David Freches

Freelance Journalist, Köln

1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Diskussion um Blog netzpolitik.org: Einschüchterungsversuch gegen Journalisten

10.08. 15 - Ein staatlicher Einschüchterungsversuch, eine Behörde, aus der immer wieder Interna an die Öffentlichkeit gelangen und gesetzlicher Handlungsbedarf. Mit diesen Feststellungen zogen Blogger Markus Beckedahl und die Journalisten Christian Bommarius und David Crawford einen Schlussstrich unter die 75-minütige Diskussion im Recherchebüro correctiv in Berlin.

Neue Stellen durch Spendenflut

Ein persönlicher Schlussstrich ist für Beckedahl noch nicht in Sicht. Zwar wurde am Montag bekannt, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wegen Landesverrat gegen ihn und seinen Blogger-Kollegen Andre Meister einstellt. Davon haben die netzpolitik.org-Betreiber aber bisher nur aus den Medien und nicht förmlich erfahren. Man haben nur ein Etappenziel erreicht, als Sieger fühlten sie sich nicht. Dafür müssten die Ermittlungen gegen die Quellen des Blogs ebenfalls eingestellt werden - und die laufen noch. Fest steht, dass die Blogger gestärkt aus der Affäre hervorgehen. Die über Spenden finanzierte Seite habe seit Bekanntwerden der Ermittlungen, die Beckedahl süffisant „steuerfinanzierten Werbekampagne" nannte, 150000 Euro eingenommen. Damit wollen Beckedahl und Meister neue Stellen bei netzpolitik.org schaffen, um den Geheimdiensten künftig noch genauer auf die Finger zu schauen.

Die Ermittlungen seien, so der Konsens, ein Einschüchterungsversuch gewesen - „und zwar gegen alle Journalisten, die über den Überwachungskomplex berichten", fand Beckedahl. Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hätte sich laut Bommarius stattdessen fragen müssen, was in seiner Behörde rechtsstaatlich falsch läuft. Das könne nur er beantworten.

Bommarius vermutet Enttäuschung bei Maaßen

Warum überhaupt Ermittlungen eingeleitet wurden, blieb allen Diskussionsteilnehmern ein Rätsel. „Im konkreten Fall war der Tatverdacht so dünn, dass man sich fragt, warum man überhaupt vorgegangen ist", meinte Bommarius. Der 57-jährige Kommentar-Chef der Berliner Zeitung, selber lange Zeit Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, vermutete, dass Maaßen offensichtlich sauer darüber sei, dass aus „seiner Behörde immer wieder etwas" an die Öffentlichkeit gelange.

„Das möchte er verhindern. Aber er greift nicht die Quellen an, die Informationen preisgeben, sondern die Kanäle, die es aufgreifen und publizieren." Allen juristisch bewanderten Personen auf Staatsseite hätte klar sein müssen, dass die eingeleiteten Ermittlungen nicht zum Ziel führen können. Das haben sie bekanntlich auch nicht - und zeitgleich Generalbundesanwalt Harald Range in den verfrühten Ruhestand geschickt.

Nach einer Exkursion zum Thema Vorratsdatenspeicherung (Crawford: „Die Geheimdienste sehen nicht ein, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen nicht möchte, dass die sozialen Netzwerke wie ein Sieb gefiltert werden.") ging es in der Diskussion um die Aufgaben des modernen Journalismus, wie es ihn mit sogenannten „Leaks", also den Veröffentlichungen von vertraulichen Dokumenten auf Blogs gibt.

Vertrauen in der Vertrauenskrise schaffen

Warum überhaupt die Leaks? „Es muss Aufgabe des modernen Journalismus sein für Vertrauen zu werben, gerade in Zeiten der Vertrauenskrise", so Beckedahl. Das ginge nur, indem man die Möglichkeit gewähre, in vollen Umfang in Originaldokumente reinzuschauen. „Wir teilen Wissen, wollen aber auch kritisch hinterfragt werden - nur so machen wir unsere Artikel stärker."

Also Konsequenz aus den Ermittlungen wünschte sich der Blogger, dass der Landesverratsparagraf künftig nicht mehr für Journalisten gilt. „Wir brauchen eine moderne Rechtsprechung. Wer steht heute überhaupt unter Pressefreiheit? Das ist nicht mehr zeitgemäß." Bommarius forderte, intensiver mit „Maaßen und Co" über das Bild von Grundrechten zu sprechen. „Sie stärken dieses Bild nicht, wenn sie die Rechte dauerhaft brechen."

Die Diskussion wäre mit gegenteiligen Meinungen sicher interessanter gewesen. Aber die Vertreter des Innen- und Justizministeriums sowie der Verfassungsschutz hätten kurzfristig abgesagt. Auch Thomas Fischer, Vorsitzender des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshof und ein kritischer FAZ-Journalist hätten aus privaten Gründen nicht kommen können.

Zum Original