David Siebert

Journalist, Radioreporter, Hörfunkautor (Berlin)

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Jüdisch-arabisches Miteinander: Gegen den Kampf der Kulturen

Während in Nahost die Grenzen immer unüberwindbarer erscheinen, bringt Gilad Atzmon zusammen, was sich angeblich nicht vereinen lässt: Auf seiner neusten CD Exile kombiniert er die verschiedensten Musikstile dieser Welt und versammelt einen bunt zusammengewürfelten Haufen von Musikern aus aller Herren Länder. Dabei entsteht ein furioser Stilmix; jüdische Lieder werden mit orientalischer Folklore verbunden, Balkanklänge treffen auf Tangomelodien, die Musik des östlichen Mittelmeers trifft auf Bebop-Virtuosität und groovende Jazzbeats.

Den in Israel geborenen Schlagzeuger Asaf Sirkis hat Atzmon im melting pot von London kennen gelernt. Durch ihn hat der Saxofonist die Musik des Nahen Ostens wiederentdeckt. Gastmusiker auf Exile sind unter anderem der tunesische Oud-Virtuose Dhafer Youssef sowie der italenische Akkordeon-Spieler Romano Viazzani. Die renommierte palästinensische Sängerin Reem Kelani wollte zuerst nicht mit Atzmon zusammenspielen. "Sie meinte, dass ich wie ein israelischer Soldat aussehe, was wahrscheinlich auch stimmt, aber als wir zusammen spielten, war nach 20 Minuten alles klar". Den rumänischen Violinisten Marcel Mamaliga hat Atzmon auf einer Londoner Baustelle aufgetrieben.

Atzmon ist ein bescheidener und selbstkritischer Musiker. Obwohl er zunehmend Erfolg hat und diesen Sommer für sein Album Exile von der BBC mit dem Preis "best jazz album of the year" ausgezeichnet wurde. Man könnte den Enkel osteuropäisch-jüdischer Auswanderer auch für einen einfachen russischen Landarbeiter halten. Im Gespräch stellt sich aber schnell heraus, dass man einem intellektuellen und rhetorisch schlagfertigen Künstler gegenübersteht. Das Thema Israel/Palästina brennt ihm unter den Fingernägeln. Seine oftmals sarkastische Kritik an seinem Heimatland bringt er bei jedem nur denkbaren Anlass an den Mann. Auf der Bühne zeigt sich Atzmon jedoch als hochemotionaler Künstler. Wenn er spielt, scheint die Zerrissenheit seiner Heimat in langen Tiraden aus seinem Saxofon zu quellen. In den ruhigen Passagen, wenn ein klarer Ton zum Tragen kommt, beginnt die Sehnsucht nach der verlorengegangenen Schönheit seines Geburtslandes aufzuleuchten - der Blick eines Flüchtlings auf seine Heimat.

Der CD-Titel Exile ist Programm: Desillusioniert hat Atzmon inzwischen seine Heimat verlassen und ist nach London gezogen. Wut und Verzweiflung brechen durch, wenn der Saxofonist ein jüdisches Heldenlied aus dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 orientalisiert und in langen Solopassagen zerhackstückelt. Sarkasmus, wenn zwischen den Stücken plötzlich der Wehrmachtsschlager Lili Marleen erklingt. Trauer und Melancholie werden hörbar, wenn in einer Ballade die Opfer der Zerstörung von Jenin beklagt werden; das Stück ist von einem alten jüdischen Lied inspiriert, das an ein Pogrom in Osteuropa erinnert. Zwischendurch blitzen immer wieder Hoffnungsfunken auf: wenn sich Klezmermusik und arabische Volkslieder, gemischt mit Hardbop-Jazz und Drum´n Bass-Anklängen zu einer tanzwütigen, chaotischen Kultur-Hochzeit vereinen.

Ein musikalischer clash of civilizations, der auf gemeinsame Wurzeln und neu zu schaffende Verbindungen hindeuten will. Allerdings verharrt diese Art der musikalischen Diplomatie zwischen den Kulturen nicht in seichter Weltmusikplattitüde oder heimeliger Multikulti-Schönfärberei. Atzmon misstraut einfachen Kompromissen. Schon der Name seines Bandprojektes stellt eine Provokation dar: Orient House Ensemble spielt auf den Sitz des PLO-Hauptquartiers in Ost-Jerusalem an. Bei Konzerten macht der Musiker aus seinen politischen Standpunkten keinen Hehl: "Liebes Publikum, wir sind hier, um für den Weltfrieden zu spielen ... allerdings gehören wir nicht zur BBS, wir sind nicht Teil der Bush-Blair-Sharon-Partei. Leider hatte unser Projekt bis jetzt wenig Erfolg."

Auch sein musikalisches Konzept ist höchst politisch. Er nennt es eine "lustvolle philosophische Dekonstruktion. Ich wende jüdische Kultur und Schönheit gegen eine rassistische israelische Kultur, gegen den Fundamentalismus des israelischen Staats. Ich terrorisiere sie mit meiner Musik". Dieses Konzept der Dekonstruktion ließ sich bereits auf seinem letzten Projekt mit dem Orient House Ensemble verfolgen. Die CD Nostalgico ist der melancholische Rückblick eines Exilanten auf die verblassten Jugenderinnerungen einer verlorengegangen Heimat und zugleich ein scharfer Blick auf ein vergangenes Jahrhundert, in dem Schönheit und Kultur dicht neben Entsetzen und Grauen lagen. Nicht zuletzt reflektiert Atzmon damit auch sein gebrochenes Verhältnis zu Amerika. So werden auf Nostalgico in dem Stück 20th-Century Jazz-Standards von Duke Ellington und George Gershwin oder Kurt Weills Mackie Messer zitiert und interpretiert, um dann zwischendurch mit einer düsteren Militär-Marschmusik-Begleitung und langen Solis konfrontiert zu werden.

Der Jazz durchzieht Atzmons Leben wie ein roter Faden: als Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit wie auch als Lebenseinstellung. Anstatt im Libanon-Krieg auf Palästinenser zu schießen, spielte Atzmon lieber in diversen Militärcombos. Später wurde er zu einem angesehenen Jazz-Sessionmusiker. Nach einigen Ausflügen in die Popwelt - unter anderem als erfolgreicher Produzent und Begleitmusiker von Robbie Williams, Sinhead O`Connor oder Ian Durys Punkband The Blockheads - machte er sich in England einen Namen als erfolgreicher Hardbop-Spieler. Allerdings wollte er nicht in einem elitären Jazz-Ghetto verharren. Er wendet sich gegen eine moderne Jazzästhetik, in der Perfektion und intellektuelle Reflexion den unmittelbaren künstlerischen Ausdruck überwiegen. "Der Jazz den ich mag, der Jazz der fünfziger und sechziger Jahre, war eine der führenden Kräfte in der Befreiung der Schwarzen in den USA. All diese Songs wie Now´s the time von Charlie Parker oder Alabama von Coltrane waren politische Statements. Heute sehen die Schwarzen den Jazz nicht mehr als ihre eigene Stimme an. Von der Stimme der Schwarzen wurde der Jazz zur Stimme der weißen Bourgeoisie."

Stilbeschreibungen seiner Musik, Schubladen für seinen Stilmix interessieren Atzmon nicht sonderlich. "Ich spiele was ich spielen will, egal ob es Jazz ist oder Weltmusik oder palästinensischer Folk oder Klezmer. Hauptsache die Musik berührt mich und die Zuhörer."

Angst davor, aufgrund seiner Kritik an Israel Beifall von der falschen Seite zu bekommen hat Atzmon nicht: "Möglicherweise gibt es Leute, die mir Antisemitismus vorwerfen, weil ich Israel kritisiere. Dabei habe ich zwei Israelis in meiner Band, ich bin selber jüdischer Abstammung! Viele der kritischsten und wichtigsten Stimmen gegen Israel kommen selber von Juden. Wir kritisieren Israel auf einer legitimen Basis, wegen der andauernden untragbaren Grausamkeiten, die von diesen Israelis begangen werden". Eine Lösung des Nahost-Problems hält er nur dann für realistisch, wenn ein grundsätzlicher Wechsel in der Politik stattfindet; damit plädiert er für einen gemeinsamen Staat von Juden und Palästinensern: "Jeder Palästinenser muss die gleichen Rechte erhalten und vollständig mit den israelischen Juden gleichgestellt werden. Wenn das nicht akzeptiert wird, ist das Apartheid. Wir können den Islamismus nicht bekämpfen, wir müssen eher zuhören und bereit sein zu lernen, was der Islam ist. Nur wenn die Amerikaner endlich ihre Politik der Einmischung beenden und aufhören, den Zionismus und all diese Despoten - wie früher auch Saddam Hussein - zu unterstützen, wird es möglich, den Frieden zu erreichen." Lachend fügt er hinzu, "Es ist möglich, das Benzin wird allerdings viel teurer werden".

Mit seiner Band "The Orient House Ensemble" ist Gilad Atzmon zur Zeit auf Deutschland-Tournee. Gleichzeitig stellt er seinen gerade ins Deutsche übersetzten Roman vor: Anleitung für Zweifelnde (dtv).

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