
Angela Donno (rechts) unterstützt Betroffene, die sexuelle Gewalt erlebt haben. | Bild: Daniela Biehl/David-Wolfgang Ebener
Eine Couch, zwei Sofas, ein paar Kissen. Wer zu Angela Donno kommt, soll es gemütlich haben. Denn: Wer zu ihr in die Grauzone kommt, hat oft Schlimmes, Gewaltvolles erlebt. Da sind Betreuungskräfte und Verwandte, die Donno aufsuchen, weil sie glauben, ein Kind könnte missbraucht worden sein.
Da sind Betroffene, die sich ohnmächtig fühlen. Und Betroffene, die erst Jahre später den Weg zur Grauzone finden. Weil sie sich erst spät trauen, eine Beratungsstelle aufzusuchen. „Bei sexualisierter Gewalt muss man sich das oft wie eine offene Wunde vorstellen", sagt Donno. „Erst, wenn sie ein bisschen zugeht, wenn sich eine Kruste bildet, sind manche bereit, sich zu öffnen." Und manchmal kommen die Betroffenen, wenn Dinge gerade akut und emotional belastend sind. Erst kürzlich, sagt Donno, sei eine Frau, Anfang 20, bei ihr gewesen. „Sie lebt in einem Wohnheim. Und da hat sich ein anderer Bewohner nachts heimlich in ihr Bett geschlichen und sich an ihr vergangen."
Seither schläft die Anfang 20-Jährige kaum noch gut. Müsse sich immer wieder vergewissern, oft sieben, acht-, neun-, zehnmal vergewissern, dass sie wirklich alle Türen abgeschlossen hat. Dass wirklich alles sicher sei.
„Solche Symptome sind natürlich individuell", sagt sie. Aber: „Die Ängste, die Betroffene erleben, dieses Gefühl, nicht mehr sicher zu sein. Das Gefühl, sich nicht mehr in sich getragen zu fühlen. Dieses geschädigte Urvertrauen, das ist bei jedem wieder gleich."
Doch: Wie hilft man solchen Menschen? Wie lässt sich die Erinnerung an sexuelle Gewalt verarbeiten? Hilft eine Therapie? „Für manche ist das ratsam", sagt Donno. „Aber nicht für alle. Das ist eine individuelle Entscheidung. Wir schauen in den Beratungsgesprächen immer, was braucht die Person gerade und welche Therapiemöglichkeiten gibt es - denn eigentlich geht es darum, die Person möglichst gut wieder zu stabilisieren."Wie viele Fälle von sexueller Gewalt gibt es im Kreis?
Wie viele Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis derart Traumatisches erleben, lässt sich nicht ganz genau beziffern, da es immer auch eine Dunkelziffer gibt.
2016 ist das neue Sexualstrafrecht in Kraft getreten. Die Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt Nein" stellt die Reform eine erhebliche Verbesserung für den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dar. (Symbolbild) | Bild: Singler, JulianDie Polizei erfasste 2021 jedoch 214 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (zum Vergleich: 2017 waren es (107), 2018 (124), 2019 (146) und 2020 (166) Taten) und drei Taten, die eine sexuelle Nötigung betreffen, sowie einen Fall des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und 24 Beleidigungen auf sexueller Grundlage (zum Vergleich: In diesen Fällen sind die Zahlen über die Jahre 2017 bis 2021 ähnlich geblieben). Die Polizei führt die Zunahme an Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auf verschiedene Faktoren zurück. Wie verbesserte Präventionsarbeit, mehr Aufklärung und auf die Novellierung des Strafrechts mit 184i StGB, sagt Polizeisprecher Jörg Kluge. Denn: Darin werden seit 2016 Taten verfolgt, die vorher ausdrücklich nicht strafbar waren. Sexuelle Belästigung zum Beispiel.
Was, wenn eine solche Tat zur Anzeige gebracht wird, wenn es zu einem Prozess kommt? Retraumatisiert es Betroffene, vor Gericht noch einmal alles erzählen zu müssen? „Das kommt auf die Person an", sagt Donno. „Einen Prozess durchzustehen, ist oft gar nicht so einfach. Wir stehen den Betroffenen dann durchweg zur Seite. Doch fatal ist oft, wenn der Täter freigesprochen wird. Das verkraften nicht alle. Einige fühlen sich dann gebrandmarkt. Glauben: ‚Alle denken jetzt, ich habe gelogen.' Dabei: War die Tat vielleicht nur nicht nachweisbar."
Donno versucht dann, und auch schon während der Prozesse, Juristisches zu übersetzten. Wenn etwa ein Glaubwürdigkeitsgutachten angefertigt wird, erklärt sie: „Dass heißt nicht, dass Sie eine Lügnerin sind. Dass man Ihnen nicht glauben will. Das ist einfach ein Instrument, dass in der Juristik angewendet wird, um mehr Licht ins Dunkle zu bringen."
Denn: „Unser Rechtsstaat geht immer von der Nullhypothese aus: Die Tat ist nicht passiert. Und dann versuchen wir zu beweisen, dass es die Tat doch gab."
Ginge der Staat umgekehrt vor: Also gilt die Tat als gesetzt, dann müsste der Angeklagte seine Unschuld beweisen. „Und dann hätten wir am Ende Gefängnisse voller unschuldiger Menschen, die es nicht geschafft haben, zu beweisen, dass sie es nicht waren."
Jura ist nicht MoralManchmal würde Donno aber gern in die Gesellschaft hineinbrüllen: „Missbraucht den juristischen Apparat nicht für eine moralische Bewertung." Ihr scheint nämlich, als würde Betroffenen oft das Recht abgesprochen, zu sagen: „Mir ist das passiert", sobald ein Täter freigesprochen werde. Dabei war es vielleicht nur ein Freispruch „in dubio pro reo" - „im Zweifel für den Angeklagten."