen den einen zusammen, der schlichten wollte, so kommt es oft, und der damals 33 Jahre alte Werkstudent verlor vier Zähne, kann bis heute nicht wieder richtig hören und leidet unter Depressionen. „Woher kam dieser Hass?“, fragte er seine Peiniger im Mai dieses Jahres vor Gericht, und keiner wusste einer Antwort.
Die drei Jungs laufen von der Tankstelle hinüber zum McDonald’s, am Parkplatz vorbei, steigen über die ungepflegten Rabatten, steuern auf den Eingang zu. In einem schwarzen BMW sitzen zwei, das Auto ist unbeleuchtet, die Scheiben sind von innen schon beschlagen. Ein Blick auf den Beifahrer, er dauert ein bisschen länger, als er sollte, und schon droht der junge Mann mit seiner Hand, finster und bereit, jederzeit auszusteigen. „Was guckst du?“, soll das wohl heißen. Auf dem Bürgersteig neben dem Parkplatz sind rote Tropfen. Rotwein wahrscheinlich oder Glühwein.