Seit in Köln nachts ein 22-Jähriger erstochen wurde, heißt es: Mehr Polizei! Mehr Überwachung! Das ist aber nur ein kleiner Teil der Lösung, wie gefährliche Orte wirklich sicherer werden können.
Der Ebertplatz in Köln ist einer dieser Orte, wo man die Hände tiefer in die Manteltaschen drückt. Wo man zielstrebigere, größere Schritte macht und erst auf der anderen Seite den Blick wieder schweifen lässt. Solche Straßen und Plätze – die Soziologie spricht von »Angsträumen« – gibt es in nahezu jeder Stadt.
Wie schnell die Stimmung kippen kann, erlebt Köln gerade am Ebertplatz, einem scheußlichen Waschbeton-Loch im Norden der Innenstadt.
Als Drogen-Umschlagplatz war er schon länger bekannt. Auch, dass die Stimmung zunehmend aggressiver wird, ist nichts Neues. Aber seitdem ein 22-Jähriger erstochen, ein paar Nächte später 2 Männer verletzt wurden und Dreharbeiten für eine ZDF-Serie abgebrochen werden mussten, sind die Gemüter erhitzt. Die Welt nennt den Ebertplatz bereits »No-Go-Zone im Herzen von Köln«.
Der Begriff erinnert verdächtig an »No-Go-Area«, einen Kampfbegriff, den die AfD und andere Neue Rechte gern verwenden. Fakt ist aber, dass es in Deutschland gar keine solchen Orte gibt: Es geht nämlich um anarchische Orte, die von der Polizei nicht mehr betreten werden. In Deutschland traut sich die Polizei überall hin und spricht deshalb lediglich von »gefährlichen Orten«, die sie selbst ausrufen darf, um verdachtsunabhängig Personen zu kontrollieren. In Nordrhein-Westfalen sind es 25 solcher Orte, davon allein 13 in Köln. Dabei ist es ein Irrtum, zu glauben, mehr Polizeipräsenz wird die Kriminalität schon in den Griff kriegen. Dieser Text ergründet, wie Angsträume langfristig sicher(er) werden können.
Vorzeige-Beispiel Fürth: Die sicherste deutsche Großstadt
Straßenkriminalität machte 2016 mit 1,3 Millionen registrierten Fällen etwa jeden fünften Eintrag in der Polizeilichen Kriminalstatistik aus. Besonders wild geht es in Leipzig, Berlin, Köln und Hamburg zu, mit teils deutlich über 4.000 Fällen von Straßenkriminalität pro 100.000 Einwohner.
Mit 1.011 landet das fränkische Fürth auf dem erfreulichen letzten Platz. Auch in der Gesamtwertung aller Deliktgruppen blieb Fürth ganz unten.Woran das liegt, frage ich den SPD-Oberbürgermeister Thomas Jung am Telefon.
Fürth profitiert von der Nähe Nürnbergs: Nürnberg hat eine ausgesprochene Diskotheken- und Nachtklubszene oder Prostituiertenviertel. Das sind Bezirke, in denen erfahrungsgemäß eher mal Kriminalität auftaucht. Solche Szenerie gibt es in Fürth überhaupt nicht.– Thomas Jung
Ein weiterer wichtiger Faktor seien die Bewohner selbst, die in stabilen sozialen Strukturen lebten: »Wir sind keine Universitätsstadt mit schnell wechselnder Bevölkerung.« Fast wie im Dorf falle Ungewöhnliches schnell auf.
Nun hat nicht jede Stadt das Glück, direkt neben einer größeren zu liegen, die einen Teil der Verbrechen wie ein Magnet fortzieht. Wie sehen Lösungen aus, die auch in Leipzig, Berlin, Köln oder Hamburg funktionieren?
Sicherheit beginnt beim Stadtplaner
Dafür habe ich zuerst mit dem Soziologen Tim Lukas von der Universität Wuppertal gesprochen. Er erforscht den Einfluss von Architektur und Raumgestaltung auf die Sicherheit in Städten. Das Bewusstsein für dieses Thema ist laut Lukas erst in den 1990er-Jahren im Städtebau angekommen und hat in den letzten Jahren einen weiteren Schub bekommen. Er nennt 4 Schlüsselfaktoren, mit denen Stadtplaner Kriminalität verringern können:
- Nutzungsmischung: Wenn immer Menschen auf einem Platz sind, gibt es auch immer potenzielle Zeugen. Deshalb ist wichtig, dass ein Platz rund um die Uhr für seine Anwohner relevant bleibt – wenn tagsüber Marktstände aufgebaut und nachts Kneipen geöffnet sind, ist der Platz nie ganz leer.
- Sichtachsen: Verwinkelte Gassen sind prima zum Auflauern – deshalb ist es wichtig, dass öffentliche Orte übersichtlich und schon von Weitem einsehbar sind. Dann gibt es für jeden Übergriff potenziell mehr Zeugen.
- Beleuchtung: Es ist naheliegend, aber wenn ein Platz in angenehmes Licht getaucht ist, fühlt er sich weniger bedrohlich an als eine Tiefgarage, in der die letzte Neonröhre bläulich flackert. Das steigert zumindest das subjektive Sicherheitsempfinden – auf die Frage, ob mehr Licht tatsächlich zu weniger Verbrechen führt, geben verschiedene Studien unterschiedliche Antworten.
- Freundlicher Eindruck: Wenn ein Platz ansprechend gestaltet ist (und dauerhaft in Schuss gehalten wird), halten sich Menschen gern dort auf. Stadtplaner haben bereits am Reißbrett einen Einfluss darauf, welche Menschen einen Platz später nutzen werden.
Diese Faktoren werden besonders bei Neu- und Umgestaltung von Plätzen immer wichtiger. Aber auch mit kleineren Maßnahmen im Bestand können Architekten nachjustieren. So haben Städte in den Niederlanden, Großbritannien, aber auch die Stadt Köln in manchen Unterführungen mannshohe Spiegel im 45-Grad-Winkel zur Wand aufgestellt. In ihnen soll man beim Vorbeilaufen sehen können, wer hinter einem geht. Macht die Gestalt im Rückspiegel Angst, dann weiß man es schon von Weitem.
Sicherheit hängt von den Menschen ab
Es ist eine Fehlannahme, dass Angsträume sicherer werden, indem man Angstmacher verdrängt: Im Juli hielten sich mit einem Mal weniger Bettler und Punks am Leipziger Hauptbahnhof auf, als – angeblich, um Touristen angemessen in der Bach-Stadt zu empfangen – klassische Musik gespielt wurde. Und in London werden seit 2015 sogenannte »Anti Homeless Spikes« am Boden befestigt: Überdimensionierte Taubenstachel, die Orte frei von Wohnungslosen halten sollen. »Die verschwinden ja nicht, sondern müssen woanders hin. Dafür gibt es oft keine Angebote«, sagt Tim Lukas. Wichtig sei, mit marginalisierten Gruppen zu sprechen: »Wer ist das, und welche Bedürfnisse haben sie?« Eine Stadt kann zum Beispiel eine Heroinszene nicht einfach für aufgelöst erklären, aber sie kann mit einem Drogenkonsumraum einen Ort für den sicheren Schuss schaffen und so die Spritzen von Spielplätzen fernhalten.
In Toronto gibt es schon seit 1999 sogenannte »Safety Audits« – Sicherheitsbefragungen, bei denen die Anwohner selbst detailliert Auskunft geben können über die Sicherheit in ihrem Viertel. Die Stadt hat somit eine bessere Datengrundlage – und kann sehr gezielt auf die Bedürfnisse ihrer Bürger eingehen.
Letztlich hat die gefühlte Sicherheit an einem bestimmten Ort auch immer mit dessen Image zu tun: »Angsträume sind Orte, die aufgrund ihrer baulichen und sozialen Beschaffenheit von Menschen gemieden werden«, sagt Tim Lukas.
Paradoxerweise tragen mehr Polizeikontrollen erst einmal nicht zu einem Imagewandel bei – denn sie decken mehr Delikte auf, die als »Holkriminalität« bezeichnet werden. Wenn mehr Drogendelikte aufgeklärt werden, liegt das kaum daran, dass mehr gedealt wird, sondern vielmehr, dass die Polizei mehr darüber weiß. Die Kölner Polizei spricht hingegen von gesunkenen Fallzahlen in der Innenstadt, seit die Kontrollen verstärkt wurden.
Sicherheit ist auch nicht alles
Sicherheit in der Stadt lässt sich aber auch nicht erzwingen, indem alles andere erstickt wird. Sie sei nur ein Wert unter vielen, sagt Tim Lukas: »Zum städtischen Leben gehören auch Freiheit, Privatheit und Toleranz.«
Auf dem engen, städtischen Raum kollidieren viele Interessen – das birgt besondere Herausforderungen. Lukas erzählt von seinem Arbeitsort Wuppertal, wo gerade der Bahnhofsvorplatz neugestaltet wird und mit einer Einkaufsbrücke an die Innenstadt angebunden werden soll: »Die Stadt wollte aus Gründen der Kriminalprävention keine Glasüberdachung, aber die Läden wollten auch an Regentagen Geschäfte machen. Die Gewerbe haben sich durchgesetzt.«
Um die Sicherheit rund um den neuen Hauptbahnhof ging es dann auch in einem Bürger-Workshop. »Als die Leute alle Sicherheitsmaßnahmen aufgezählt hatten, die sie sinnvoll fanden, haben sie festgestellt: Das ist ein toter Ort. Dann haben sie überlegt, ein Nachbarschaftsfest, um sich kennenzulernen, wäre besser.«
Das wichtigste Mittel, damit im öffentlichen Raum keine Angsträume entstehen, ist soziale Kontrolle – und die Stadtplanung kann mit den oben genannten Schlüsselfaktoren darauf hinarbeiten, dass die Orte bevölkert werden.
So wird der Ebertplatz wieder sicher
Was aber ist mit Orten, die längst vom Angstraum zum Tatort geworden sind?
»Die Polizei hat den Ebertplatz aufgegeben«
Um diese Frage zu beantworten, kehren wir am besten auf den Kölner Ebertplatz zurück. Hier hatte Bezirksbürgermeister Andreas Hupke von den Grünen für eine Schlagzeile und einige Verärgerung gesorgt, als er dem Express sagte: »Die Polizei hat den Ebertplatz aufgegeben.« Mit polizeilichen Mitteln allein seien die Probleme nicht mehr zu lösen.
Die drastische Formulierung habe er absichtlich so gewählt, sagt mir der Grünen-Politiker. Er beklagt, dass er sich bereits seit Jahren für mehr Sicherheit am Ebertplatz einsetze, aber nie etwas passiert sei. »Da komme ich mir vor wie Don Quijote«, sagt der Bezirksbürgermeister.
Seitdem sich die Vorfälle heutzutage häufen, geht plötzlich alles schnell: CDU und AfD fordern im Stadtrat eine härtere Gangart, Innenminister und Polizeipräsident beratschlagen Sofortmaßnahmen, zum Beispiel mehr Licht. Um kurzfristig die Situation zu verbessern, fordert Andreas Hupke »Flutlicht wie im Müngersdorfer Stadion«. Außerdem sollten Sozialarbeiter im Schichtsystem rund um die Uhr auf dem Platz sein, und auch die Polizei sollte ihre Präsenz verstärken. Dabei bringe eine mobile Wache nichts: »Den Platz unter Kontrolle zu bringen, heißt, mobil zu sein, von mir aus auch mit Rollschuhen. Und mit Hunden, die sofort das Gras riechen.« Auch Videoüberwachung steht er offen gegenüber – solange sie den Bürgern nicht als Präventionsmaßnahme verkauft wird, sondern zur Aufklärung.
Ob tatsächlich mehr Videoüberwachung kommt, wird geprüft. Mehr Licht und mehr Streifen von Polizei und Kölner Verkehrsbetrieben gibt es bereits.
Wenn wir sozialen Frieden wollen, brauchen wir Sozialarbeiter und Sozialraum-orientierte Polizisten, die das Grundgesetz durchsetzen und die ganze Konsequenz des Rechtsstaates aufzeigen.– Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister Köln-Innenstadt
Um Orten wie dem Ebertplatz, an denen offen mit Drogen gedealt wird, langfristig zu helfen, fährt der Bezirksbürgermeister schwere politische Geschütze auf: »Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz und am besten ein Einwanderungsministerium.« Außerdem solle Cannabis legalisiert und entkriminalisiert werden. »Da hat die Bundes-und Landespolitik versagt, auch meine Grünen haben sich da nicht mit Ruhm bekleckert!«
Das wird freilich noch ein paar Jahre dauern. Dann könnte der Ebertplatz kaum wiederzuerkennen sein: Seit gut 10 Jahren ist bereits eine Neugestaltung im Gespräch – gut möglich, dass jetzt der Druck auf die Stadt groß genug ist, endlich eine Entscheidung zu fällen.
Bis dahin müssen die Menschen, die den Ebertplatz überqueren, in das scheußliche Waschbeton-Loch hinabsteigen – Soziologe Tim Lukas rät dazu, sie bei einer Neugestaltung wieder über die Erde zu holen und den Platz auf Straßenniveau anzuheben. Auch auf dem Ebertplatz ist es nicht unmöglich, der Angst den Raum zu nehmen.
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