David Torcasso

Journalist/Editor, Berlin/Zürich

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Wer ist ein Hipster? | NZZ

David Torcasso ⋅ Der Hipster ist - oder gibt sich - 16 bis 35 Jahre jung und tummelt sich in Berlin-Neukölln oder New York-Williamsburg, aber auch an der Zürcher Langstrasse. Seine Merkmale sind, unabhängig vom Geschlecht: eine schlaksige Gestalt, enge Röhrenjeans, Hornbrille auf der Nase und Velos ohne Gangschaltung. Mit fein codierten Klamotten sitzen Hipster in Wireless-Cafés vor ihren Apple-Laptops und füttern ihre Blogs.

Es gibt viele Hipster, doch niemand will gerne so genannt werden. Im Süden von Berlin finden sich inzwischen bereits Kneipen, an deren Eingangstür ein Schild prangt: "Kein Einlass für Hipster". Der Begriff Hipster wird von Redaktionen manchmal auch als "semantischer Joker" eingesetzt, wenn es darum geht, vermeintlich junge, urbane und modebewusste Menschen zu beschreiben.

Abhilfe gegen Klischees

Dabei ist der Hipster seit über einem Jahr tot. Seine Ära dauerte von 1999 bis 2010. Das zumindest schreiben die Autoren des Buchs "Hipster - eine transatlantische Diskussion", welches im Suhrkamp-Verlag erschienen ist. Wer sich einen Bildband mit anschaulichen Beispielen wünscht, liegt falsch. Das in der seit 1963 unveränderten Reihe "edition Suhrkamp" erschienene Buch bietet nur Text bzw. Typografie. Damit tarnt es sich als wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens. Und zelebriert dabei einen Charakterzug des Hipsters: Ironie, verpackt in Parodie.

Mit dem Buch will der aus New York stammende Herausgeber Mark Greif den Hipster ganz nüchtern in einem "akademisch-analytischen" Kontext beschreiben. Das Problem ist allerdings: Der Hipster lässt sich, anders als Hippies, Kiffer oder Skater, nur schwer beschreiben. Er ist weder über seinen Job, seinen sozialen Status, seine Herkunft noch über seinen Musikgeschmack oder seine Frisur eindeutig einzuordnen. Also versucht das Buch "Hipster", mit ausgewählten Essays und Positionen Abhilfe gegen ein wandelndes Klischee schaffen - dies, während die Spezies noch am Atmen ist.

Beiträge wie "Williamsburg, Jahr null", "Hip-Hop und Hipsterismus", "Nachruf auf den weissen Hipster" oder "Der Berliner Hipster in drei Begriffen" beschreiben die Werte, Ansichten und Merkmale der Bewegung mit wissenschaftlicher Semiotik. Die Beiträge versuchen den Hipster in einen sozial-kulturellen Kontext einzubetten und zeigen den Zusammenhang von Rasse und Geschlecht von Hipstern auf, thematisieren deren ästhetische Erscheinung oder auch die Gentrifizierung von ganzen Stadtteilen durch diese Subkultur. Letztgenanntes führte zu einer "Suburbanisierung der Armut": Zugezogene Hipster verdrängten an der Lower East Side oder in Brooklyn Juden und Puerto Ricaner und trieben die Mietpreise in die Höhe. Jahr für Jahr "kippte" irgendwo ein ehemaliges Arbeiterquartier durch den Einzug von Hipstern und brachte Bioläden oder überteuerte Boutiquen hervor.

Randgruppe wird Generation

Die Positionen im Buch zeigen auch einen historischen Kontext. Bereits in den fünfziger Jahren bezeichnete das Wort Hipster in den USA Subkulturen, etwa Weisse, die sich von schwarzer Kultur angezogen fühlten. Doch das Hauptinteresse Greifs und seiner Mitautoren gilt dem heutigen Hipster. Denn aus einer Randgruppe ist eine Generation entstanden. Greif schreibt: "Inzwischen verfügt der Mainstream über ein fixes Set von Accessoires und Stilmitteln der Hipster, die frisch verpackt in jedem Supermarkt liegen."

"Hipster sind Kuratoren und Kritiker, Remixer und Designer oder eben jene Werbetexter und , die im Kielwasser der Künstler segeln", schreibt Dayna Tortorici. Und eine andere der rund ein Dutzend Koautorinnen und -autoren des Buches, Jennifer Baumgardner, meint: "Hipster zu hassen verrät mehr über unsere eigenen Ängste und Unzulänglichkeiten, als dass es irgendetwas Wahres über Menschen aus Fleisch und Blut aussagen würde." Sie schliesst mit dem Fazit: "Hipster erinnern uns an eine Jugendlichkeit, an einen Wagemut und einen Stil, den wir nicht mehr haben - oder nie hatten?"

Zum Original