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Demokratie für Autos

Carsharing kann auch ganz ohne Fahrzeug Flotte gehen - das beweist das Berliner Start-up Getaway. Es bietet Autobesitzern eine Plattform, auf der sie ihr Auto an andere vermieten können.

Edgar Schollers Vorstellung von Carsharing funktioniert ein bisschen wie im Computerspiel „Grand Theft Auto" - denn darin kann sich ein Spieler Spieler frei in einer Stadt herumbewegen und in jedes beliebige Auto einsteigen. „Ich habe mich gefragt, warum geht das nicht auch in der Realität in legal und versichert", meint er. Scholler ist selbst leidenschaftlicher Autofahrer und der Meinung: Es gibt schon genug Autos auf den Straßen. Würde man sie effizienter nutzen, wäre Autofahren nachhaltiger und es gäbe mehr Platz in den Städten. Bevor Scholler sein Unternehmen Getaway gründete, war er Mitgründer beim Wettanbieter Lottoland mit Sitz in Gibraltar. Deshalb flog er beruflich viel und verwendete regelmäßig das Carsharing Angebot am Flughafen Berlin Thelen. „Als ich eines Tages durch das Parkhaus ging, fiel mir auf, wie viel Blech überall herumsteht", erzählt er. „All diese Autos könnte man so viel besser nutzen." So entstand 2015 die Idee für sein Unternehmen Getaway. Tatsächlich gibt es in Deutschland laut dem Kraftfahrt-Bundesamt rund 47 Millionen Autos, die laut Eurostat im Schnitt nur knap eine Stunde pro Tag genutzt werden. Scholler baute daraufhin eine Plattform, die Autos zwischen Vermietern und Mietern vermittelt. „Die Herausforderung dabei war, das Ganze für beide Seiten attraktiv zu gestalten", meint Scholler. „Teilen wird immer noch sehr stark mit Verzicht assoziiert." Deshalb soll der Vermieter bei Getaway gar richtig nicht merken, dass er sein Auto mit anderen teilt, so Scholler.

In der Praxis funktioniert das so: Wer sein Auto vermieten möchte, meldet es auf Getaway an und gibt es für einen bestimmten Zeitraum frei. Dann können andere Nutzer das Auto mithilfe der App auf ihrem Smartphone mieten. Die Versicherung für diesen Zeitraum übernimmt Getaway. Am Ende muss der Mieter das Auto wieder an den Ursprungsort zurückbringen. Ein persönliches Treffen zwischen Mieter und Vermieter ist nicht notwendig - alles läuft digital ab. Damit dieser Ablauf so reibungslos funktioniert, baut Getaway bei jedem Auto, das auf die Plattform kommt, ein Hardwarekit ein. Dieses sendet GPS-Signale an Vermieter und Mieter sendet und steuert die Verriegelung des Fahrzeugs.

Bezahlung pro Kilometer

Je nach Auto kostet eine Fahrt mit Getaway zwischen 30 und 80 Cent pro gefahrenem Kilometer. Die Flotte ist divers - sie reiche vom Kleinwagen bis hin zum schnellen Sportflitzer, so Scholler. Den Preis legen die Vermieter dabei selbst fest. Für einen Fahrer kommt dann noch eine individuell berechnete Versicherungspauschale und ein Centbetrag, der an Getaway selbst geht, dazu. Wie viel Versicherung und der Getaway-Beitrag ausmachen, ist laut Scholler je nach Fahrer und Strecke unterschiedlich. Wer unfallfrei fährt, zahle jedenfalls weniger Versicherung - und Getaway selbst finanziere sich rein über die Abgabe. Erst vor kurzem ergatterte Scholler aber ein Investment im siebenstelligen Bereich vom Energieunternehmen Innogy. Genaue Details kann er diesbezüglich aber nicht nennen. „Wir sind dadurch jedenfalls für die Elektromobilität gewappnet", erklärt er.

Edgar Scholler ... gründete mit Getaway sein zweites Start-up. 2017 trat er damit in der Vox-Show „Die Höhle der Löwen" auf. Davor war Scholler Mitgründer des Glücksspielunternehmens Lottoland mit Sitz in Gibraltar.

Zurzeit hat Getaway 16 Mitarbeiter, rund 5000 Nutzer und ist mit knapp 150 registrierten Autos in Berlin und in einer Pilotregion am Rand von Nürnberg unterwegs. Auch der ländliche Raum ist für Getaway interessant. „Carsharing -Anbieter mit einer festen Flotte wie Car2Go brauchen eine hohe Auslastung, damit sie sich rentieren", erklärt Scholler. „Wir haben diesen Druck nicht, weil wir ja ausschließlich bestehende Fahrzeuge nutzen." Dadurch könne Getaway auch am Land gut bestehen. Das Pilotprojekt in Nürnberg brachte Getaway den Deutschen Mobilitätspreis 2018 ein. Das mittelfristige Ziel bis 2021 sei nun, 50.000 Fahrzeuge auf die Plattform zu bringen, erklärt Scholler.

Weniger Autos, mehr Parkfläche

Ein Auto, das vielfach genutzt wird, macht auch Parkfläche frei - vor allem in Städten. Ein gut ausgelastetes Auto entlaste zwischen 50 und 100 Meter Parkbucht in der Nachbarschaft, so Scholler. „Es ist unglaublich wie viel Fläche für Parkplätze verbrauchen", sagt er. „Den Platz könnte man so viel besser nutzen - zum Beispiel für Radwege oder Grünflächen." Scholler setzt sich auch für eine Dezentralisierung von Carsharing ein. Nicht wenige Unternehmen sollen das Angebot bestimmen, sondern die breite Masse. Bei der derzeitigen Marktsituation ist allerdings fraglich, inwiefern das noch möglich ist. Denn den Vorsprung von vier Millionen Kunden von ShareNow wird wohl kaum ein Start-up so schnell einholen können. Was sie aber durchaus können, ist, die Dinge anders zu machen. Getaway bringt Carsharing per App erstmals auch in ländliche Gebiete, abseits von car2go- und DriveNow-Autos - und Uze-Mobility hat mit ihren E-Transportern, Werbedisplays und Daten ganz andere Anwendungsfälle als bisherige Carsharing Unternehmen.

Neugründungen wie Uze Mobility und Getaway zeigen: Carsharing wird zu einem immer zentraleren Thema. Denn das Auto ist nach wie vor das Fortbewegungsmittel Nummer eins auf der Welt - mit Abstand. Allein in Deutschland nutzen laut dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur rund 42 Prozent der Bevölkerung das Auto als Hauptverkehrsmittel, Firmenfahrzeuge noch nicht mit eingerechnet. Mit neuen Carsharing Konzepten wird Mobilität digitaler und zugänglicher - speziell beim Warentransport oder am Land gibt noch keine wirklichen Alternativen zum Auto. Daran werden auch selbstfahrende Autos wenig ändern, argumentiert Scholler. „Vielleicht werden wir in einigen Jahren nicht mehr selbst am Steuer sitzen" meint er. „Aber das Vehikel Auto an sich wird noch lange bestehen bleiben." Carsharing erfindet die Mobilität wohl nicht neu - sondern lastet bestehende Ressourcen einfach besser aus.

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