Der extrem klimaschädliche Torf hat als Energiequelle in Irland eine lange Tradition. Jetzt werden hunderte Moore renaturiert, um so CO2 im Boden zu binden. Unser Autor hat sich angesehen, wie das genau funktioniert.
Kein Mensch weit und breit, nur eine Ente und zahllose Insekten verbergen sich in den Moosen, Flechten und Sträuchern. Im Graben unterhalb des Schildes zeigt sich tiefbraune, torfige Erde, unten gluckert ein Wasserlauf. Und doch gibt das handgemalte Schild unmissverständlich zu verstehen: "Private Property" - Privatbesitz. Rings um das Schild sieht es nicht gerade danach aus, als spiele sich an diesem Ort ein Landkonflikt ab.
Vielleicht ist das Schild deshalb so wichtig, weil es falsch ist. Es steht mitten in einem Naturschutzgebiet in der westirischen Grafschaft Galway - und als ihnen das Recht auf Torfstechen im Jahr 2011 entzogen wurde, konnten die Anlieger wählen: entweder eine Kompensationsfläche außerhalb des Naturschutzgebiets oder 1.500 Euro Entschädigung pro Jahr, 15 Jahre lang. Die meisten haben sich für das Geld entschieden, ein paar wenige für ein alternatives Torffeld. Nur wenige blieben stur, erzählt Paul Connaughton - manche hängten Irlandfahnen an ihr ehemaliges Torffeld, oder eben Schilder: "Das war ihre Art zu zeigen, dass sie echte Iren sind und die anderen nicht."
Vom Torfstecher zum MoorschützerConnaughton stapft in Gummistiefeln durchs Moor, darüber trägt er Anzughose und ein hellblaues Hemd. Der 77-Jährige ist ein gutes Beispiel für den Wandel, den Irland in Bezug auf Torf durchgemacht hat: Seit seinem siebten Lebensjahr ging er in jedem Frühjahr auf das Torffeld seiner Familie hier im Carrownagappul-Moor. In mühsamer Handarbeit wurde der einzige Brennstoff gewonnen, den die Insel am Rande Europas zu bieten hatte. Torf in den Heizöfen und Stromkraftwerken befeuerte die Industrialisierung und letztlich den Wohlstand Irlands.
Connaughton ging 1981 für die Konservativen ins Parlament nach Dublinund kämpfte dort gegen jede einzelne Umweltauflage, auch gegen den Schutzstatus, unter den Carrownagappul und rund 900 weitere Moore auf der ganzen Insel gestellt wurden. 2011 beendete Connaughton seine Abgeordnetenkarriere – im selben Jahr, in dem in Carrownagappul das Programm zur Renaturierung begann. Das Erstaunliche: Heute führt er Besucher:innen durch das Hochmoor, das allmählich beginnt, sich von der Ausbeutung durch den Menschen zu erholen.
Carrownagappul ist nicht das einzige, wohl aber eines der größten und am besten erhaltenen Hochmoore in Irland. Hier lässt sich besichtigen, wie die für den Klimaschutz so wichtige Renaturierung abläuft. Für die weltweiten Anstrengungen, die Klimakrise irgendwie noch auf ein erträgliches Ausmaß zu reduzieren, spielen Moore eine Schlüsselrolle: Obwohl sie nur 3% der Landfläche bedecken, speichern sie mindestens doppelt so viel CO2 wie alle Wälder der Erde. In Carrownagappul selbst dürften mehrere Millionen Tonnen CO2 liegen – auf einer Moorfläche von 1.200 Hektar.
In Deutschland ist die Bundesregierung gerade erst mit dem Vorhaben einer verbindlichen Moorschutzstrategie gescheitert – mutmaßlich am Widerstand der Agrarlobby. In Irland hingegen nehmen die Maßnahmen zum Schutz der Moore, die immerhin 20% der Landfläche ausmachen, allmählich Gestalt an.
Warum trockengelegte Moore so klimaschädlich sind
»Wir haben keine Universallösungen«, sagt die Biologin Florence Renou-Wilson vom University College Dublin, im Videointerview. Sie hat so viel mit Mooren und ihrer Renaturierung zu tun wie wenige andere Forschende im Land. »Jedes Moor ist anders, und wir müssen uns anpassen.« Das Ziel der Maßnahmen ist aber immer das Gleiche: Der Wasserspiegel, den Generationen von Torfstechern immer weiter abgesenkt haben, muss wieder steigen.
Hochmoore wie Carrownagappul wirken wie ein Schwamm; die Moose, ob lebendig oder abgestorben, können Unmengen an Wasser halten. Alles, was sich unter der Oberfläche befindet, wird nicht weiter zersetzt – das CO2, das die Pflanzen während ihres Wachstums binden, bleibt also langfristig gespeichert. Alles, was aus dem Wasser herausragt, gibt jedoch wie ein gigantischer Komposthaufen CO2 an die Luft ab. Bei künstlich entwässerten Mooren geschieht das um ein Vielfaches schneller, als das klimaschädliche Gas einst gebunden wurde: In Irland gelangen aus beschädigten Mooren jährlich 1,25 Megatonnen CO2 in die Atmosphäre. Weltweit sind sie für 1,3 Gigatonnen CO2 jährlich verantwortlich – das entspricht 5,6% aller Treibhausgasemissionen. Und die extrem schlechte CO2-Bilanz beim Verbrennen von Torf ist da noch gar nicht eingerechnet.
Wasser marsch!
In Carrownagappul verstopfen etwa 3.000 Barrieren die 25 Kilometer Entwässerungsgräben, in regelmäßigen Abständen. In der Mitte des Hochmoors muss man genau hinschauen, um die von Moosen und Gräsern bewachsenen Erdklumpen zu erkennen, die von einem Bagger in die Furchen gelegt wurden. Je weiter man an den Rand des Moors kommt, desto mehr Wasser ist zu sehen und zu hören. Hier würden Erdklumpen nicht ausreichen, stattdessen kommen Barrieren aus Plastik oder Metall zum Einsatz. »Diese Dämme haben den Abfluss des Wassers in Richtung der Flüsse gestoppt«, erläutert Paul Connaughton. »Und wenn man das lange genug beibehält, wächst das Moor wieder.«
Lässt man das Moor in Ruhe, so entwickelt sich bei genügend Wasser aus dem herabgedrückten Moos etwa ein Millimeter Torf pro Jahr. Dazu kommt die Artenvielfalt an der Oberfläche. Beim Streifzug durchs Moor zeigen sich zwar nur ein paar Enten und Insekten, doch das ist wohl kaum repräsentativ: »Wir haben eine Wildkamera mit Nachtsicht aufgestellt«, sagt Connaughton, »und das war großartig: Füchse, Hasen und so weiter. 95% der Leute wissen gar nichts darüber, auch bei mir war das vorher so.« Connaughton hofft, dass in Zukunft vielleicht sogar der Gesang des Curlew hier wieder zu hören ist. Der Große Brachvogel ist in Irland vom Aussterben bedroht, in einem Schutzgebiet am Fluss Shannon leben nur noch ein paar Brutpaare.
Ich könnte lange über die seltenen Tier- und Pflanzenarten im Moor erzählen. Aber das Hauptproblem ist: Jeden Tag gibt ein beschädigtes Moor CO2 an die Atmosphäre ab. Jeden Tag, ständig. Wenn wir da den Deckel drauf machen, steht Irland in puncto CO2 besser da – und die Biodiversität kehrt von allein zurück.Florence Renou-Wilson, Biologin
Irland macht ernst mit dem Torf-Ausstieg
Lange war der Ausstieg aus dem Torf in Irland politisch nicht gewollt – 2016 heizten in manchen Gegenden noch immer 20–30% der Privatleute mit Torf, hier im County Galway waren es 23%. Auch bei der Stromerzeugung setzte Irland lange auf den heimischen Energieträger; 1990 waren Torfkraftwerke noch für knapp 20% des Stroms verantwortlich. Doch dann folgte ein bemerkenswerter Rückgang – nicht zuletzt auf Druck und mit Geld der EU. 2018 waren es nur noch knapp 5%. 2020 ging das letzte reine Torfkraftwerk vom Netz, ein weiteres wird bis 2023 auf Biomasse wie Sägeabfälle umgerüstet.
Das halbstaatliche Unternehmen Bord na Móna, einst für die riesigen Torftagebaue in den irischen Midlands und für die Torfkraftwerke verantwortlich, hat Anfang dieses Jahres den endgültigen Ausstieg aus dem klimaschädlichen Brennstoff verkündet und begreift sich nun als grünes Unternehmen, investiert in die Produktion erneuerbarer Energie. Teile der von Bord na Móna verwüsteten Moore werden nun mit Geldern aus dem EU-Wiederaufbaufonds renaturiert.
Für die Moore zählt dabei jedes Jahr: »Je länger wir mit der Wiederherstellung der Moore warten, desto zerstörter werden sie sein und desto schwerer wird ihnen die Anpassung an den Klimawandel fallen«, sagt Florence Renou-Wilson.
Was Moore zum Klimaschutz beitragen können
Dabei sind intakte Moore selbst ein probates Mittel, um den Klimawandel abzubremsen. »Ein Moor ist eine Kohlenstoffsenke, langsam, aber stetig«, sagt Renou-Wilson. »Es wird uns allein nicht retten und ist nicht besonders schnell, aber wir brauchen Moore als Senke. Sie haben auch noch eine kühlende Wirkung.«
Jedes Mal, wenn ein Moor um einen Kubikmeter wächst, wird der Atmosphäre 30–70 Kilogramm CO2 entzogen. Es gibt noch 2 weitere Ideen, wie das klimaschädliche Gas der Atmosphäre wieder entzogen werden kann: durch Aufforstung und durch die sogenannte CCS-Technologie. Das steht für »Carbon Capture and Storage«, also Kohlenstoff auffangen und einlagern. Die Idee ist, dass CO2 verarbeitet und unterirdisch gespeichert wird – doch ob sie im großen Stil funktioniert, ist noch lange nicht erprobt. Aktuell ist CCS vor allem teuer – eine neue Anlage in Island, die jährlich 4.000 Tonnen CO2 speichern soll, hat 10–15 Millionen US-Dollar gekostet. Immerhin bezieht sie die Energie aus der in Island sehr gut nutzbaren Erdwärme.
Die meisten Szenarien, in denen das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann, schließen trotzdem diese noch nicht marktreife Technologie ein. Umso wichtiger ist also, schnellstmöglich mit dem Schutz der Moore voranzukommen.
Zentral für den Erfolg
Das kann nur im Dialog mit der lokalen Bevölkerung gelingen. »Man kann sich die Emotionen gar nicht vorstellen, die da im Spiel sind«, sagt Paul Connaughton. So wie das »Private Property«-Schild über dem gluckernden Wasserlauf von Widerstand zeugt, gab es anfangs 50, 60 Parteien, die sich nicht mit dem Ende des Torfabbaus in Carrownagappul abfinden wollten. Connaughton erzählt, wie sich die Situation am Tag des Ultimatums, dem 7. Mai 2011, zuspitzte: »Die Behörden sagten, die Torfmaschine müsse weg. Und wir sagten: ›Und wenn wir alle ins Gefängnis müssen, dann gehen wir halt ins Gefängnis, aber diese Maschine erntet unseren Torf!‹«
Man kann sich vorstellen, dass in einer solchen Atmosphäre selbst das ökologisch wertvollste Projekt kaum eine Chance hat – erst recht nicht, wenn es die Rechte der örtlichen Bevölkerung beschneidet. »Wir waren fürchterliche Gegner, gar keine Frage«, sagt Connaughton. »Aber es ist beeindruckend, was Zeit und ein bisschen gesunder Menschenverstand bewirken können.«
Was in dieser Aufzählung natürlich fehlt: Geld.
Weil wir fast kampflos etwas aufgegeben haben, was uns wichtig war, erwarteten wir eine Entschädigung. Deshalb haben wir das Geld verdient, das wir bekommen.Paul Connaughton, ehemaliger Politiker
Der Ex-Politiker könnte an diesem Tag im Moor wie ein leidenschaftlicher Naturschützer wirken, wenn er mit leuchtenden Augen von Füchsen, Hasen und Großen Brachvögeln erzählt.
Allerdings hatte er sich, so wie wenige weitere, damals für eine alternative Kompensation entschieden. Statt Geld hat Connaughton einen Torfstreifen außerhalb des Naturschutzgebiets erhalten. Er sagt: »Wie alle Politiker würde ich argumentieren, dass ich meine Position nicht verändert habe. Ich habe im Parlament immer gesagt, ich will weiter Torf stechen. Und das tue ich.« Connaughton ist sich bewusst, dass er einer der Letzten ist, die so denken. Jüngere Ir:innen ziehen ohnehin die komfortable Zentralheizung der Schufterei im Moor vor.
In Carrownagappul geht der neue Nutzen des Moors weit über den Kreis der ehemaligen Torfstecher hinaus: Derzeit werden Holzwege gebaut, auf denen bald Besucher:innen selbst im regnerischen irischen Winter trockenen Fußes durch das Moor wandern können. Ein Besucherzentrum, Angebote für Schulklassen und Infotafeln sind ebenfalls in Planung. Die lokalen und staatlichen Betreiber hoffen, dass die Anwohner:innen ihr Moor so zu schätzen lernen.
Jetzt geht es darum, die Bevölkerung zu beteiligen. Lange wollte niemand etwas von den Mooren wissen, selbst die wenigen Wanderer, die es hier gibt. Aber das hat sich gewandelt. Seit der Covidpandemie wollen viele Leute spazieren gehen, das Moor und die schöne Natur sehen. Das hat sich gut entwickelt: Die Menschen vor Ort haben sich dessen angenommen und gesagt, wir haben hier ein lokales Moor und wollen es renaturieren.Florence Renou-Wilson, Biologin
Paul Connaughton bleibt Carrownagappul auch nach dem Ende des Torfabbaus verbunden – und hofft, dass das Moor wieder Millimeter um Millimeter wächst und irgendwann den Blick auf die Bäume am Rand versperrt. Er klingt, als würde er sich auf die Zukunft des Carrownagappul-Moors freuen, wenn er sagt: »Hier könnte eine der großartigsten Attraktionen aller Zeiten entstehen. Und wenn wir Holzwege bekommen, könnten hier sogar Hochzeiten stattfinden. Vielleicht fragen die Leute mich ja, ob ich sie verheiraten will!«