David Huth

Freier Journalist, Duisburg

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Artikel

Aquaponik: Mit Fischen regional und nachhaltig anbauen - WELT

Lokale Herkunft und Nachhaltigkeit von Lebensmitteln - das geht auch ohne nah gelegene Ackerflächen. Bei der Aquaponik lassen Fische das Gemüse wachsen. In Asien längst etabliert, holt ein Verein die Idee jetzt nach Wuppertal.

Um zu zeigen, was sich hinter dem Begriff Aquaponik verbirgt, öffnet Werner Rützenhoff die Tür zu einem großen Container, der sogenannten „Farmbox". Dann steigt er eine Treppe hinauf. Von oben sieht man einen wuchtigen, blauen Wassertank, 20 Nilbarsche ziehen in diesem Becken ihre Runden. Sie tragen dazu bei, die Umwelt zu schonen und Ackerfläche einzusparen. Denn zwei Wasserrinnen flankieren den schmalen Mittelgang im Obergeschoss des Containers, und in ihnen wachsen Tomaten, Paprika, Basilikum.

Rützenhoff, 67 Jahre alt, ist der Vorsitzende des Klimaschutzvereins „regen". Dessen Plan ist es, aus der kleinen Wuppertaler Farmbox, die im Stadtteil Elberfeld steht, ein viel größeres Kreislaufsystem dieser Art zu entwickeln. Es soll Stadtbewohner mit frischem Obst, Gemüse und Fisch versorgen. So müssten die Lebensmittel nicht von weit her transportiert werden.

Diesen Ansatz nennt man Aquaponik. Das Wort setzt sich zusammen aus den Begriffen Aquakultur und Hydroponik, was ein anderer Begriff für Hydrokultur ist. Bei der Aquaponik schlagen die Pflanzen ihre Wurzeln nicht in der Erde, sie gedeihen direkt im Wasser. Die Ausscheidungen der Fische dienen den Pflanzen als Nährstoff - ohne dass Obst oder Gemüse anschließend nach Fisch schmecken. So bilden Fischzucht und Gartenbau bei der Aquaponik einen Kreislauf. Lebensmittel sollen auf diese Weise nachhaltig produziert werden. Ähnliches ist im asiatischen Raum längst etabliert - dort schwimmen schon seit mehr als Tausend Jahren die Karpfen durch überflutete Reisfelder.

Bis das Wuppertaler Projekt Menschen flächendeckend mit Nahrung versorgen kann, ist es aber noch ein weiter Weg. Hilfe bekommt Werner Rützenhoff dabei von dem Verein Aufbruch am Arrenberg. Der hat die Anlage vor vier Jahren angeschafft. 45.000 Euro hat der Container gekostet, weitere 15.000 Euro wurden für die Anschaffung von Solarpanelen fällig. Sie produzieren den Strom für die Farmbox.

„Am Anfang mussten wir uns erst mal überlegen, an welchem Ort wir die Anlage überhaupt aufstellen", erklärt Pascal Biesenbach, Vorstandsmitglied bei Aufbruch am Arrenberg. Zwei Jahre lang stand die Farmbox zunächst auf dem Parkplatz eines Wuppertaler Supermarkts. Dann brachte sie der Verein auf den Utopiastadt-Campus in der Elberfelder Nordstadt.

Ein Labor für die Zukunft

Utopiastadt, so nennen die Wuppertaler den alten Bahnhof im Quartier Mirke. Mittlerweile ist er eine Art Labor für die Zukunft Wuppertals geworden. Dort treffen sich Bürger, Kulturschaffende und sonstige Kreative, die sich Gedanken darüber machen, wie die Menschen künftig in der Stadt leben. Ein idealer Standort also für das Farmbox-Projekt. Die Urban-Gardening-Bewegung betreibt vor Ort auch einen barrierefreien, offenen Garten. So stehen die Macher verschiedener Projekte ständig miteinander im Austausch.

Im Oktober will das Team um die Wuppertaler Farmbox ausloten, „welche Möglichkeiten es gibt, eine Stadt nachhaltig zu versorgen", sagt Sophia Kahl, Projektentwicklerin beim Verein Aufbruch am Arrenberg. Zusammen mit ihrem Mitstreiter Pascal Biesenbach erörtert sie, wie groß die Anlage sein müsste, um ein Stadtquartier wie Arrenberg zu versorgen, was Fische und Gemüse kosten würden und was man für die Imagepflege tun müsste.

Diese nächste Phase der Farmbox ist eingebettet in das Forschungsprojekt „Urbane Produktion", das die Wuppertaler gemeinsam mit der Fachhochschule Südwestfalen umsetzen. Dort arbeitet Rolf Morgenstern, Chemieingenieur, Spezialist für Verfahrenstechnik und die Themen „Urban Farming" und „ Digitalisierung in der Landwirtschaft ". Er hat am Soester Standort der Fachhochschule Südwestfalen ebenfalls eine Aquaponik-Anlage aufgebaut.

Morgenstern gehört zu einem Netzwerk aus Forschern und Unternehmen, das Innovationen in Sachen Aquaponik fördern soll. Über diese Kontakte konnte der Soester Aquaponik-Systeme in ganz Europa besichtigen. Und davon soll nun das Wuppertaler Projekt profitieren. „Unser Part ist es, verschiedene Vertriebskonzepte zu beleuchten und mit Modellrechnungen abzuschätzen, wie wirtschaftlich tragfähige Systeme aussehen können", sagt Morgenstern.

Erfahrung mit solchen Modellrechnungen und den Bedingungen für einen effizienten Betrieb sammeln Morgenstern und sein Team bereits seit 2015, damals startete die Anlage auf dem Soester Campus. „Es gibt ein paar Herausforderungen, wenn es um die Wirtschaftlichkeit geht", sagt er. Um eine Aquaponik-Anlage ans Laufen zu bringen, seien zunächst hohe Investitionen nötig - und zugleich seien die Aussichten auf Gewinn relativ gering. Das klingt nicht gerade vielversprechend. Doch Morgenstern denkt langfristig. Er sieht mögliche Einsatzgebiete von großflächigen Aquaponik-Anlagen etwa auf den Industriebrachen des Ruhrgebiets.

In Berlin läuft die Sache

Entscheidend für den Erfolg der Aquaponik sei letztlich, ob es gelinge, die Idee bei den Menschen bekannt zu machen, sagt Morgenstern. Denn nur so erreiche man eine „kaufkräftige, an Nachhaltigkeit, lokaler Herkunft, besonderer Frische, kurzen Wegen und Exklusivität interessierte Kundschaft ".

Dass solche Konzepte funktionieren können, ist etwa in Berlin zu sehen. Dort züchtet das Start-up ECF Farmsystems den „Hauptstadtbarsch" und „Hauptstadtbasilikum". Erhältlich sind die Fische und die zugehörigen Kräuter bereits in rund 140 Supermärkten in der Region. „Die Nachfrage ist hoch, und die Kunden sind mit den regional gezüchteten Produkten sehr zufrieden", bilanziert die Handelskette Rewe.

Ob auch ihr Projekt eines Tages solche Dimensionen annimmt? Einerseits hoffen die Wuppertaler darauf. Andererseits machen sie den Eindruck, dass ihnen die Vorstellung im Moment noch nicht ganz geheuer ist.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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