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Das Ende der Avocado: Faulige Dekadenz

Avocados sind hip, aber ökologisch fragwürdig. Wer sich über sein Essen distinguiert, sollte auf andere Lebensmittel ausweichen. Nur was kommt im Frage?


In Amsterdam hat Anfang des Jahres ein Avocado-Restaurant eröffnet. Im Mai klagte ein britischer Arzt über die vielen Schnittverletzungen, die sich die Leute beim unsachgemäßen Zerteilen einer Avocado zuziehen. Etwa zur selben Zeit hieß es, dass Hipster ihren Latte jetzt angeblich aus den leeren Schalen einer Avocado trinken, aber das ist so absurd und unpraktisch, dass es auch einfach nicht stimmen könnte.


Das Schöne ist: Schlimmer wird's nicht. Denn das alles sind keine Beweise für den fortdauernden Hype eines Lebensmittels. Es sind Zeichen fauliger Dekadenz, die man sogar der Frucht selbst ansieht. Avocados haben ihren Drive verloren, denn zu vielen von ihnen gelingt es inzwischen nicht mehr zuverlässig, reif und verzehrbereit im Laden zu liegen - sondern erst kurz nach reif.


Dazu muss man wissen, dass bei der Avocado vieles vom richtigen Timing abhängt. Die Frucht vergammelte nämlich jahrzehntelang unbeachtet und viel zu hart in den Märkten. Wer will schon drei Tage warten, bis er etwas mit Kochfreude Gekauftes verzehren kann, noch dazu in dieser hibbeligen Welt? Lange konnte der Avocado auch eine frühe Marketing-Kampagne aus den Achtzigern („Reif ist wichtig, weich ist richtig") nicht helfen und erst einmal auch nicht, dass ein kalifornischer Hobbyzüchter die besonders schmackhafte und weiche Avocado-Art „Hass" entdeckte.


Denn die musste den Konsumenten erst einmal erklärt werden In Deutschland setzte der Avocado-Boom vor etwa fünf Jahren so richtig ein, als die Erzeugerländer ihrer Frucht Kampagnen spendierten, die aus mehr als einem Reim bestanden. Peru, wo die meisten hierzulande verzehrten Früchte herkommen, startete 2014 die Kampagne „Köstliche Avocados" mit der gleichnamigen Website, Probierständen in Supermärkten und einem Flächenbombardement deutscher Redaktionen. Seither stieg der Konsum der Frucht in der Republik um mehr als ein Drittel.


Nur kurz darauf setzte aber auch schon die Gegenbewegung ein, und es erschienen die ersten Berichte über das ökologische Desaster, das die Avocado anrichtet. Die „Zeit" publizierte zum Beispiel ein Dossier mit dem Titel „Das Märchen von der guten Avocado", in dem über den immensen Wasserverbrauch der Frucht, über Waldrodungen und die Monokulturen in Südamerika und Südafrika berichtet wurde. Es folgten zahlreiche solcher Beiträge, im Juli war in der „NZZ am Sonntag" vom „Fluch der Avocado" zu lesen.


Wer sich also über sein Essen distinguiert und außerdem etwas auf sein intaktes Weltgewissen hält, der muss sich dringend nach einer Avocado-Alternative umsehen. Die muss einiges mitbringen. Sie muss zum Beispiel zwingend vegetarisch sein. Einfach zu verarbeiten und vielseitig einsetzbar. In jedem Fall gesund, besser noch ein - Obacht - Superfood. Und da reden wir noch nicht einmal über etwas so Profanes wie den Geschmack.

Was also könnte das sein?

Es könnte sein, dass Julia Huthmann zufällig ins Schwarze getroffen hat. Als das passierte, lebte sie gerade auf Sri Lanka und bestellte in einem Restaurant ein vegetarisches Curry. Sie probierte es, stand auf und lief zur Köchin, um sich über das Hühnchen in ihrem Curry zu beschweren. Die sah sie nur an und sagte: Das ist doch Jackfrucht.


Jackfrucht, das ist eine in Südasien und Südamerika zu Tausenden an ihren Bäumen hängende Frucht, die nicht selten überreif herunterfällt und für die sich dann niemand weiter interessiert. Als reife Frucht liegt sie, optisch einer Ananashälfte nahe, schon seit Jahren von den meisten ignoriert in den Asialäden deutscher Großstädte. Und ausgerechnet das zähe Zeug soll jetzt die neue Trendfrucht werden?


Ja, prophezeien die Hitlisten aller wesentlichen Fachmagazine und die von Food-Consulting-Firmen. Ja, jubilierte die Zeitschrift „Glamour" im April - immerhin macht die Jackfrucht satt, aber nicht dick. Gemessen am real existierenden Essverhalten war die Vorhersage zwar ein bisschen optimistisch. Aber sogar die Apotheken-Zeitung „Naturheilkunde & Gesundheit" hat kürzlich über die Jackfrucht berichtet - immerhin enthält das Obst überproportional viel Kalzium.


Heute, ein paar Jahre nach der Curry-Irritation, ist Julia Huthmann Chefin von Jacky F., der einzigen Firma in Deutschland, die ausschließlich verzehrbereite Jackfrüchte nach Deutschland importiert. Genauer: zerkleinerte und in Salzlake eingelegte, unreife Jackfrüchte. Denn nur in ihrer noch nicht ausgewachsenen Version hat die Frucht, die an ihrem Baum aussieht wie eine atomar mutierte Olive, die richtige Konsistenz und so gut wie keinen Eigengeschmack, so dass man aus ihr quasi alles machen kann: Curry, bei dem man meint, es sei Hähnchen dran. Einen veganen „Pulled-Jack-Burger". Und gesüßt mit Kokosmilch wird ein Dessert aus der Frucht. Von den 1500 Dosen, die Huthmann vor etwa einem Jahr probeweise aus Sri Lanka hat liefern lassen, waren innerhalb von drei Wochen alle verkauft.


Von einem Hype will sie zwar noch nicht sprechen, „aber der kommt noch". Ob der dann allerdings wirklich ökologisch wertvoll ist, darüber hat auch Huthmann lange nachgedacht. So hat sie den Gedanken verworfen, die frischen Früchte zu importieren, weil das auf dem von ihr bevorzugten und global vernünftigen Weg per Schiff viel zu lange gedauert hätte. Deshalb Konserven. Außerdem arbeitet Huthmann nur mit bio-zertifizierten Kleinbauern zusammen und macht ihre Lieferkette transparent. Und die Bäume, von denen die Früchte geerntet werden, stehen alle in Mischkulturen.


Es könnte der Jackfrucht also tatsächlich gelingen, die neue In-Frucht zu werden, aber ausgemacht ist das noch nicht. Denn wenn man sich umhört unter den Food-Propheten, kommen auch Datteln in Frage, Passionsfrüchte, Kaktusfeigen, Kimchi natürlich, sogar eine Renaissance der Kiwi ist denkbar, wenn es gelingen sollte, wie bei der Avocado ein auf den Punkt genau reifes Exemplar zu züchten - und die gelbe Kiwi ist da schon ziemlich nah dran.


Wer wissen will, ob das alles eine Erfindung von Food-Journalisten und Sterneköchen ist, der kann Hans-Christoph Behr am Telefon die mutmaßliche Hitliste vorlesen und ihn bei jedem Punkt seufzen hören. Behr ist Geschäftsführer der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) und zählt, was die Kunden tatsächlich im Laden kaufen. „Jackfrucht, Datteln, Kaktusfeigen - das fällt bei uns alles unter ,sonstiges Obst'", sagt Behr. Heißt: nicht messbar. „Wenn irgendetwas als Trend postuliert wird, dauert's noch zehn Jahre, bis wir es an den Zahlen sehen - wenn es überhaupt so weit kommt", sagt Behr und erzählt, wie er zehn Jahre lang mit einem angeblichen Wurzelgemüse-Hype traktiert worden sei und die Verkaufszahlen erst in den vergangenen Monaten sehr langsam angestiegen seien.


Auch Michaela Schlich, die sich an der Uni in Koblenz mit Food-Trends beschäftigt, seufzt viel, wenn man sie nach der Avocado fragt und dem, was ihr nachfolgen könnte. „Jeder ist auf der Suche nach dem heilbringenden Etwas, dem einen gesunden Lebensmittel", sagt sie. Dabei sei das ein aussichtsloses Unterfangen: Die Jackfrucht versage als Fleischersatz wegen der fehlenden Proteine ernährungsphysiologisch komplett. Und in der Avocado seien neben den ungesättigten Fettsäuren auch viele gesättigte drin, die bösen also.


Obendrein, und jetzt folgt der Zirkelschluss, haben auch die potentiellen Avocado-Nachfolger mit dem sterbenden Hype-Produkt eines gemeinsam: Die Jackfrucht, die gelbe Kiwi und auch die Dattel - sie alle wachsen nicht da, wo die leben, die sie essen wollen. So sind zuletzt auch über die Jackfrucht schon die ersten kritischen Berichte erschienen. Zu aufwendig sei der Transport, zu übertrieben das Gesundheitsversprechen.


Wer es also wirklich ernst meint mit dem gesunden, hippen und ökologisch verträglichen Essen, der kommt um alte Langeweiler aus dem heimischen Gemüsegarten nicht herum. Und siehe da: Längst bieten Supermärkte fertige Salate mit Roter Bete und Buchweizen zum Verzehr an. Muss man nur noch über das Plastik hinwegsehen, in das sie eingefüllt werden.

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