Journalistische Mitarbeit bei der Ausstellung und dem Webprojekt "100DM - was (Ost-)Berliner mit ihrem Begrüßungsgeld gemacht haben" im Rahmen der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2018.
Kooperationspartner: Kulturprojekte Berlin und Lotto-Stiftung-Berlin
"100DM" erzählt "unterhaltsame & ernsthafte Geschichten über das Begrüßungsgeld und wirft damit einen Schlagschatten auf das Verhältnis von Ost- und West – einen Schatten, der auch heutzutage noch eine Rolle spielt."
Siehe auch:
https://www.instagram.com/100___dm/?hl=de
https://www.tagesspiegel.de/berlin/was-berliner-mit-ihrem-begrussungsgeld-gemacht-haben-3991963.html
Jürgen S.
57 Jahre
Kleinmachnow
Ich gehörte nicht zu denen, die in der DDR aktiv protestiert haben und teils schwerste Sanktionen erleiden mussten. So mutig war ich mit zwei Kindern nicht. Ich bin dem Staat aber auch nicht in den A… gekrochen: Bei meinem Pflicht-Grundwehrdienst als 18-jähriger Abiturient bei der NVA bekam ich sechs Monate „Ausgangssperre“. Deswegen durfte ich nicht studieren. Stattdessen empfahl man mir die „Bewährung in der sozialistischen Produktion“. Also habe ich einige Jahre im VEB Geräte- und Reglerwerke Berlin-Teltow gearbeitet. Ein Elektrotechnik-Diplomstudium durfte ich erst später nachholen.
Nach dem Mauerfall stand mein Job auf der Kippe. Also habe ich in West-Berlin Arbeit gesucht. Westdeutsche Unternehmen stellten damals aber keine Menschen mit DDR-Pass ein. Ich dachte mir: „Gut, dann muss ich Bundesbürger werden!“ Ich habe mich im Februar 1990 beim Notaufnahmelager Marienfelde als „Flüchtling“ gemeldet. Da Berlin überfüllt war, schickte man mich zum Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen. Von dort wurde ich in eine 600 km entfernte Kaserne nach Wittmund in Ostfriesland verlegt. Dort bekam ich nach vier Tagen endlich meinen provisorischen BRD-Pass.
Die 100 DM Begrüßungsgeld habe ich genutzt, um in dieser aufregenden Zeit nach Hause zu telefonieren, meinen Pass zu bezahlen und mir ein Busticket von Ostfriesland nach Berlin zu kaufen. Jetzt war ich BRD-Bürger, konnte meinen Hauptwohnsitz in West-Berlin anmelden – obwohl ich weiter bei meiner Familie in Potsdam lebte – und erhielt prompt drei Wochen später eine Festanstellung bei den Deutschen Telefonwerken (DeTeWe) in West-Berlin Kreuzberg!
Meine „Flucht“ hat sich gelohnt: Ich hatte Arbeit und wurde nach West-Tarifvertrag bezahlt, während viele Ostdeutsche harte Brüche in ihren Erwerbsbiografien meistern mussten. Heute genieße ich meinen Ruhestand, bin Mitglied in der Non-Profit-Organisation „Friendship Force“, die internationale Begegnungen organisiert, und gehe regelmäßig zum Aikido-Training, das mir viel Freude bereitet!
Yvonne G.
38 Jahre
Annaberg-Buchholz/ Sachsen
Ich hatte eine glückliche Kindheit in der DDR, von den Repressionen der Diktatur habe ich nichts mitbekommen. Vielleicht auch, weil meine Familie eher unpolitisch war und sich aus allem rausgehalten hat. Den Fall der Mauer haben wir im TV gesehen: Da wurden trubelige Szenen gezeigt, dann hieß es: Die Grenze ist auf!
Das Begrüßungsgeld haben wir in Berlin abgeholt. Ich erinnere mich lebhaft an die Fahrt über die holperige DDR-Autobahn. Vor einer Bank-Filiale in der Karl-Marx-Straße stand eine riesige Menschenschlange. Dann ging es zum Hertie-Kaufhaus. Das riesige Süßigkeiten-Sortiment mit Haribo, Milka, Überraschungseiern & Co hat mich fasziniert – das war viel bunter als die Dosen-Pfirsiche, Blockschokolade und Othello-Kekse der DDR! Als Geschenk bekam ich aber ein „Monopoly“-Spiel.
Daheim haben wir die Verpackung aufgerissen und stundenlang gespielt. Bis dato kannte ich nur „Mensch ärgere dich nicht“ und Kartenspiele. Jetzt gab es neben Würfeln und Figuren auch Geldscheine und Ereigniskarten. Es ging um Strategie, man konnte Straßen kaufen oder ins Gefängnis wandern. Ich war begeistert!
Durch das Spiel habe ich quasi den Kapitalismus kennengelernt. Der hat mir natürlich viele Vorteile beschert: Demokratie, Reise-, Meinungs- und Informationsfreiheit. Ich konnte später andere Länder kennenlernen und studieren. Trotzdem stehe ich heute dem Kapitalismus durchaus skeptisch gegenüber. Güter des Gemeinwohls wie Wohnraum, Gesundheit, Bildung oder Wasser dürfen nicht der Profitmaximierung Einzelner dienen. Sie sind soziale Menschenrechte, auf die jeder Mensch Anspruch hat!
Heute bin ich Teamleiterin im Personalbereich und seit Kurzem Mutter von Zwillingen. Ob meine Kinder auch einmal „Monopoly“ spielen werden?
Annette F.
48 Jahre
Burg (Spreewald)
Als Jugendliche in der DDR träumte ich von einer Reise nach San Francisco – inspiriert durch den Song „San Francisco“, die Hymne der Hippie-Bewegung. Bis zur Erfüllung des Traums war es ein steiniger Weg: Ich war zwar preisgekrönte Kanu-Leistungssportlerin, wusste aber nicht, was ich nach dem Schulabschluss werden wollte und landete in einer Zahnarzthelfer-Ausbildung, die mich langweilte. Die Enge in der DDR empfand ich als bedrückend. 1987 plante ich, gerade 17 Jahre alt, mit einer Freundin jugendlich-naiv die Flucht in die BRD: Wir packten unsere Rucksäcke und fuhren per Zug nach Meiningen. Dort verpfiff uns ein Fahrkarten-Verkäufer, weil wir keine Passierscheine für die Grenz-Sperrzone hatten. Wir wurden wegen „Republikflucht“ eingesperrt – uns drohten bis zu drei Jahre Haft! Die Behandlung im Gefängnis war menschenunwürdig: Handschellen, endlose Verhöre und Maschinengewehre im Rücken. Damals fing ich an, intensiv zu zeichnen, um die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Dass wir fünf Wochen später freikamen, grenzte an ein Wunder. Ich musste meine Zahnarzthelfer-Ausbildung fortsetzen, wollte aber längst Kunst studieren, was mir als „Republikflüchtling“ aber verwehrt wurde.
Nach dem Fall der Mauer machte ich sofort „rüber“. Ohne Geld und eher planlos landete ich bei meiner Tante in Reutlingen. Mit dem Begrüßungsgeld kaufte ich mir Puma-Turnschuhe – für mich damals der Inbegriff von Coolness und dem Freiheitsversprechen des Westens! Danach schloss ich in Koblenz meine Ausbildung zur Zahnarzthelferin ab.
Es war eine Flucht-Odyssee mit Happy End: Mit dem Berufsabschluss konnte ich später auch ohne Abitur Kunst studieren – bei Johannes Grützke in Nürnberg. Und mit dem Entschädigungsgeld, das ich als Opfer des DDR-Regimes bekam, flog ich nach San Francisco! Heute lebe ich als Künstlerin in Berlin, arbeite für Film und Fernsehen und stelle meine Kunst aus.
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