"Wie schön, dass du an mich gedacht hast! Ich freu mich!", hatte meine Mutter noch am Vorabend frohlockt. Doch nun gestehe ich ihr, dass da unten im "Kaiserkeller leider doch nicht der junge englische Jazz-Musiker spielt, der ein bisschen nach Elvis Costello klingt." Damit hatte ich sie geködert. Und jetzt ist sie verwirrt.
Skeptisch schaut sie die dunklen Treppen hinab, schweigt ein paar Sekunden, dann huscht ein gequältes Lächeln über ihr Gesicht. Sie schüttelt den Kopf und fragt: "Hast du Ohropax dabei?" Natürlich.
Die braucht sie. Dringend! Ein Napalm-Death-Konzert fühlt sich an, als würde man das Gehirn massiert bekommen. Mit einem Presslufthammer. Oder einem Schlagbohrer. Die Fans in der ersten Reihe schreien martialische Brunftlaute, mit verzerrten Gesichtern.
Einige klammern die Hände um die Lautsprecherboxen und peitschen mit den Haaren auf den Boden, andere erklimmen die Bühne und stürzen sich dann ins Publikum.
Und mittendrin jetzt meine Mutter. Wir bestellen ein Bier und lassen den Blick durch die Menge schweifen. Frauen gibt es nur ganz wenige im Publikum. Die meisten Typen sind groß, ziemlich kräftig und tragen schwarze Band-T-Shirts mit Aufschriften wie "Life is killing me".
Dann kommen Napalm Death. Sänger Mark "Barney" Greenway begrüßt das Publikum in akzentfreiem Deutsch: "Willkommen, liebe Freunde, aber auch liebe Freundinnen!" Das findet meine Mutter ganz gut, zur Sicherheit richtet sie sich noch einmal die Ohrstöpsel. Denn Napalm Death sind laut, sehr laut.
Ihre Songs heißen "On The Brink of Extinction" ("Am Rande der Auslöschung"), "Our Pain is Their Power" ("Unser Schmerz ist ihre Kraft") oder "Weltschmerz". Nach den ersten beiden Liedern frage ich sie: "Welches hat dir besser gefallen?" Sie antwortet überraschend: "Das ist gute Musik gegen Kopfschmerzen!"
Wir stehen in einer der ersten Reihen. Der Druck, der aus den Boxen kommt, schüttelt uns massiv durch. Hinter uns schreien zwei Fans "Ey, die sollen mal lauter spielen, ich hör' nix, haha!" Es wird etwas ungemütlich und nach etwa einer Stunde habe ich ein Erbarmen mit meiner Mutter.
Wir bahnen uns langsam den Weg Richtung Ausgang. Noch ein T-Shirt als Souvenir? Vielleicht ein anderes Mal. "Ganz ehrlich, ich fand es...interessant", sagt sie diplomatisch, als wir wieder draußen sind.
Doch das war ja vielleicht nur der Anfang: Zum Abschied gebe ihr einen Kuss auf die Wange und sage: "Mutti, nächstes Jahr fahren wir zum Wacken-Festival!"