Danina Esau

Freie Journalistin, Düsseldorf

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Ukraine-Krieg: „Wir können nur hoffen und warten"

Fünf Tage hat es gedauert, bis Natalia Prytula und Svitlana Kashchuk mit ihren Kindern und Enkeln Deutschland erreicht haben. Untergekommen sind sie bei Familie Dewies in Mönchengladbach. Dort leben sie nun zu zehnt. Wie lange, weiß niemand.


In der Fotogalerie von Natalia Prytulas Smartphone reihen sich Bilder vom Krieg aneinander. Jeden Tag werden es mehr, Nachbarn, Freunde und Familienangehörige, die noch in der Ukraine sind, schicken sie ihr zu. Aufnahmen, die so grausam sind, dass sie in den deutschen Nachrichten nicht gezeigt werden: Ein alter Mann wird in seinem Auto von einem Panzer abgeschossen, tote Menschen in den Straßen, schwarze Rauchwolken über dem zerstörten Flughafen von Winnyzja, der nächstgrößten Stadt ihres Heimatdorfes.

Es sind auch private Bilder darunter, die zeigen, wie Prytula und ihre Familie die Wochen bis zur Abreise nach Deutschland verbracht haben: In einem kleinen, fensterlosen Kellerraum der Nachbarin, weil sie selber keinen haben. „Wir haben den Raum nur verlassen, wenn wir ins Bad mussten“, sagt die Ukrainerin, die jetzt mit ihren zwei Kindern und ihrem Enkel in Deutschland ist. In Sicherheit. Aber abschalten kann sie nicht. Ihr Mann ist noch in der Ukraine, die Angst um ihn wächst mit jedem Video, das sie zugeschickt bekommt.


So geht es auch Svitlana Kashchuk. Sie ist mit ihren beiden Töchtern, ihrem Hund und ohne Mann nach Deutschland gekommen, nachdem sie einige Wochen in der Sauna ihres Kellers gelebt haben. Beide Frauen wollten eigentlich in der Ukraine bleiben. Doch ihre Männer haben sie darum gebeten, sich mit den Kindern in Sicherheit zu begeben. Auch ihre Eltern mussten sie zurücklassen. „Sie haben den Kindern den Vortritt gelassen und sich entschieden, da zu bleiben“, sagt Kashchuk. Sie muss immer wieder Luft holen, als sie das sagt.


Die beiden Frauen packten zwei Autos voll. Zu zehnt – mit noch drei weiteren Frauen, drei Kindern und zwei Babys – machten sie sich auf den Weg. Eine Adresse hatten sie: Erwin und Larissa Dewies in Mönchengladbach. Larissa Dewies kommt ursprünglich aus der Ukraine, aus der Stadt Mariupol, die zurzeit besetzt wird. Für sie und ihren Mann stand von Anfang an fest, dass sie Geflüchtete aufnehmen werden. „Wir wollten ihnen die Turnhalle ersparen“, sagt der 66-Jährige.


Vergangene Woche Dienstag sind die Ukrainerinnen mit ihren Kindern nach fünftägiger Autofahrt bei ihnen angekommen. Drei von ihnen sind bei Larissa Dewies’ Sohn untergekommen, 500 Meter entfernt. Die anderen sieben wohnen mit dem Ehepaar und ihrer Tochter auf 210 Quadratmetern zusammen. Das reiche auch aus, sagt Erwin Dewies. Acht Zimmer stehen zur Verfügung, jede Familie hat ihren eigenen Rückzugsort. Der wird im Moment auch gebraucht. Ständige Angst, Hilflosigkeit, und dann auch noch ein neues Land – das muss alles verarbeitet werden. „Es kann sehr emotional werden“, sagt Erwin Dewies.


Er und seine Frau versuchen, ihre Gäste so gut es geht abzulenken und ihnen das Gefühl von zu Hause zu geben. Vergangenes Wochenende grillten sie Schaschlik in ihrem Garten und bereiteten gemeinsam ukrainische Gerichte zu. Durch einen Kontakt mit der NEW organisierte das Ehepaar einen Aufenthalt im Hallenbad Giesenkirchen. Für ein paar Stunden durften die zehn die Badeanstalt exklusiv nutzen und so wenigstens für einige Momente sorgenfrei sein.


Natalia Prytula und Svitlana Kashchuk schätzen die Gastfreundschaft. Sie seien generell überrascht von der Hilfsbereitschaft der Deutschen, sagen sie. „Auf unserer Fahrt haben wir einige Nächte im Auto geschlafen und wollten dann in Dresden in ein Hotel, um uns frisch zu machen. Der Hotelinhaber hat uns umsonst dort übernachten lassen“, berichtet Prytula. Kurz vor ihrer Ankunft in Mönchengladbach hatten sie eine Autopanne – eine Werkstatt reparierte den kleinen Schaden ebenfalls kostenfrei. Wenn etwas im Haus fehlt, wie zum Beispiel ein Kinderhochstuhl, postet Erwin Dewies einen Beitrag auf der Social-Media-Plattform Facebook. Meist ist innerhalb weniger Stunden das da, was gebraucht wird.


Wie es weitergeht, wagt niemand zu sagen. Beide Frauen hatten ursprünglich damit gerechnet, dass nach wenigen Wochen alles wieder vorbei sein wird. Deswegen wollten sie erst gar nicht ausreisen. „Jetzt gehe ich davon aus, dass es mehrere Monate so weitergehen wird. Wir können nur hoffen. Hoffen und warten“, sagt Prytula. Beide stellen sich auf ein vorübergehendes Leben in Deutschland ein. Unterstützt werden sie dabei vom Ehepaar Dewies. Auch sie planen langfristig: „Wir schauen gerade, wo die Kinder zur Schule gehen können. Und vielleicht möchten die Frauen irgendwann arbeiten“, sagt Erwin Dewies.


Das Zusammenleben habe sich in der einen Woche schon gut eingependelt, berichtet Larissa Dewies. Die Frauen unterstützen sie beim Kochen, Putzen und allem, was sonst noch anfällt. Ein paar Regeln haben sie aber trotzdem aufgestellt, zum Beispiel Nachtruhe ab 22 Uhr. Ab nächster Woche wollen sie gemeinsam einen Speiseplan erstellen. „Das hilft beim Zusammenleben, besonders, wenn wir uns auf eine längere Zeit einstellen“, sagt Erwin Dewies.


Dass sie sich neben ihren Jobs jetzt um viel Organisatorisches kümmern müssen, stört sie nicht. Sie wollen helfen. „Und wir wollen andere ermutigen, auch ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen“, sagen sie. Helfer müssen aber wissen, woraus sie sich einlassen. „Es ist nicht damit getan, ein paar Zimmer zur Verfügung zu stellen. Es gibt immer was zu tun“, betont der 66-Jährige.

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