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Böhse Onkelz: Pseudo-rebellische Inszenierung

Einzelne Pfiffe, die immer lauter werden und sich schließlich zu einem gellenden Pfeifkonzert steigern. So klingt bei Anhängern der Böhsen Onkelz uneingeschränkte Zustimmung - eine kontraintuitive Art, seine Freude zum Ausdruck zu bringen, vor allem in einem Stadion. Vor der Bühne lässt sich enger Körperkontakt kaum vermeiden, sodass in der grölenden Menge Bierduschen zu einem weiteren Mittel der Wahl werden, um Freude zum Ausdruck zu bringen.

Im Innenraum der Spielstätte von Eintracht Frankfurt dominieren Schwarz und Weiß, viele Fans sind oberkörperfrei, die blanke Haut sticht aus dem Dunkel der Masse heraus. Eigentlich ist vieles so wie bei den Spielen der Eintracht, deren Fans ja so gerne „Schwarz und Weiß wie Schnee/ Du schöne SGE" singen. Aber irgendwie geht es bei Spielen der Eintracht trotz dieser Abwesenheit echter Farben bunter zu.

42 Jahre Provokation

Noch vor dem Eingang hatte ein Mitglied des Böhse-Onkelz-Teams auf den fast vier Jahre alten FAZ-Artikel „Schwarzweiß ist auch ein Farbenmeer" verwiesen: So einen Mist sollten wir nicht schon wieder schreiben - Schwarz und Weiß seien außerdem gar keine Farben - ein Vorgeschmack auf den bevorstehenden Abend. Die langhaarigen Idole betreten die Bühne, während ein Feuerwerksknall das ganze Stadion zusammenzucken lässt. Es ist das einzig Überraschende an diesem Auftritt.

Zehntausende Fans sind am Freitag ins Waldstadion gekommen, um Teil der nachgeholten Jubiläumstour zum vierzigjährigen Bestehen der Onkelz zu werden. Nur einen Tag später wiederholt sich an diesem Samstagabend das Spektakel an gleicher Stelle. Bereits am Mittwoch war die Band in der Jahrhunderthalle aufgetreten. Mittlerweile sind es 42 Jahre, seitdem die Onkelz „provozieren" - um es mit ihren harmlosen Worten zu beschreiben.

Strophen wie „Komm mein kleines / Du sollst heute Nacht mein Opfer sein / Ich freu' mich schon auf dein entsetztes Gesicht / Und die Angst in deinem Schrei" werden zum Besten gegeben und immer wieder als ironisch und bewusst überzeichnet gerechtfertigt. Stephan Weidner, Bassist und Sänger, zerstört diese Argumentation jedoch mit seiner Anmoderation zum entsprechenden Stück „Der nette Mann": „Der nette Mann wurde immer zensiert, war er doch seiner Zeit voraus." Der Jubel der Menge ist groß. Ebenso die Bandinszenierung als ehrenvolle Gesetzesbrecher, die sich trauen, alles zu sagen. Ironie und Überzeugung verschwimmen.

Die Fiktion wird zur realistischen Gewaltphantasie. Dass eine authentische Distanzierung von der eigenen, rechtsextremen Vergangenheit anders aussieht, ist offensichtlich. Ernsthaft damit gerechnet hat aber auch niemand. Schließlich gehört genau diese Unschärfe zum kommerzialisierten Markenkern, der wenig mit systemkritischem Punk zu tun hat.

Dies unterstreicht auch eine biografische Episode des Leadsängers Kevin Russell: Sein Umgang mit dem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall samt Unfallflucht bei Frankfurt in der Silvesternacht 2010 ist beispielhaft. Vor Gericht zeigte sich Russell uneinsichtig. Stattdessen machte er Grimassen und verhöhnte die zwei jungen Männer, die schwere Verletzungen erlitten und nur knapp überlebt hatten. Sein späterer Entschuldigungsbrief wirkte vor diesem Hintergrund alles andere als glaubwürdig. Dieses Vorgehen muss bei der Einschätzung der Böhsen Onkelz berücksichtigt werden, denn es färbt ab: Auf ihrer Internetseite erklären sie zur Entstehung des „Skandalsongs" „Türken raus", dass Weidner und Russell schon immer Gewalt angezogen hätten. „Provokation bis zum Äußersten" sei genau ihr Ding gewesen. Die halbgare Aufarbeitung der rechten Vergangenheit endet damit, dass „Türken raus" ja alles andere als ein politisches Lied, sondern einfach nur ein „dummer Wutausbruch" gewesen sei.

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